Embryonenschutzgesetz
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DE / Bioethik: Wissenschaftler fordern Lockerung des Embryonenschutzgesetzes

IEF, 3.4.2017 – Eine Expertengruppe der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina veröffentlichte am 29.3.2017 ein Diskussionspapier mit dem Titel „Ethische und rechtliche Beurteilung des genome editing in der Forschung an humanen Zellen“. Zu den Verfassern zählen unter anderem der Biochemiker Ernst-Ludwig Winnacker, der Jurist Jochen Taupitz und die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert. Die Autoren stellen sich gegen den bisher im Embryonenschutzgesetz geforderten absoluten Schutz der Embryonen. Neue molekularbiologische Methoden, die gezielte Eingriffe in das Erbgut erlauben, würden vielversprechende Möglichkeiten in Forschung und Anwendung eröffnen. Die unter den Begriffen Genome Editing und Genomchirurgie bekannten Verfahren machten jedoch auch eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über ethische und rechtliche Fragen notwendig, so die Wissenschaftler. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Forschung an humanen Zellen

Lockerung des Embryonenschutzgesetzes

Bislang ist die Forschung an menschlichen Embryonen in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Allerdings decke das zuletzt 2011 geänderte Gesetz nicht alle Fragen ab, welche die neuen Methoden der Genomchirurgie aufwerfen, so die Kritik der Expertengruppe. Nach Meinung der Autoren sei der Einsatz von Genome Editing zur Erforschung der menschlichen Embryonalentwicklung sinnvoll. Ferner plädierten sie für Grundlagenforschung, die es ermöglicht, Nutzen und Risiken von Keimbahntherapien und -effekten evidenzbasiert einschätzen zu können. Eine Absage erteilten die Autoren des Diskussionspapiers Versuchen, mittels Genome Editing genetische Verbesserungen des Menschen zu erzielen. Abgesehen von den nicht abschätzbaren Risiken würden solche Bestrebungen fundamentale ethische und soziale Fragen aufwerfen. Außerdem sollten ausschließlich solche Embryonen aus der Fortpflanzungsmedizin zugelassen werden, die nicht mehr verwendet werden würden und deswegen keine reale Lebenschance hätten. Für “hochrangige Forschungsziele” sollten also sogenannte “frühe Embryonen”, die “keine faktischen Entwicklungschance” haben, vernichtet werden dürfen. Für die Forschung freigegeben sollten somit “überzählige” Embryonen, also jene, die im Zuge des Verfahrens der künstlichen Befruchtung hergestellt und danach eingefroren, dann aber für keine weitere IVF-Versuche benötigt wurden.

Kritik aus Fachkreisen

Der Vorstoß der Wissenschaftler, das Embryonenschutzgesetz aushöhlen zu wollen, erntet Kritik aus Fachkreisen.  Die Bioethikerin Susanne Kummer vom Wiener Bioethikinsitut IMABE erklärte gegenüber kathpress, dass weder die Adoption noch die Verzweckung von Embryonen für Forschungsvorhaben die Herstellung von sogenannten “übriggebliebenen” Embryonen rechtfertigen könne, da es sich immer um eine “grobe Verletzung der Menschenwürde” handle und das damit verbundene ethische Problem weiter bestehe. Kummer betonte, dass die Techniken der Reproduktionsmedizin “inhärente Widersprüche, die ethisch nicht mehr sinnvoll aufzulösen sind”, hervorrufe. Heute bedeute das Erzeugen eines Kindes im Reagenzglas zugleich das Vernichten von anderen menschlichen Embryonen. Vielfach führe dies auch bei Frauen nach IVF (In-Vitro-Fertilisation) zu seelischen Problemen. “Wenn mein Kind weint, höre ich alle anderen Kinder mitweinen’, formulierte es eine Mutter nach der Geburt ihres IVF-Kindes”, beschrieb die Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE).

Wie Die Tagespost berichtet, erteilte auch der CDU-Bundestagsabgeordnete und Berichterstatter für medizinische Ethik der CDU/CSU-Arbeitsgruppe Gesundheit, Hubert Hüppe, der Forderung nach einer Lockerung des Embryonenschutzgesetzes eine Absage. Im deutschen Recht habe sich das Verbot verbrauchender Embryonenforschung „bewährt“ und werde „von keiner ernst zu nehmenden politischen Kraft in Frage“ gestellt, so Hüppe. Dies habe Deutschland „vor Situationen wie in Großbritannien bewahrt, wo die Erlaubnis der Embryonenforschung in den ersten 14 Tagen umgekehrt dazu verpflichtet, die Forschungsembryonen nach 14 Tagen zu töten“. Hüppe kritisiere die Bestrebung der Leopoldina-Wissenschaftler, „sich für solche Menschenversuche stark zu machen und das Tötungstabu zu brechen“. Weiter bemängelt Hüppe, dass die Forscher ihre Forderung mit dem „vollmundigen Versprechen“ stützten, es gehe um „völlig neue Behandlungsmöglichkeiten genetischer Erkrankungen“. Auch in den bioethischen Debatten der Vergangenheit seien immer wieder „mit großem Pathos teilweise phantastische Heilungsfantasien“ präsentiert worden, „die später wie Seifenblasen zerplatzten“. So sei etwa „zugunsten embryonaler Stammzellen“ eine „Ethik des Heilens“ ins Feld geführt worden, „die den Staat zur Legalisierung von Embryonenverbrauch ethisch verpflichte. Seit Jahren sei es aber völlig ruhig an dieser Front. Mit embryonalen Stammzellen geheilte Patienten „sind bisher nicht in Erscheinung getreten“. Daher solle man den „bioethischen Testballon“ der Gruppe um Taupitz nicht überbewerten. „Eine Legalisierung verbrauchender Embryonenforschung steht nicht zur Debatte“, so Hüppe.

Und wieder wackelt der „Stichtag“

Die Deutsche ÄrzteZeitung beurteilt das Leopoldina-Diskussionspapier als „Versuch, einen seit 2008 politisch befriedeten Konsens aufzubohren“. Der Bundestag hatte zuletzt 2008 das Stammzellengesetz geändert. Das Gesetz verbiete grundsätzlich die Einfuhr und Verwendung humaner embryonaler Stammzellen, gestatte dies aber doch, wenn Wissenschaftler darlegen könnten, dass sie Stammzelllinien für “hochrangige” wissenschaftliche Ziele benötigen. Ursprünglich sah das Gesetz vor, dass nur Stammzellen importiert werden dürften, die bis zum 1. Januar 2002 gewonnen worden waren. Mit der letzten Gesetzesänderung verschob der Bundestag 2008 diesen Stichtag rückwirkend auf den 1. Mai 2007.

Ähnliche Debatte in den USA

Eine ähnliche Debatte hatten Forscher vor kurzem in den USA losgetreten. Wie das Institut für Ehe und Familie (IEF) am 24.3.2017 berichtete, forderten Wissenschaftler der Harvard Universität das Überdenken der 14-Tage-Regel. Die (willkürlich gesetzte) Frist, künstlich erzeugte Embryonen längstens 14 Tage nach der Befruchtung für wissenschaftliche Zwecke verwenden zu können, solle aufgrund des „Erfolgs“, Embryonen auch außerhalb der Gebärmutter länger als eine Woche gedeihen zu lassen, erweitert werden.

Forschung an Embryos in Österreich verboten

In Österreich dürfen Embryonen nur im Zuge der künstlichen Befruchtung erzeugt und auch nur für die künstliche Befruchtung eingesetzt werden. Daraus ergibt sich für Österreich zwar ein umfassendes Forschungsverbot an Embryonen, allerdings keine Regelung im Hinblick auf die Forschung an embryonalen Stammzellen, die aus dem Ausland importiert wurden, ergänzt Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF).

Lesen sie hier einen Kommentar von Sophia Kuby zum Thema.

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