AT / Lebensende: Verbot der Suizidbeihilfe aus Zeit des Austrofaschismus? Ein Hintergrundbericht
IEF, 14.11.2020 – Befürworter der Suizidbeihilfe schwingen immer wieder die Austrofaschismus-Keule gegen das im § 78 geregelte Verbot. Was steckt dahinter?
Nicht zuletzt in der öffentlichen Verhandlung vor dem VfGH versuchte die Seite der Antragsteller das Verbot der Suizidbeihilfe moralisch zu unterwandern, in dem sie auf dessen angeblichen Ursprung aus der Zeit des Austrofaschismus verwies (siehe dazu etwa den Bericht der Tageszeitung Die Presse). Das IEF hat dazu recherchiert:
Austrofaschismus
Geschichtlich gesehen, beginnt in Österreich die später als Austrofaschismus bezeichnete Periode mit dem Ausschalten des Parlaments im Jahre 1933. 1934 folgte die Erlassung der Maiverfassung, die den autoritären Ständestaat unter der Führung von Engelbert Dollfuß und später Kurt Schuschnigg endgültig etablierte. Das sich am italienischen Faschismus orientierende politische System des Austrofaschismus, das sich sowohl gegen das linke politische Lager als auch gegen die NS-Ideologie richtete, wurde 1938 mit dem „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich vom Nationalsozialismus abgelöst.
Geschichtlicher Hintergrund des § 78 Strafgesetzbuch
Die Verabschiedung des Vorgängerparagraphen des heutigen § 78 StGB, der die „Mitwirkung am Selbstmord“ unter Strafe stellte, fällt tatsächlich in die Zeit des Austrofaschismus. Der § 139b Strafgesetz wurde im Zuge der Neuordnung der vorsätzlichen Tötungsdelikte durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1934 eingeführt. Damit wurde jedoch vor allem eine bedenkliche Rechtslage bereinigt und eine jahrzehntelang von Rechtswissenschaftlern erhobene Forderung erfüllt.
Bereinigung der Rechtslage
Denn obwohl die Strafbarkeit des Suizids durch das kaiserliche Patent vom 17. Jänner 1850 aufgehoben wurde, wurde die Beihilfe zum Suizid weiterhin strafrechtlich geahndet. Wie Alois Birklbauer in einem Kommentar zum § 78 StGB schreibt, behalf man sich in der Praxis mangels Strafbarkeit der Haupttat (Suizid) damit, die Beihilfe zum Suizid unter einen anderen Paragraphen zu subsumieren, nämlich unter das vorsätzlich und fahrlässig begehbare, objektiv erfolgsqualifizierte Lebensgefährdungsdelikt des § 335 Strafgesetz. In der Rechtslehre sei diese Konstruktion, die einer strafbaren Haupttat entbehrte, jedoch vielfach kritisiert worden, so Birklbauer. Deshalb habe man zur Bereinigung der Rechtslage die Einführung eines eigenen Delikts der „Teilnahme am Selbstmord“ gefordert. Diese Forderung wurde schließlich durch das Strafrechtsänderungsgesetz von 1934 umgesetzt und mit dem § 139b Strafgesetz ein „delictum sui generis“ – also ein eigenes (Grund-)Delikt – geschaffen.
Große Strafrechtsreform unter Christian Broda
Der heute geltende § 78 StGB wurde im Zuge der großen Strafrechtsreform 1973 unter dem damaligen langjährigen SPÖ-Justizminister, Christian Broda, kodifiziert. Dabei wurde die Formulierung des die Beihilfe zum Suizid regelnden § 139b StG weitgehend übernommen. Die Strafdrohung wurde allerdings von schwerem Kerker von einem bis zu fünf Jahren bzw. in schweren Fällen von fünf bis zu zehn Jahren auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren herabgesetzt. Ein wesentlicher Schritt, da dadurch in einer Zusammenschau aller Milderungsgründe bei besonders berücksichtigungswürdigem Sachverhalt eine mögliche Strafe auf bis zu einem Tag bedingte Geldstrafe reduziert werden kann. (AH)