AT / Pränataldiagnostik: Wr. Programm für Frauengesundheit veröffentlicht Broschüre
IEF, 17.5.2018 – Das Wiener Programm für Frauengesundheit veröffentlichte vor kurzem in Kooperation mit dem Wiener Krankenanstalten Verbund und der Wiener Gesundheits- und Sozialplanung eine Broschüre zum Thema Pränataldiagnostik (PND).
Präsentation beim Wiener Dialog Frauengesundheit
Im Rahmen des „Wiener Dialogs Frauengesundheit“ wurde die Broschüre am 16.5.2018 vorgestellt und unter dem Titel „Entscheidungen im Kontext der Pränatal-Diagnostik“ diskutiert. Nach Referaten von Ao. Univ. Prof. Dieter Bettelheim, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Wiener Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Prä- und Perinatale Medizin und Mag. Anita Weichberger, Klinische und Gesundheitspsychologin an der Wiener Universitätsklinik für Frauenheilkunde, schloss eine Diskussionsrunde die Veranstaltung ab.
Prof. Bettelheim: „Pränataldiagnostik ist Hochspannungsfeld“
Bettelheim gab einen Überblick über die Methoden der Pränataldiagnostik und deren Aussagekraft, die Aufklärungs- und Informationspflichten der Ärzte, mögliche Therapiemöglichkeiten und die Problematik der Rasterfahndung. Die Pränataldiagnostik bezeichnete er als „Hochspannungsfeld“ zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, dem Lebensrecht des Kindes und den potentiellen Haftungsansprüchen gegenüber Ärzten bei mangelnder Aufklärung der Patientin. Bettelheim betonte das Recht der Frauen auf Nicht-Wissen. Die Ärzte müssten jedoch ausführlich dokumentieren, die Frau informiert und aufgeklärt zu haben, um sich rechtlich abzusichern. Entscheide sich die Frau für pränataldiagnostische Untersuchungen, komme sie bei einem auffälligen Befund und dem ernsthaften Verdacht auf eine schwere körperliche oder geistige Behinderung in die Lage, sich für oder gegen eine Abtreibung zu entscheiden. Er sprach klar darüber, dass Abtreibung bedeute, das Kind zu töten und bezeichnete die österreichische Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch, nämlich an sich Verbotenes straffrei zu stellen, als „verlogen und grotesk“.
Schockzustand und Distanzierung zu Kind nach auffälligem Befund
Die Klinische und Gesundheitspsychologin Anita Weichberger, die bereits beim Politbrunch Down-Syndrom des Instituts für Ehe und Familie (IEF) über ihre Beratungstätigkeiten am AKH berichtete, erklärte in ihrem Referat die Situation der Schwangeren bzw. des Paares in Bezug auf PND. Zuerst einmal müsse sich die Schwangere/das Paar für oder gegen pränataldiagnostische Maßnahmen entscheiden. Für eine „autonome“ Entscheidung benötige die Schwangere/das Paar einerseits Wissen über Handlungsalternativen und deren Konsequenzen und sollte sich andererseits über die Motive im Klaren werden: Warum möchte ich weitere Untersuchungen (nicht) machen? Was mache ich dann mit dem Wissen? Auch Weichberger betonte in diesem Zusammenhang, dass die Frau ein Recht auf Wissen und ebenso auf Nicht-Wissen habe. Notwendige Voraussetzungen für eine Entscheidung für oder gegen PND sei in erster Linie die Beratungskompetenz des Arztes und dessen zeitliche Kapazitäten und zweitens das Verständnisvermögen der Schwangeren (Sprache, Intellekt, Grundwissen Biologie/Medizin). Entscheide sich die Schwangere/das Paar für PND und erhalte sie daraufhin einen auffälligen Befund, rufe das immer einen Schockzustand hervor. Der Schockzustand löse Impulse aus, das möglicherweise kranke Kind loswerden zu wollen, den Druck, etwas tun zu müssen bzw. zu wollen, aber auch etwaige Monsterphantasien über das kranke Kind sowie eine Distanzierung zum Kind. Die Bindung zum Kind sei durch eine Diagnose fast immer unterbrochen.
Weichberger: „Pränataldiagnostik ist wie die ‚Frucht der Erkenntnis‘“
Im Schockzustand könne die Frau keine Entscheidung treffen, erläuterte Weichberger. In Deutschland gebe es daher eine gesetzlich verpflichtende Bedenkzeit zwischen Diagnose und Schwangerschaftsabbruch. Obwohl eine solche in Österreich nicht vorgeschrieben sei, habe man sich diese Frist im AKH Wien zu eigen gemacht. Ziel der Krisenintervention in diesem Moment sei die emotionale Stabilisierung sowie die Beendigung des Schockzustandes. Dafür benötige die Schwangere vor allem Zeit, sozialen Halt, Information und Struktur, so Weichberger. „Pränataldiagnostik ist für mich vergleichbar mit der ‚Frucht der Erkenntnis‘“, führt die Psychologin weiter aus. Denn Wissen schaffe Handlungsalternativen und Verantwortung. Die Frage der Schuld/Verantwortung sei im Fall des Schwangerschaftsabbruchs für alle Frauen relevant, da das Kind getötet werde, so die Expertin, die „ergebnisoffen“ berate. Ihrer Meinung nach liege aber nicht die alleinige Verantwortung und Schuld bei der Schwangeren, sondern auch im Umfeld bzw. den Umständen. Für eine Entscheidung, die auch nach Monaten und Jahren noch als „richtig“ empfunden werden solle, müsste die Perspektive des Kindes miteinbezogen werden und Informationen über Prognosen und Behandlungsmöglichkeiten gegeben werden, erklärt Weichberger. Ihrer Meinung nach könne eine autonome Entscheidung nur mit guter Betreuung getroffen werden.
Diskussion: Verantwortung der Ärzte
Bei der anschließenden Diskussion betonte Dr. Claudia Reiner-Lawugger, Leiterin der Spezialambulanz für perinatale Psychiatrie im Otto-Wagner-Spital, in einer Wortmeldung die Verantwortung der Ärzte bei pränataldiagnostischen Untersuchungen. Sie erlebe es immer wieder, dass Frauen durch beiläufige Aussagen des Arztes wie etwa „die Fußform ist auffällig“, eine belastete und sorgenvolle Schwangerschaft erlebten. Das vom Arzt Gesagte komme bei der Frau oft anders an als beabsichtigt und so könne sogar ein einfacher Ultraschall zum traumatischen Erlebnis für die Schwangere werden. In Bezug auf die Wichtigkeit der Aufklärung des Arztes im Vorfeld der möglichen Inanspruchnahme von PND, meldete sich ein Kassenvertragsarzt aus Wien zu Wort. Für eine Mutter-Kind-Pass Untersuchung bekomme er seit 24 Jahren ohne Anpassung 18,02 Euro. Um seine Ordination am Laufen zu halten, müsse er um die 200 Euro pro Stunde verdienen. Dass eine ausführliche Beratung nicht möglich und Behandlung von schwangeren Frauen aus diesen Gründen wenig attraktiv sei, wäre bei dieser Bezahlung nicht verwunderlich, so der Arzt.
„Ideologie- und wertfreie Broschüre“
Frauen sollen durch die Broschüre befähigt werden, eine möglichst autonome Entscheidung zu treffen, so Kristina Hametner, Leiterin des Wiener Programms für Frauengesundheit. Um Frauen auch aus niedrigeren Bildungsschichten oder Migrationshintergrund zu erreichen, wurde die Broschüre in leicht verständlicher Sprache und ansprechendem Layout verfasst. „Ideologie- und wertfrei“ sollen Frauen die Möglichkeit erhalten, sich anhand der Broschüre für oder gegen PND zu entscheiden. In einem weiteren Kapitel können sich Frauen über die Möglichkeit, mit einem behinderten Kind zu leben oder die Schwangerschaft abzubrechen, informieren.
Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF) lobt den begleitenden Ansatz der Borschüre. Es werde glaubhaft vermittelt, dass Pränataldiagnostik zwar oft beruhigen könne, aber eben bei auffälligem Befund auch zu einem schweren Entscheidungsdilemma führen könne. Frauen und Paare werden daher in der Broschüre immer wieder ermutigt, zu überlegen, ob sie überhaupt eine über den Mutter-Kind-Pass hinausgehende Schwangerschaftsuntersuchung machen wollen. Aber auch, wenn sich Frauen bzw. Paare für die weiteren Untersuchungen entscheiden, zeigt die Broschüre sensibel und informativ die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten auf. Besonders wertvoll sind die Hinweis auf unterstützende Begleitung für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Ohne zu werten werden auch verschiedene Optionen aufgezeigt, ein Kind mit besonderen Bedürfnissen teilweise bis gänzlich in fremde Obhut zu übergeben, wenn man sich durch die Zusatzbelastung überfordert fühlt. „Sehr erfreulich ist auch der Hinweis, dass selbst bei einem sterbenskranken Kind der Spätabbruch nicht „zwingend“ ist, sondern das möglichst schmerzfreie Begleiten des Kindes bis zu seinem Tod zwar eine sehr schmerzhafte, aber durchaus liebevolle und tröstende Art sein kann, sich der unerwünschten Ausnahmesituation zu stellen“, meint Merckens zur Broschüre.
Angesichts des Anliegens, möglichst einfach und leicht verständlich zu formulieren, seien ein paar sachliche Unschärfen im Text nachvollziehbar, ergänzt Merckens. So entstehe der Eindruck, dass Ultraschalluntersuchungen mittlerweile gesetzlich verpflichtend seien. „Dies ist zwar nicht der Fall, de facto übernimmt aber kaum ein Arzt mehr die Betreuung, wenn die Schwangere keine Ultraschalluntersuchungen machen möchte“, so die Juristin. Auch seien die im Mutter-Kind-Pass vorgeschriebenen Untersuchungen nicht grundsätzlich gesetzlich verpflichtend, aber eine unerlässliche Bedingung für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld und damit im Ergebnis für die Betroffene „vorgeschrieben“. Ergänzen könnte man noch, dass es neben den kostenlosen Beratungsstellen der Stadt Wien und dem Hebammenzentrum auch private kostenlose Anbieter wie die Aktion Leben und Nanaya gibt, die sich auf die Beratung rund um Pränataldiagnostik spezialisiert haben, so Merckens.