DE / Lebensende: Zu Hause sterben – Wunsch und Wirklichkeit liegen weit auseinander
IEF, 02.01.2020 – Übertherapie und schlechte Kommunikation am Krankenbett sind laut einer deutschen Medizinerin die Gründe für hohe Sterbezahlen im Krankenhaus.
Kommunikation am Sterbebett muss Teil ärztlicher Staatsprüfung werden
Die Leiterin des für Staatsprüfungen von Ärzten zuständigen Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), Jana Jünger, kritisiert in Spiegel online die Diskrepanz zwischen Sterbewunsch und Sterbewirklichkeit. Umfragen zufolge wollten Menschen mehrheitlich zu Hause sterben, die Realität zeige aber, dass knapp die Hälfte der Deutschen in Krankenhäusern versterbe. Durch entsprechende Schulung der Ärzte im Bereich der Kommunikation lasse sich das Dilemma „in fünf Jahren deutlich verbessern“, meint Jünger. Die Kommunikation mit Patienten und Sterbenden über ihre Wünsche und Vorstellungen angesichts des herannahenden Todes müsse Jüngers Meinung nach Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung werden: „Diese Themen müssen wir in die Staatsprüfungen für Ärzte bringen.“
Unnötige Eingriffe und längere Leidenszeiten
Folge der mangelhaften Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten bzw. deren Angehörigen seien vielmals unnötige Eingriffe, kostspielige Therapien, die die Leidenszeiten nur verlängerten und dann oftmals das Sterben im Spital zu Folge hätten, kritisiert Jünger. Einer Auswertung von Abrechnungsdaten der Barmer Ersatzkasse (eines deutschen Krankenversicherungsträgers) zwischen 2012 und 2015 zufolge erhielten 15 % der unheilbar erkrankten Krebspatienten in den letzten 30 Tagen ihres Lebens noch eine – meist stationäre – Chemotherapie.
Vervielfachung der palliativen Versorgungsangebote in den letzten bei den Jahrzehnten
Wie die Zahlen des Deutschen Hospiz und PalliativVerbands e.V. zeigen, hat sich das Angebot der ambulanten und stationären Angebote im Palliativbereich in positiver Weise vervielfacht. Im März 2019 gab es in Deutschland 1.500 ambulante Hospizdienste, ca. 230 stationäre Hospize für Erwachsene sowie 17 stationäre Hospize für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, ca. 330 Palliativstationen in Krankenhäusern, drei davon für Kinder- und Jugendliche. Die Zahl der Ärzte mit palliativer Zusatzausbildung ist von 100 im Jahr 2005 auf 11.440 im Jahr 2017 gestiegen. „Die ambulante Versorgung hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert und ist inzwischen auf einem guten Weg.“, betont ein Sprecher des Landes-Sozialministeriums von Baden-Württemberg gegenüber dem Spiegel. Neben ambulanten Hospizdiensten kümmerten sich sogenannte Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) um sterbende Erwachsene und Kinder: „Die Abdeckung mit SAPV-Teams in Baden-Württemberg beträgt über 90 Prozent“, so der Sprecher.
Zahlen der Sterbezahlen im Spital stagnieren seit Jahren
Laut einer Studie des Max-Planck-Instituts von Ende 2018 war zwar der Anteil derer, die im Krankenhaus sterben, lange rückläufig. In Deutschland betrage er nach Zahlen aus dem Jahr 2016 aber immer noch 46 Prozent und stagniere seitdem. „Das ist viel zu viel, da es nicht den Wünschen der Patienten entspricht“, kritisiert Jünger. Die Studie unter der Leitung von Angela Carollo, die mehr als 1,8 Millionen Datensätze aus Dänemark auswertete, spiegelten die Entwicklung in weiten Teilen Europas und Nordamerikas wider und seien insofern von internationaler Bedeutung. Während 1980 insgesamt 56 Prozent der Männer in der Klinik starben, waren es 2014 nur noch 44 Prozent; bei den Frauen sank der Anteil im gleichen Zeitraum von 49 Prozent auf 39 Prozent. Von der erfreulichen Tendenz ausgenommen sei allerdings die Altersgruppe der über 80 Jährigen. Ein Grund dafür könnten fehlende Patientenverfügungen sein. Angehörige seien unsicher, was getan werden müsse und brächten die Menschen ins Spital, wo diese dann versterben würden. Carollo richtet einen Appell an die Politik: „Wir sollten Hochaltrigen ein Leben zu Hause oder in einer guten Pflegeeinrichtung ermöglichen und ihnen unnötige Krankenhausaufenthalte kurz vor dem Tod ersparen.“ Diese Altersgruppe sei die am schnellsten wachsende in Europa, gibt die Wissenschaftlerin außerdem zu bedenken.
Zahlen in Österreich – Wunsch oft Wunsch von Gesunden
Dass Wunsch und Wirklichkeit auch in Österreich auseinandergingen, betonte Hilde Kössler, 2. Vizepräsidentin der Österreichischen Palliativgesellschaft bereits 2017 bei einem IMABE-Symposium. Sie erläuterte, dass 80 % der Österreicher unter „gutem Sterben“ das Sterben zu Hause verstehen. 2015 seien österreichweit aber nur 26 % der Menschen an ihrem Wohnort verstorben, in städtischen Bereichen sank der Prozentsatz bei Tumorerkrankungen sogar auf knapp elf Prozent. Kössler relativierte die Dramatik der Zahlen allerdings mit ihrer Aussage, dass der Wunsch zu Hause zu sterben, ein Wunsch der Gesunden sei. Palliativpatienten wollten vielmehr an dem Ort sterben, wo sie sich sicher fühlten. Und das sei oftmals das Spital.
Dieser Einwand von Kössler erscheint Dr. Stephanie Merckens, Biopolitikerin am Institut für Ehe und Familie (IEF) sehr einleuchtend und müsste in der Debatte berücksichtigt werden. Insbesondere müsse in den Befragungen ausgewiesen werden, in welchem Zustand die Befragten den Wunsch äußerten, zu Hause zu versterben bzw. ob sich dieser Wunsch ändert, je wahrscheinlicher der Tod insbesondere wegen Krankheit wird, so Merckens. (TSG)