DE / Abtreibung: Werbeverbot für Abtreibungen hält in erster Instanz

IEF, 4.12.2017 – Das Amtsgericht Gießen hat die Ärztin Kristina Hänel wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Gericht verhängte eine Strafe von 40 Tagessätzen zu 150 Euro (insgesamt 6.000 Euro) und entsprach damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. „Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache“, begründete die von der Frankfurter Rundschau zitierte Vorsitzende Richterin Maddalena Fouladfar das Urteil. Die Thematik erhitzt seit Wochen die Gemüter. Grüne, SPD und die Linke fordern eine Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen.

Straflosigkeit von Abtreibung und Werbeverbot

Nach §218a StGB (dtStGB) ist Abtreibung in Deutschland rechtswidrig, aber unter gewissen Umständen straffrei gestellt. Schwangerschaftsabbruch ist bis zu 12 Wochen nach der Befruchtung straffrei, wenn vor dem Eingriff eine Beratung stattgefunden hat und eine 3-tägige Bedenkzeit eingehalten wurde. Nach dem dritten Monat ist ein Abbruch straffrei, wenn eine medizinische Indikation vorliegt, die dann gegeben ist, wenn eine Gefahr für das Leben der Schwangeren oder eine Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden ist und die Gefahr nicht auf andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. Auch nach einem Sexualverbrechen kann eine schwangere Frau straffrei abtreiben.

§219a StGB (dtStGB) stellt die Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft unter Strafe. Mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft wird, wer „öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (…) eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs (…) anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt“. Die Werbung muss „seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise” geschehen, um strafbar zu sein. Die verurteilte Ärztin informierte im Jahr 2015 auf ihrer Website unter anderem darüber, dass sie in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchführe. Über einen Link auf ihrer Website ließ sie Frauen Informationen zu einem Schwangerschaftsabbruch zukommen. In einer PDF-Datei erhielten Interessierte vor allem gesetzliche und medizinische Informationen. Inzwischen bietet die Ärztin nur noch an, dass weitere Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch per E-Mail zugesendet werden. Das Gericht wertete die Information auf der Website der Ärztin als ein „Anbieten“ um des eigenen Vorteils willen im Sinne der Strafnorm. Es handele sich bei Abtreibungen nicht um einen normalen Eingriff wie eine Blinddarmoperation. Dem trage die Strafvorschrift des §219a dtStGB Rechnung, der dem Schutz des ungeborenen Lebens diene. „Dahinter“, so Richterin Fouladfar, „tritt – und das ist nun mal der Wille des Gesetzgebers – das allgemeine Informationsrecht der Frau zurück“. Hänels Verteidigerin Monika Frommel argumentierte, reine Information stelle keine Werbung dar. Dazu fehle ihr der „appellative Charakter“. Zudem ignoriere §219a wesentliche Grundrechte wie die Informationsfreiheit der Frauen und sei in diesem Sinne „systemwidrig“. Frommel kündigte nach dem Urteil an, in Revision zu gehen. Das Urteil bezeichnete sie als „Abgrund von rechtlicher Unkenntnis“.

Petition der verurteilten Ärztin – Gesetzesentwurf der Partei „Die Linke“

Hänel initiierte indessen eine Petition, die mittlerweile von mehreren zehntausenden Personen unterschrieben wurde. In der Petition fordert die Ärztin ein „Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch“ und die Abschaffung des „veralteten und überflüssigen“ §219a dtStGB.

„Die Linke“ legte bereits am 22.11.2017 einen Gesetzesentwurf vor, um die gesamte Bestimmung zu streichen oder zu ändern. Nach Ansicht der Fraktion bestehe seit der Reform des Abtreibungsparagrafen §218 dtStGB im Jahr 1976 „die widersprüchliche Rechtslage, dass Ärztinnen und Ärzte zwar unter den in §218 StGB geregelten Bedingungen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, jedoch diese Leistung nicht öffentlich anbieten dürfen“. Durch die Streichung des Werbeverbots wäre gewährleistet, „dass zukünftig alle Schwangeren den Zugang zu Informationen über die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen in Praxen und Kliniken haben“, heißt es im Entwurf. Alternativ führt „die Linke“ darin aus, dass im bestehenden Gesetz die Wörter „anbietet, ankündigt“ gestrichen werden sollten. Damit könne deutlich gemacht werden, dass sich das Verbot nur auf anstößige Werbung beziehen könne, nicht aber auf sachliche Informationen über das Leistungsspektrum von Arztpraxen und Kliniken, auch wenn damit keine vollständige Entkriminalisierung von Ärzten und Klinikpersonal erreicht wäre.

Union für Werbeverbot – SPD und Grüne dagegen

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) schaltete sich mittlerweile ebenfalls in die Debatte ein. Wie die Welt berichtet, sprach Maas sich für eine Abschaffung des §219a dtStGB aus. Der Paragraf sei „ein Relikt aus der NS-Zeit“, erklärte der Bundesjustizminister mit scharfem Geschütz. Er unterstütze deshalb eine entsprechende Initiative der SPD-Bundestagsfraktion, in dem die ersatzlose Streichung des §219a dtStGB gefordert werde. Der Entwurf solle noch vor der Weihnachtspause in der Fraktion beschlossen werden, sagte SPD Rechtspolitikerin Eva Högl. „Gleichzeitig reden wir natürlich auch mit den anderen Fraktionen, um die Möglichkeiten eines interfraktionellen Vorgehens auszuloten“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende.

Laut SPIEGEL bereite auch Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Werbeverbots vor. „Der Paragraf erschwert Frauen den Zugang zu Informationen und kriminalisiert die Ärzteschaft“, wird der Grünenpolitiker zitiert. Er schlage dem Berliner Senat nun eine Bundesratsinitiative vor, die Anfang des Jahres in die Länderkammer eingebracht werden und den politischen Druck erhöhen solle. Die Unionsparteien sind Medienberichten zufolge gegen eine Streichung. Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, könne sich allerdings eine Überarbeitung im Sinne einer klareren „Abgrenzung zwischen Werbung und Information“ vorstellen. Die FDP setze sich für eine „moderate Änderung“ ein.

ALfA e.V. fordert Erhalt von §219a – Werbung ist prägend

Die Aktion Lebensrecht für alle (ALfA e.V.) forderte indes in einer Pressemitteilung vom 1.12.2017 den Erhalt des Werbeverbots für Abtreibungen. „Werbesprüche sind in unserer Gesellschaft auf lange Sicht nicht nur bekannt, sondern teilweise prägend. Der Tenor ist in der Regel: Das ist toll, das muss ich unbedingt machen, das ist völlig in Ordnung, die anderen machen es auch“, erklärte die ALfA-Bundesvorsitzende Alexandra Linder. „Würden, falls laut Gesetzentwurf nur noch ‚anstößige Werbung‘ verboten bliebe, Werbeanzeigen wie ‚Unbeschwert abtreiben – Sonderangebot, nur 399,- Euro, nur bis Freitag!‘ als anstößig gesehen werden oder als faires Angebot für finanzschwache Frauen, die sich eine Abtreibung sonst nicht leisten können?“, fragte Linder weiter. Das Argument des Bundesjustizministers, das Gesetz sei ein Relikt aus der NS-Zeit und deshalb abzuschaffen, sei absurd. Dies impliziere, dass der deutsche Rechtsstaat mit dem NS-Regime gleichzusetzen sei. Der Rechtsstaat basiere jedoch, anders als das Dritte Reich, auf dem Grundsatz der Menschenwürde, die den Staat zum Schutz jedes Menschen verpflichte. Dies könne nur dazu führen, „dass Werbung für Handlungen, die Menschen schaden, verboten sein muss“, begründete Lindner.

Rechtslage in Österreich

Österreich kennt ein Werbeverbot für Abtreibungen wie in Deutschland nicht. Tatsächlich wäre auch sehr genau zwischen Information über das Leistungsangebot und Werbung zu differenzieren, meint Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF). Während es bei der neutralen Anführung der Leistung auf einer Website nicht im herkömmlichen Sinne um Werbung gehe, seien U-Bahnwerbungen und gezielte Angebote im Internet durchaus fragwürdig. Unabhängig der Meinung zur Fristenregelung, dürfe nicht vergessen werden, dass diese maßgeblich auf der Entscheidungsfreiheit der Frau begründet sei. Wenn eine Frau in einem Schwangerschaftskonflikt als Lösung nur die Abtreibung präsentiert bekomme, sei dies eine unzulässige Einflussnahme auf die Entscheidungsfreiheit, so die Biopolitikerin. Der Staat solle sich daher mehr darauf konzentrieren, Beratungs-  und Hilfsangebote im Schwangerschaftskonflikt anzubieten und zu bewerben. Ein Werbeverbot für Abtreibungen (im Gegensatz zu einem allumfassenden Informationsverbot) wäre im Sinne einer Entschärfung der Drucksituation auf Frauen daher auch für Österreich durchaus überlegenswert, so die Juristin.

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