AT / Lebensende: Vereint in der Trauer um Herbert Pichler
IEF, 13.04.2021 – Am Karsamstag starb der Präsident des Österreichischen Behindertenrates bei einem tragischen Autounfall. Stephanie Merckens erinnert an einen Kämpfer und seinen dringenden Appell gegen die Suizidbeihilfe.
„Die Nachricht traf aus heiterem Himmel …. Warum sagt man eigentlich „heiterer“ Himmel? „Heiter“ war da gar nichts. Mich erreichte die Nachricht als einfache Whatsapp-Meldung – eher spät, denn es war Karsamstag, und ich wollte Berufliches außen vor lassen. Aber Herbert war eben nicht „nur“ beruflich, auch wenn ich ihn „nur“ beruflich kannte. Laut Information der Polizei wurde Herbert in den Morgenstunden des 3. April 2021 beim Einsteigen in seinen PKW von einem Autolenker, der ohne Führerschein, aber unter Drogeneinfluss unterwegs war, erfasst und so schwer verletzt, dass er noch am Unfallort verstarb – so berichten zahlreiche Medienmeldungen, begleitet von unglaublich schnellen, tief betroffenen Reaktionen der Trauer und des Schocks. An erster Stelle Bizeps – das Zentrum für selbstbestimmtes Leben, dessen Angehörige eng mit Herbert verbunden waren. Herbert war wortstarker Aktivist und Kämpfer für Selbstbestimmung und Gleichstellung behinderter Menschen (Bizeps); eine der prägendsten Persönlichkeiten der österreichischen Behindertenpolitik (Anschober); ein wichtiger Wegbereiter für die gesellschaftliche Inklusion und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung (Korosec).
Er war wortstark, leidenschaftlich, hartnäckig und unermüdlich (Fiedler). Er arbeitete mit Herz und Durchhaltevermögen (Korosec).
Sein Tod hinterlässt eine große Lücke (SPÖ), macht betroffen (FPÖ) und zutiefst bestürzt (ÖVP). Sein Tod ist ein unfassbarer Verlust (NEOS).
Nicht nur im großem Engagement um Inklusion und Gleichberechtigung, sondern auch persönlich. Wie die zahlreichen Reaktionen zeigen, schaffte es Herbert sehr schnell, aus rein „beruflichen“ Kontakten „persönliche“ zu machen. Ingrid Korosec (ÖVP) erlebte ihn als „stets optimistischen und herzlichen Menschen“, nicht nur Fiona Fiedler (NEOS) stand er immer „mit gutem Rat zur Seite“, zahlreiche Behindertenorganisationen konnten auf „ihren“ Präsidenten als wahren Freund zählen (Bündnis für Gemeinnützigkeit; Büro des Österreichischen Behindertenanwalts, Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs; Licht für die Welt; Österreichischer Behindertenverband; Österreichisches Hilfswerk; ÖZIV; Unabhängiger Monitoringausschuss; …). Ebenso wie all jene, mit denen er als Leiter des Chancen Nutzen Büros des ÖGB verbunden war (Arbeitsminister Kocher; AMS Buchinger und Kopf; Wiener Sozialstadtrat Hacker; …).
Auch mir ging es so. Wir trafen uns „beruflich“ bei zwei seiner wichtigen Herzensanliegen. Bei der Abschaffung der Spätabbruchmöglichkeit wegen Behinderung des ungeborenen Kindes und bei der Warnung vor der Sterbebeihilfe. Ich lernte Herbert kennen, als ich ihn zum Film „Die dritte Option“ von Thomas Frühapter interviewen und später zur Frage „Ist der Feminismus behindertenfeindlich?“ moderieren durfte. Einige Jahre später trafen wir uns wieder – in unserer Sorge um die Freigabe der Sterbehilfe in Österreich. Herbert war in diesem Punkt ganz klar: Öffnen wir nicht die Büchse der Pandora – wer überlegt, sich das Leben zu nehmen, ist nicht frei – er wusste, wovon er sprach. Und er sprach in aller Öffentlichkeit darüber: Zuletzt in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ am 27.9.2020 zum Titel „Mein Tod – der schmale Grat beim Thema Sterbehilfe!“. Wenn ich mich nicht ganz irre, dann war dieser Tag sein Geburtstag, denn er freute sich auch deswegen wie ein „Schneekönig“, endlich im ORF auftreten zu können.
Und er hatte so viel zu sagen: Allein im Jahr 2011 hat er acht Menschen beim Weg zurück vom „Sterben wollen“ zum „Leben wollen“ begleitet. Selbst hatte er im Jahr 2000 so sehr unter einem doppelten Tinnitus und einer Depression aufgrund von Burnout leiden müssen, dass er über einen längeren Zeitraum plante, sich das Leben zu nehmen. Aber er schaffte es, doch noch am Dach des Hochhauses umzudrehen. Er kannte die Todessehnsucht und konnte sie sogar in vielen Fällen nachvollziehen. Aber gerade deswegen sagte er nicht nur „Vorsicht vor der Büchse der Pandora“, sondern „Bitte nicht! – Bitte öffnen Sie nicht die Büchse der Pandora.“
Herbert hatte keine Scheu, Themen gegen den Mainstream anzusprechen. Aber es ging ihm nicht ums Provozieren. Ich hatte vielmehr den Eindruck, er wollte sein Gegenüber im Herzen erreichen. Das Leben war dramatisch genug. Ohne seinen Anliegen die Dringlichkeit zu nehmen, schaffte er es mit seinem Humor eine Leichtigkeit zu vermitteln, die einlud, seinem Weg zu folgen.
Herbert war ein Mensch, den man anrufen konnte, um sich aufbauen zu lassen. Sein Tod hinterlässt eine große Leerstelle (Bundespräsident Van der Bellen). Dem Aufruf von NEOS-Fiedler kann ich mich nur anschließen: „Wir werden in Deinem Sinne weiterkämpfen“. Aber Deine Stimme fehlt. Du fehlst – nicht nur jetzt, wenn es darum geht, eine Regelung der Sterbehilfe zu finden, die Deine so berechtigten Einwände möglichst umfassend abfedern kann.“ (StM)