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AT / Lebensende: „Veto“ aus zahlreichen Ecken zu einer Legalisierung der Suizidbeihilfe

IEF, 01.10.2020 – Zahlreiche Experten meldeten sich aus Anlass der Verfassungsgerichtshofberatungen gegen eine Legalisierung von Suizidbeihilfe zu Wort.

Elisabeth Pittermann: „Tabulos soll man durchaus diskutieren, aber nicht handeln“

Dr. Elisabeth Pittermann ist Ärztin und Gesundheitssprecherin des Pensionistenverband Österreich (PVÖ). Die SPÖ-Politikerin war von 2000 bis 2004 Wiener Stadträtin für Gesundheits- und Spitalswesen. Als Expertin war sie bei der öffentlichen Verhandlung des Verfassungsgerichtshof (VfGH) am 24.09.2020 anwesend und wurde zum Thema befragt. Die Ärztin lehnt eine Legalisierung von Suizidbeihilfe und Tötung auf Verlangen ab. „Da ich nicht religiös bin, ist die Religion nicht mein Motiv, den assistierten Suizid abzulehnen, sondern die Angst vor Missbrauch, die Angst vor einem Tabubruch, die Angst davor, sich allmächtig zu fühlen“, so Pittermann in einem Gastbeitrag in der Tageszeitung Der Standard. Das Töten von Menschen sei ein Tabubruch, eine menschliche Gesellschaft brauche aber Tabus. Man könne wohl tabulos diskutieren, nicht jedoch tabulos handeln. Sie warnt davor, den Mitarbeitern des Gesundheitssystems, die ohnehin unter großem Druck stünden, auch noch die Bürde des Tötens zuzumuten. „Warum will man von Ärzten und anderen im Medizinbereich Tätigen verlangen, dass sie assistierten Suizid leisten? Es ist so ‚sauber, so steril, so losgelöst von Eigenverantwortung – ja geradezu eine medizinische (Be-)Handlung‘“, kritisiert die Ärztin.  Die Angst vor dem Tod, vor dem Unbekannten führe dazu, dass manche den Zeitpunkt und die Art des Todes selbst bestimmen möchten. „Aber man will es nicht allein durchführen, andere sollen das Ende zumindest mit verursachen“, so Pittermann. Aus ihrer mehr als 40-jährigen ärztlichen Tätigkeit wisse sie, dass „fast alle Menschen leben wollen, wenn sie weitgehend schmerzfrei sind, sowie ihre Familie weder emotional-pflegerisch noch durch hohe Kosten belasten“. Daher rührten schließlich die Bemühungen, in ausreichendem Ausmaß und mit öffentlicher Finanzierung Hospizbetten sowie ambulante Hospizdienste und Tagesstationen bereitzustellen. Für die Ärztin gehe es im aktuellen Verfahren nicht um die Handlung eines Einzelnen an sich selbst, sondern um eine weitreichende gesellschaftspolitische Frage und Entscheidung. Sie hoffe, dass das den entscheidenden Juristen bewusst sei, denn „alle Menschen müssen Achtung vor dem menschlichen Leben haben, daher darf die Tötung oder Beihilfe dazu auch unter sogenannten ‚humanitären Vorzeichen‘ nie erlaubt werden“.

Repliken auf Pittermanns Gastbeitrag finden sich im Standard oder in der Presse etwa unter dem Titel „Sterbehilfe erlauben: Im Geist der Selbstbestimmung“ von Schriftsteller Alois Schöpf, dem wiederum der Strafrechtsprofessor Peter Lewisch in der Presse kontert. Ganz im Gegensatz zu Schöpf sieht Lewisch „nicht den geringsten Anlass für eine verfassungsgerichtliche Intervention und eine Gesetzesänderung im Umgang mit Sterbehilfe“.

Verein BIZEPS: „Alle Jahre wieder kommen die Euthanasieritter*innen“

Der Verein BIZEPS, der sich für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen einsetzt, kritisierte jüngst in einem Beitrag auf seiner Website: „Befürworter*innen der Sterbehilfe haben keinen ganzheitlichen Blick auf die Dinge. Sie forcieren nur den selbstbestimmten Tod, nicht das selbstbestimmte Leben.“ Alle Jahre kämen die „Euthanasieritter*innen“ wieder, um den Bürgern im „Tarngewand der Selbstbestimmung“ vorzugaukeln, die Freiheit sei endlos und höre nur bei der verbotenen Sterbehilfe auf. Der Autor des Artikels, Andreas Oechsner, schießt scharf und wirft den „Befürworter*innen der Sterbehilfe“ vor, von der Vorstellung getrieben zu sein, alles Leid eliminieren zu können. „Das Geborenwerden und das Sterben gehört zum Leben. Deshalb braucht Leben Zeit, Liebe, Geduld und finanzielle Ressourcen“, so Oechsner. Es sei „arrogant“, Menschen mit einer Behinderung oder Krankheit immer wieder Lebensqualität abzusprechen.

Auch Martin Ladstätter, Obmann von BIZEPS, fokussiert das selbstbestimmte Leben und nicht den selbstbestimmten Tod. „Das große Versäumnis der Politik besteht nicht darin keine Regelungen zur Sterbehilfe geschaffen zu haben. Das große Versäumnis der Politik besteht darin bisher ein würdevolles Leben bis zum Ende zu verweigern“, so Ladstätter. „Es ist eine verlogene Diskussion, wenn bei Sterbehilfe plötzlich von Selbstbestimmung gesprochen wird und gleichzeitig angeblich keine ausreichenden Mittel für ein flächendeckendes gut ausgebautes Palliativ- und Hospizwesen vorhanden sein sollen“, so der Obmann und fügt als Interessensvertreter der Selbstbestimmt Leben Bewegung hinzu: „Gerade Menschen mit Behinderungen werden in Österreich Unterstützungsmaßnahmen wie beispielsweise die Persönliche Assistenz nur mangelhaft zur Verfügung gestellt.“ Er fordere dringend dazu auf, die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung zu stärken und die Maßnahmen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen endlich umzusetzen.

Stellungnahme des Dachverband Hospiz Österreich und der Österreichischen Palliativgesellschaft

In der bereits im März 2020 veröffentlichten Stellungnahme mit dem Titel „Gut leben können und Sterben dürfen“ lehnen der Dachverband Hospiz Österreich (DVHÖ) und die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) jegliche Liberalisierung des Status quo in Bezug auf Suizidbeihilfe und Tötung auf Verlangen ab. Bereits jetzt sei die Autonomie am Lebensende durch Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Ablehnung von Behandlung etc. möglich. Aus der Betreuungsrealität wisse man, dass der Todeswunsch von schwerkranken Patienten vielfach schwinde, wenn diese Menschen wirksame Linderung und Entlastung erfahren würden. Das „Ich will nicht mehr leben“ müsse übersetzt werden als „Ich will so nicht mehr leben“. Notwendig sei auch die gezielte Unterstützung von Angehörigen, die die Patienten spürbar entlasten könne. Denn oft sei die Not der Angehörigen bzw. des sozialen Umfelds größer als die Not der Patienten. Der Präsident der Palliativgesellschaft Rudolf Likar bedauert in der Kronenzeitung, „dass im Zusammenhang mit der Debatte das Bild vermittelt werde, ein würdiges und autonomes Lebensende sei nur auf dem Weg des assistierten Suizids oder der Euthanasie möglich“. Vielmehr stünden den verschiedenen in der Palliativmedizin tätigen Berufsgruppen eine breite Palette von Möglichkeiten zur Verfügung, um schwer kranke Menschen zu unterstützen und deren Leiden zu lindern. „In unserer täglichen Praxis erfahren wir, dass Menschen trotz schwerer Erkrankungen sehr gerne leben – und dass viele Vorstellungen schlichtweg nicht zutreffen, die gesunde Menschen von schweren Erkrankungen haben“, stellt der Experte klar.

Psychiaterin Christa Rados: Veränderlicher Todeswunsch

Die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Christa Rados, sprach sich in der Kleinen Zeitung ebenso gegen eine Legalisierung von Suizidbeihilfe aus. „Der Wunsch zu sterben ist meist keine endgültige Entscheidung, sondern fluktuiert als Ausdruck von Angst und Ambivalenz stark“, erklärte Rados wie auf kathpress nachzulesen ist. „Todeswünsche können auch bei körperlich Kranken Ausdruck einer Depression sein, die sich durch Behandlung bessert. Der Wunsch nach Suizidhilfe entsteht meist aus der Angst vor dem Ausgeliefertsein – vor unbeherrschbaren Schmerzen, vor dem Ersticken und der Einsamkeit“, so die Ärztin. Bereits durch die Vermittlung der Möglichkeiten palliativer Medizin relativiere sich dieser Wunsch oft. Rados verwies darauf, dass in Ländern mit liberaler „Sterbehilfe“-Regelung wie Belgien und den Niederlanden die geforderten Kriterien der „Unerträglichkeit des Leidens“ und der „fehlenden Aussicht auf Besserung“ stark von äußeren Einflüssen abhängig seien. Sogar Arbeitslosigkeit, Partnerlosigkeit, finanzielle Probleme und Einsamkeit würden dabei als Gründe angegeben – „Probleme, auf welche die Erfüllung des Todeswunsches kaum die adäquate Antwort eines hochentwickelten Staatswesens sein kann“, betonte die Psychiaterin und Primaria am Landeskrankenhaus Villach.

Neben Rados positioniert sich in einem Interview mit Profil noch ein weiterer Psychiater, Michael Lehofer, gegen eine Legalisierung von assistiertem Suizid. „Wenn man die Selbsttötung freigibt, öffnet man ein Tor, das Menschen einlädt, diese letzte Krise ihres Lebens nicht zu bewältigen“, so Lehofer. Er als Psychiater sei aber davon überzeugt, dass „Krisenbewältigung der einzige Weg in die Freiheit ist“. Viele Menschen legten während ihres Lebens fest, das Leben sei nicht mehr lebenswert, wenn dieses oder jenes eintrete. Hier sei es vorteilhaft, „Konzepte zu verwerfen und sich immer wieder dem Neuen im Leben zu stellen, auch wenn es mit Leid verbunden ist, denn Brüche im Leben können wertvoll sein“, meint der Psychiater. Eine gewisse Restriktion von Selbsttötung sei jedenfalls besser als die Erlaubnis, mit der viele Nachteile in Kauf genommen werden müssten. Denn man müsse auch bedenken: „Die Erfahrung in anderen Staaten zeigt, dass unappetitliche Geschäftemacherei mit dem Tod passiert.“

Weitere Stimmen gegen eine Legalisierung von Suizidbeihilfe

Zahlreiche weitere aktuelle Stimmen von Experten, Vereinigungen oder Journalisten, die sich gegen eine Legalisierung von Suizidbeihilfe aussprechen und die unter „Aktuelles“ auf der Website www.lebensende.at zu finden sind. (TSG)

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