AT / Lebensende: Vermeintliche „Sterbehilfe“ war Mord
IEF, 23.10.2019 – Eine Frau, die ihrem Lebensgefährten im April 2018 auf der Intensivstation des Wiener AKH den Beatmungsschlauch entfernte, wurde gestern vom Wiener Landesgericht für Strafsachen wegen Mordes verurteilt.
Medienberichten zufolge erhielt die nicht vorbestrafte Frau unter Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechts drei Jahre Haft, davon ein Jahr unbedingt. Die Geschworenen hatten nach überraschend kurzer Beratungszeit die Hauptfrage nach Mord mit 7 zu 1 Stimmen bejaht. Die Angeklagte sei wegen Mordes zu verurteilen, worauf an sich zehn bis 20 Jahre oder lebenslange Haft steht. In diesem Fall sei aber Platz für die vom Gesetz in Ausnahmefällen vorgesehene außerordentliche Strafmilderung.
Verteidiger und Angeklagte hatten sich mit „Tötung auf Verlangen“ (§ 77 StGB) gerechtfertigt und argumentiert, die 53-jährige Frau hätte ihrem Lebensgefährten beim Sterben „geholfen“.
„Das ist ein bewegender Fall, der für die Öffentlichkeit, die Gesellschaft spannend ist. Was darf man mit einem Sterbenden tun, was darf man mit einem Sterbenden nicht tun“, erklärte der Staatsanwalt Michael Ortner am Ende der Verhandlung. Die Angeklagte habe keinesfalls Sterbehilfe geleistet, sondern „im Rausch, im Alkoholsuff Unfug getrieben“. Der Verteidiger erwiderte, es sei für seine Mandantin eine Frage der Ehre, der Liebe gewesen, das zu tun. Laut dem Sachverständigen für Intensivmedizin, Rudolf Likar, war der Patient zum Zeitpunkt, als die Schläuche gezogen wurden, längst nicht mehr bei Bewusstsein: „Der Sterbeprozess war im Gange.“ Der Mann wäre auch ohne Zutun der 53-Jährigen gestorben. Man habe ihn im Krankenhaus nur mehr mit Schlaf- und Schmerzmitteln versorgt, um Angehörigen die Möglichkeit zu geben, sich von ihm zu Lebzeiten zu verabschieden.
Die zum Tatzeitpunkt alkoholisierte Frau entfernte ihrem Lebensgefährten den Dialysekatheter, den Beatmungstubus, die Magensonde sowie die EKG-Kabel. Die Frau flüchtete daraufhin, der Mann verstarb fünf Minuten später. Der Mann hätte sich zwar im Sterbeprozess befunden, durch die Tat der Frau sei der Tod aber früher eingetreten, stellt der Staatsanwalt klar. Ein derartiges Verhalten sei nicht zu tolerieren: „Dann können’S auf jeder Intensivstation in Österreich einen WEGA-Beamten hinstellen. Und zu einer Erbtante zwei.“, so der Staatsanwalt.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, denn Verteidiger Daniel Gahleitner habe um Bedenkzeit gebeten. Diese beträgt in Strafsachen drei Tage. Sollte die Frist ohne Erklärung des Verteidigers verstreichen, wird das Urteil rechtskräftig. Wenn der Verteidiger Rechtsmittel gegen die verhängte Strafe ergreift, wird das Urteil nicht rechtskräftig und die Frage nach der Strafhöhe erneut aufgerollt. Die Entscheidung der Geschworenen über die Schuld hingegen ist endgültig und es kann dagegen kein Rechtsmittel ergriffen werden. (TSG)