Päpstliche Akademie
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VA / Lebensende: Weltärztebund berät mit Päpstlicher Akademie Fragen zum Lebensende

IEF, 22.11.2017 – Bei seiner dritten Regionalkonferenz zu Fragen am Lebensende tagte der Weltärztebund (WMA) auf Einladung der Päpstlichen Akademie für das Leben im Vatikan. Die überwiegende Mehrheit der Ärzteschaft sprach sich dabei gegen Tötung auf Verlangen oder assistierten Suizid aus.

Wie der Präsident der Deutschen Bundesärztekammer, Prof. Frank Ulrich Montgomery, bei seinem Einführungsstatement erinnerte, lehnt der Weltärztebund in seinen einschlägigen Deklarationen die Beteiligung von Ärzten an der Tötung auf Verlangen und am Selbstmord ab. Nur eine kleine Gruppe vertrete in dieser Frage eine andere Position, was aber zum Wesen liberaler Gesellschaften gehöre. Tatsächlich gewann man bei der hoch professionell geführten zweitägigen Konferenz den Eindruck, dass unabhängig von jeglichem kulturellen, religiösen und nationalen Hintergrund die weit überwiegende Meinung der über 100 anwesenden Mediziner war, dass die freiwillige Beendigung eines menschlichen Lebens auf Wunsch des Patienten nicht zu den ärztlichen Aufgaben gehöre. Ob nun aus jüdischer, orthodoxer, katholischer oder muslimischer Sicht, ob aus Israel, Südafrika, Japan, Rumänien, Finnland oder den USA, der Großteil der Wortmeldungen unterstütze die Ablehnung von Tötung auf Verlangen oder assistiertem Suizid, berichtet Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF), die als Mitglied der Arbeitsgruppe Palliativmedizin der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste an der Tagung teilgenommen hat.

Der Weltärztebund hat in seinen Deklarationen zu Euthanasie, der Behandlung im Endstadium einer Krankheit und der medizinischen Behandlung am Lebensende ein klar ablehnende Haltung zur Tötung auf Verlangen bzw. assistiertem Suizid festgelegt. Es gehört allerdings zur Übung des Weltärztebundes seine Politik regelmäßig zu überprüfen. Da es innerhalb der Ärzteschaft eine kleine Gruppe gebe, die Euthanasie als Teil der ärztlichen Aufgabe verstehe, habe man daher beschlossen, innerhalb eines Jahres weltweit vier Fachkonferenzen zu diesen Fragen zu veranstalten. Bisher fanden bereits die Sitzungen in Tokio und Rio de Janeiro statt. Nach Rom wird nunmehr die letzte Konferenz in Nigeria abgehalten werden.

Für den Veranstaltungsort Vatikan und die Kooperation mit der Päpstlichen Akademie für das Leben hat sich insbesondere der Deutsche Theologe und Psychiater Prof. Manfred Lütz eingesetzt. Als Mitglied der Akademie verfolgte er damit – scheinbar erfolgreich – das Anliegen von Papst Franziskus in Fragen der Bioethik und des Lebensschutzes den breiteren Austausch mit betroffenen Fachgruppen zu suchen.

Weltweites Recht auf palliative Versorgung gefordert

Einig waren sich alle Beteiligten und Referenten, dass es ein weltweites Recht auf palliative Versorgung geben sollte und stark investiert werden müsste, damit diese auch tatsächlich für Patienten erreichbar angeboten werden könnte. Einig war man sich aber auch, dass es im Hinblick auf manche Schmerzen Situationen geben könne, in denen Palliativmedizin die Symptome (noch) nicht ausreichend behandeln könne. In diesen Situationen unerträglicher Schmerzen gebe es die Möglichkeit der palliativen Sedierung, also der bewussten Versetzung in einen Schlafzustand. Ab einem gewissen Grad spricht man hier von „deep sedation“. Hier liege die ethische Herausforderung in der Feststellung und Unterscheidung der Absicht, erläutert Merckens. Während es bei therapeutischer Sedierung um die Linderung der Schmerzen bzw. die Bekämpfung von Symptomen gehe, wird bei terminaler Sedierung der Tod durch Entschlafen bezweckt. Mit Sorge verweist etwa Dr. Yvonne Gilli vom Schweizer Ärzteverband in ihrer Berichterstattung über die Schweizer Situation, dass die Zahl an Todesfällen nach tiefer Sedierung immer mehr steige. Der Schweizer Ärzteverband habe sich daher vorgenommen, genauer zu untersuchen, mit welcher Indikation diese Sedierungen vorgenommen wurden.

Hippokrates versus angebliche Entscheidungsautonomie

Eine andere Antwort auf unerträgliche Schmerzen vertrat Dr. René Héman, der Vorsitzende des Niederländischen Ärzteverbandes. Er sehe in diesen Fällen die Tötung durch den Arzt gerechtfertigt, insofern diese freiwillig, informiert und wohlüberlegt vom Patienten verlangt werde. Nach seinem Verständnis würde der Respekt vor der Autonomie und der Würde des Patienten verlangen, diesem das Recht auf medizinische Unterstützung zum Sterben einzuräumen. Héman unterscheidet hier nicht zwischen Beihilfe zum Selbstmord oder Tötung durch den Arzt. Allerdings verdeutlichte die niederländische Hausärztin Dr. Carin Littooij, dass die Patienten den Fähigkeiten des Arztes mehr Vertrauen schenkten als den eigenen und daher eine Durchführung der Tötung durch den Arzt wünschten. Héman wie auch Prof. Dr. Urban Wiesing, der später sprach, versuchten jedoch das Recht des Arztes, sich nicht an einer solchen Tat zu beteiligen, zu verteidigen.

Mehrere Referenten betonten aber, dass es nicht im Vermögen des Arztes liege, alle Schmerzen zu verhindern. Der Vorsitzende der Päpstlichen Akademie für das Leben, Erzbischof Monsignore Vincenzo Paglia, etwa hob hervor, dass Menschen sterblich seien. Und so sehr Ärzte Menschen auch behandeln könnten, sie könnten sie nicht von ihrer Sterblichkeit befreien. Montgomery erinnerte an den Eid des Hippokrates, wonach sich der Arzt verpflichte, kein zum Tod führendes Gift zu verabreichen, selbst wenn der Patient dies verlange. Gestützt wurde diese Sicht auch durch alle Beiträge der vier Religionsvertreter (Islam, Judentum, Orthodoxie, Katholizismus).

Haltungen am Lebensende beeinflussen einander – autonomer Pluralismus stößt an seine Grenzen

Gegen ein gesetzliches Verbot der ärztlichen Beteiligung an der gewünschten Tötung eines Patienten sprach sich Prof. Dr. Urban Wiesing von der Universität Tübingen aus. Er stützte seine Argumentation auf die Entscheidungsautonomie des Patienten und sprach ihm ein Recht auf die Selbstbestimmung des eigenen Todes zu. Außerdem würde das Konzept des Pluralismus verlangen, dass jeder seine eigene Position in diesen Fragen verfolgen dürfe. Wiesing wolle jegliche Position geschützt sehen – sowohl jene, die Tötung auf Verlangen oder assistierten Suizid in Anspruch nehmen, als auch jene, die dies nicht wollten. Insbesondere müsse dies auch durch Sozialversicherungssysteme und Gewissensfreiheit der Ärzte garantiert werden. Im Sinne seines Ansatzes hatte Wiesing bereits in der deutschen Debatte um eine Legalisierung der Sterbehilfe gemeinsam mit Gian Domenico Borasio, Ralf. J. Jox und Jochen Taupitz einen Gesetzesvorschlag publiziert, der die Straffreiheit für die Beihilfe zum Selbstmord durch Angehörige und Ärzte vorgesehen hätte. Deutschland entschied sich jedoch für ein Verbot der geschäftsmäßigen (medizinisch) assistierten Beihilfe zum Suizid, was eine Verschärfung der Rechtslage bedeutete, da Deutschland im Gegensatz zu Österreich kein Verbot der Beihilfe zum Selbstmord kannte, wie Merckens erläutert.

Während sich Prof. Dr. Christiane Druml, Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission, den Ausführungen Wiesings anschloss, konnte sein Argument des Pluralismus die überwiegende Zahl der Zuhörer und Referenten nicht überzeugen. Die Zahlen aus der Schweiz, Belgien, den Niederlanden, aber auch Oregon zeigten, dass überall eine teilweise massive Steigerung an Todesfällen durch assistierten Suizid oder Tötung auf Verlangen erfolgte, wo diese zugelassen wurden. Und zwar zusätzlich zu den Suiziden ohne Beihilfe. Nachweislich steige auch der Druck auf Ärzte, die sich weigerten, an der Tötung auf Verlangen mitzuwirken, wie etwa der Vorsitzende des finnischen Ärzteverbandes, Dr. Heikki Pälve. In Finnland wird derzeit eine Lockerung des Verbots diskutiert. In der Debatte sieht sich die Ärzteschaft, die gegen eine Aufweichung ist, einem großen medialen und öffentlichen Druck und dem Vorwurf der Unbarmherzigkeit ausgesetzt. Prof. Dr. Stephan Sam von der Universität in Frankfurt zeigte auf, dass eine Zulassung der Beihilfe zum Selbstmord bzw. der Tötung auf Verlangen bedeute, dass die freiwillige Beendigung des Lebens gesellschaftlich akzeptiert werde. Dies wäre ein Schlag ins Gesicht jeglicher Suizidprävention. Schon jetzt zeigten die steigenden Fallzahlen nach Selbstmorden von bekannten Persönlichkeiten, dass Selbstmord ansteckend sei. Prof. Chris Gastmans von der Universität in Leuven wiederum warnte vor einer Legalisierung von Sterbehilfe, da diese oft zu einer Normalisierung und schließlich zur Routine führe. Angesichts der ausufernden Zahlen in Belgien bekam diese Aussage ein besonderes Gewicht.

Selbst wenn man Wiesings Ansatz die philosophische Absicht abnehme könne, im Sinne einer Entscheidungsautonomie zum Wohle des Individuums vorzugehen, so sei er doch angesichts der ökonomischen Realität eine Illusion, meint Dr. Stephanie Merckens. Schon jetzt wären weite Bevölkerungsgruppen der Welt vom bereits möglichen palliativ-medizinischen Angebot abgeschnitten, wie etwa die Referentin aus Rumänien, Dr. Daniela Mosoiu, betonte. Die Legalisierung assistierten Suizids oder Tötung auf Verlangen würde einen Ausbau der Investitionen noch uninteressanter machen und daher automatisch Druck erzeugen.

Völlig unbeantwortet blieb zudem, wie durch ein etwaiges Primat der Entscheidungsautonomie des Patienten gerechtfertigt werden könnte, dass Sterbehilfe nur im Falle unerträglicher Schmerzen erlaubt werden solle. Wie Sam veranschaulichte, wären Restriktionen bzw. Bedingungen einer legalen Sterbehilfe ja wiederum eine Beschränkung eines möglichen Patientenwillens. Eine Änderung des Verständnisses des ärztlichen Auftrages hätte somit einschneidende Folgen auf die realen Entscheidungsoptionen anderer, weswegen das Konzept des Pluralismus hier nicht mehr greifen könne.

Übertherapie moralisch nicht vertretbar

Unabhängig von der Frage des assistierten Suizids bzw. der Tötung auf Verlangen wurde bei der Konferenz auch der Aspekt der Übertherapie angesprochen. Papst Franziskus sprach den Anwesenden in seiner Grußbotschaft dabei aus der Seele, indem er betonte, dass es angesichts der enormen medizinisch-technischen Entwicklungen Situationen geben könne, in denen eine Behandlung des todkranken Menschen in keinem Verhältnis zum erhofften Ergebnis der Heilung oder Schmerzlinderung stünden. In einer solchen Situation könne es moralisch gerechtfertigt sein, auf eine weitere Behandlung zu verzichten. Es gehe in solchen Fällen nicht darum, den Tod herbeizuführen, sondern zu akzeptieren, dass man ihn nicht verhindern könne. Dies sei etwas völlig anderes als Euthanasie, welche immer falsch sei, da es dabei um die Absicht gehe, Leben zu beenden und den Tod herbeizuführen.

Die Worte von Papst Franziskus schafften es in der italienischen Presse auf die erste Seite aller wichtigen Zeitungen und sorgten auch bei manchen Referenten für großes positives Echo. Dies ist insofern zumindest interessant, da der Inhalt an sich nicht neu ist und sich bereits auf Festlegungen durch Papst Pius XII. stützt. Wie aber auch die von Prof. Dr. Druml in ihrer Präsentation vorgebrachten Fallbeispiele zeigten, gebe es in der Anwendungspraxis der Ärzte gerade in diesem Bereich noch großen Klärungsbedarf, da es immer wieder zu Übertherapie komme aus Angst vor rechtlicher Verfolgung. Ob gerechtfertigt oder ungerechtfertigt spiele dabei im Ergebnis keine so wesentliche Rolle, zeige aber den großen Bildungs- und Kommunikationsbedarf unter Ärzten und Juristen, betont Merckens.

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