INT / Lebensende: Wie Sterbehilfebefürworter die Corona-Krise zu nützen versuchen
IEF, 11.05.2020 – Während die Kanadier diskutierten, ob „Euthanasie“ ein essentielles Angebot sei, warben Wissenschaftler für ein Recht auf „selbstloses Sterben“.
„Euthanasie“-Kliniken geschlossen
Nach Ausbruch der Corona-Pandemie entbrannte in Kanada die Diskussion darüber, ob medizinisch unterstütztes Sterben („Medical Assistance in Dying“, MAiD – umfasst in Kanada assistierten Suizid und Tötung auf Verlangen) ein „essentielles Angebot“ sei, dass auch während der Corona-Krise aufrecht erhalten bleiben sollte. Zumindest zwei „Euthanasie“-Kliniken im Bundesstaat Ontario schlossen, um eine weitere Verbreitung des Virus zu vermeiden und Ressourcen für die Bekämpfung der Pandemie freizuhalten. MAiD habe im Gesundheitssektor nicht höchste Priorität, so die Begründung. Medienberichten zufolge schloss aufgrund der Corona Pandemie auch die einzige Klinik der Niederlande, die ausschließlich assistierten Suizid und Tötung auf Verlangen anbietet. Auch in Belgien sei man der Ansicht, dass „die derzeit wichtigste Aufgabe sei, das Coronavirus zu bekämpfen“. Die medizinischen Ressourcen im Bereich assistierter Suizid und Tötung auf Verlangen seien deshalb berechtigterweise begrenzt, sagte Jacqueline Herremans, Mitglied der belgischen „Kommission für Euthanasiekontrolle und -evaluierung“. Das Krankenhausnetzwerk „University Health Network“ von Toronto wiederum hielt das MAiD-Angebot aufrecht, wie das Magazin BioEdge berichtete, da MAiD „den Stellenwert eines Menschenrechts habe“.
„Sterbehilfe“ kontaktlos per Telemedizin
Vorstöße, den Zugang zu assistiertem Suizid und Tötung auf Verlangen zu erleichtern, gab es daraufhin nicht nur in Kanada, sondern auch in den USA. Wie Alex Schadenberg, Geschäftsführer der „Euthanasia Prevention Coalition“ in einem Blogbeitrag schreibt, forderte die „American Clinicians Academy on Medical Aid in Dying“, in Anbetracht der Corona-Krise die Zulassung zu assistiertem Suizid „telemedizinisch“ zu ermöglichen. Die „telemedizinische“ Prüfung sei notwendig, um einerseits die Ausbreitung des Virus durch Meidung von physischem Kontakt zu verhindern und andererseits trotzdem assistierten Suizid zu ermöglichen. Schadenberg befürchtet, dass die telemedizinische Freigabe zum assistierten Suizid nach Ende der Corona-Krise aufrecht bleibe, und wirft der „Sterbehilfe“-Lobby vor, die Krise für die eigenen Agenden auszunützen.
Ausweitung des gesetzlichen Schutzzwecks
Konkret würde „telemedizinische Freigabe“ bedeuten, dass der Arzt dem Patienten nach einem Telefonat das Rezept für das tödliche Medikament ausstellen könnte. In sämtlichen Gesetzgebungen, die assistierten Suizid bzw. Tötung auf Verlangen unter bestimmten Voraussetzungen erlauben, habe der Arzt die Funktion, ebendiese Voraussetzungen zu überprüfen, um gegebenenfalls vor Missbrauch zu schützen, erläutert Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF). Dass ein Telefonat das Gespräch von Person zu Person mit physischer Anwesenheit nicht ersetzen könne, gerade, wenn es um eine Entscheidung über Tod oder Leben gehe, liege auf der Hand, so die Biopolitikerin. Der amerikanische Vorstoß zeige ein weiteres Mal, dass Grenzen nicht halten, wenn man assistierten Suizid dem Grunde nach zulasse, so Merckens.
Recht auf „selbstloses Sterben“ – Mehrwert für die Gesellschaft?
Aber die Überlegungen gehen noch weiter. Unter dem Titel „Extremer Altruismus in Zeiten von Pandemien“ erschien im Blog des Journal of Medical Ethics ein Beitrag von Wissenschaftlern, die ein Recht auf „selbstloses Sterben“ fordern. Die beiden Wissenschaftler Julian Savulescu, Professor für Angewandte Ethik am St. Cross College Oxford und Dominic Wilkinson, ebenfalls Professor für Ethik und Leiter des Uehiro Centre für praktische Ethik in Oxford, haben Vorschläge erarbeitet, wie insbesondere alte und schwache Menschen einen „Mehrwert“ für die Gesellschaft darstellen könnten. Vorausgesetzt dieser Akt der Selbstopferung sei freiwillig, unter Kenntnis aller wesentlichen Fakten sowie mit klarem Verstand getroffen, spreche nach Meinung der Wissenschaftler nichts dagegen, persönliche Güter bis hin zu seinem Leben für ein höheres Gut zu riskieren oder gar zu opfern. Menschen, “wie alle anderen Tiere”, so die Autoren, hätten schließlich eine Tendenz zu altruistischen Handlungen. Wenn es Menschen erlaubt sei, nur zum persönlichen Vergnügen zum Beispiel beim Bergsteigen, Boxen oder Fallschirmspringen ihr Leben zu riskieren, warum sollte es ihnen nicht erlaubt sein, dasselbe für etwas Sinnvolles zu tun, etwa zum Nutzen der Mitmenschen, fragen Savulescu und Wilkinson.
Die beiden Professoren geben in ihrem Beitrag ganz konkrete Vorschläge für „extremen Altruismus in Zeiten von Pandemien“: So sollte es erlaubt sein, dass ältere Leute, die ohnehin nur eine geringe Lebenserwartung haben, weil sie bereits infiziert seien, sich freiwillig als Testperson für neue Corona-Impfstoffe zur Verfügung stellen könnten. Patienten, die sowieso bald sterben könnten, sollten aber auch entscheiden dürfen, dass an ihnen Methoden zur Euthanasie getestet werden, damit später andere von diesen Erkenntnissen profitierten. Patienten sollten sich rechtzeitig als Organspender registrieren lassen können, damit die Organe möglichst intakt entnommen werden könnten, sollte die intensivmedizinische Behandlung aufgrund mangelnder Ressourcen abgebrochen werden müssen. Aber auch Soldaten könnten sich freiwillig an Impfstoff-Testungen beteiligen und im Gegenzug von Kampfeinsätzen freigestellt werden. Der Dienst als Soldat sei schließlich auch ein Risiko für die Allgemeinheit, daher sollte es möglich sein, das Risiko sozusagen zu wechseln.
„Pflicht zum sozialverträglichen Frühableben“
„So sieht es aus, wenn menschliches Leben für verzichtbar und verkürzbar gehalten wird. Wenn ein paar Gesunde darüber nachdenken, wie man ein paar Alte und Kranke noch nützlich verwenden kann, damit sie nicht einfach nur alt und krank sind und uns auf der Tasche liegen. Sterben sie nicht sowieso? Na also. Wo ist das Problem, wenn wir ihnen den ‚Vorschlag machen‘ die ‚Option bieten‘, noch auf den letzten Metern zum Helden zu werden? Und ist es nicht großartig, sich für das Allgemeinwohl zu opfern?“, kritisiert die Publizistin Birgit Kelle im Focus den Vorschlag der „Ethiker“. Und auch sie warnt wie die Juristin Stephanie Merckens oder auch die Ethikerin Susanne Kummer es immer wieder tun, vor der Gefahr der Fremdbestimmung im vermeintlich „selbstbestimmten“ Tod: „Ja, wir werden alle sterben. Es ist das einzige, worin alle Menschen tatsächlich gleich sind. Wo aber das Recht auf Sterben diskutiert wird, wird die Pflicht zum sozialverträglichen Frühableben bald zur Pflicht.“ (TSG)