Roe vs Wade-Urteil
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US / Abtreibung: Reaktionen auf gekipptes Roe vs Wade-Urteil

IEF, 29.06.2022 – Dass die Kompetenz zur Entscheidung über Abtreibungsfragen an die US-Bundesstaaten zurückgegeben wurde, schlägt nicht nur in den USA hohe Wellen.

Bereits im Mai gab es durch den Leak eines Urteilsentwurfs des amerikanischen Supreme Courts Andeutungen über die mögliche Aufhebung des berühmten Grundsatzurteils Roe vs Wade, das 1973 erstmals die strafrechtliche Verfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen in den USA verboten hatte (das IEF hat berichtet). Daraufhin kam es zu landesweiten, teils gewalttätigen Protesten und auch Drohungen an die Höchstrichter (das IEF hat berichtet) Nun ist das Urteil gefallen: Fünf der neun Höchstrichter stimmten für die Aufhebung von Roe vs Wade.

„Kein Recht auf Abtreibung ableitbar“

In seiner Begründung betonte der Supreme Court, dass aus der amerikanischen Verfassung kein Recht auf Abtreibung abgeleitet werden könne und die Kompetenz, das „Abtreibungsrecht“ zu regulieren, auf die Bevölkerung und deren gewählte Repräsentanten zurückgehen werde. Damit ist es den 50 US-Bundesstaaten nun selbst überlassen, über ein „Recht auf Abtreibung“ zu entscheiden.

Biden: „Tragischer Fehler“

Bestürzt über das Urteil zeigte sich unter anderem US-Präsident Joe Biden, der die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs als „tragischen Fehler“ bezeichnete. Das Gericht habe den Menschen nämlich gezielt ein verfassungsmäßiges Recht weggenommen, das so grundlegend für viele Amerikaner sei. „Diese Entscheidung darf nicht das letzte Wort sein“, sagte Biden und kündigte an, dass er alles in seiner Macht Stehende tun werde, um diesen „zutiefst unamerikanischen Angriff“ zu bekämpfen. Auch der ehemalige US-Präsident Barack Obama zeigt sich schockiert über das Urteil. Der Oberste Gerichtshof habe die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen könne, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen und die grundlegenden Freiheiten von Millionen Amerikanern angegriffen, so Obama. Entsetzt zeigten sich überdies Kanadas Premierminister Justin Trudeau und der britische Premierminister Boris Johnson, der angab, immer an das Recht der Frauen geglaubt zu haben, selbst zu entscheiden.

Zahlreiche Unterstützungsangebote

Neben den Ankündigungen Bidens, das Urteil nicht einfach so stehen lassen zu wollen, wurde auch anderweitig „Hilfe“ angeboten. So will etwa New York ein „sicherer Hafen“ für Frauen sein und allen Frauen das „Abtreibungsrecht“ weiterhin uneingeschränkt sichern. „Mit der Freiheitsstatue im Hafen bleibt New York auch immer ein sicherer Hafen für Frauen auf der Suche nach der Freiheit, ihren eigenen Körper zu kontrollieren“, so die New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul. Man habe bereits den New Yorker Haushalt um 35 Millionen Dollar aufgestockt, um Abtreibungskliniken besser auszustatten und die Abtreibungskosten von hilfesuchenden Frauen aus anderen Bundesstaaten aufzufangen. Auch der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom versprach Unterstützung. Kalifornien habe sich mit Washington und Oregon zusammengeschlossen, um eine Westküsten-Offensive zu bilden und die „reproduktive Freiheit“ in den jeweiligen Bundesstaaten zu schützen, so Newsom.

Gespaltene Meinungen in Österreich

Das höchstgerichtliche Urteil entfachte auch in Österreich erneut eine Diskussion über die derzeitige Abtreibungsregelung. Justizministerin Alma Zadić richtete sich mit einem wütenden Post auf Twitter an die Höchstrichter. Es mache Zadić wütend, dass ein halbes Jahrhundert nach der Einführung des „Rechts auf Abtreibung“, dieses „verfassungsmäßige Recht“ nun abgeschafft werde. Auch ÖVP-Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm hält das Urteil für einen „erschreckenden Rückschritt ins Zeitalter der Engelmacherinnen“ und Frauenministerin Susanne Raab betonte, dass Frauen nicht in illegale Abtreibungen gezwungen werden dürften und dass Fragen der Abtreibung in einer Demokratie in die Hände der Bürgerinnen und Bürger bzw. der Parlamente gehöre.

Der Wiener Diözesansprecher Michael Prüller wies darauf hin, dass doch eigentlich genau das durch das Urteil passiert sei. Im Kern gehe es nämlich nicht darum, ob Abtreibung gut oder böse sei, sondern um die Rückgabe der Hoheit über Abtreibungsgesetze an die Parlamente. Es sei daher ein guter Schritt, der die Demokratie in Amerika und hoffentlich auch Europa stärken könne, so Prüller.  Der Trend, dass Richter mittels einer immer freieren Interpretation die Verfassung ergänzten, was eigentlich den Parlamenten zustünde, werde mit dem Urteil gebremst und das sei ein Meilenstein. Wollten Richter selbst Recht setzen, so sollten sie in die Politik gehen. Das Thema Abtreibung gehöre jedenfalls nicht im Supreme Court verhandelt, sondern im Volk, durch die Politik und die gewählten Volksvertreter, so der Jurist.

Plonner: „Frauen nach Abtreibung nicht gesünder“

Dass eine Abtreibung keine Gesundheitsleistung und auch kein Menschenrecht sei, bekräftigte die Vorsitzende der Bürgerinitiative #fairändern, Petra Plonner. Frauen seien nach einer Abtreibung nicht „gesünder“, sondern oft schwer traumatisiert. Plonner begrüßt daher die Diskussion über die Folgen und Alternativen einer Abtreibung. Das Thema Abtreibung selbst, aber auch das Leiden nach einer Abtreibung, das sehr viele Frauen betreffe, müsse aus dem Tabu geholt werden, ist sich Plonner sicher. #fairändern stelle sich daher mit der Forderung nach einer anonymen Abtreibungsstatistik und Motivforschung entschieden an die Seite der Frauen. „Niemand darf in einer solchen Notsituation allein gelassen werden. Häufig werden Frauen durch psychische und physische Gewalt zur Abtreibung gedrängt. #fairändern steht für Information, Empowerment, Mut und bestmögliche Unterstützung“, so eine Presseaussendung von #fairändern zum Supreme Court-Urteil.

Glettler: „Ja zum Leben wichtiger als Strafbarkeit“

Familienbischof Hermann Glettler sprach sich in einer Stellungnahme für mehr Unterstützung von Frauen in Konfliktschwangerschaften aus. Er betonte, dass die katholische Kirche keinesfalls an der Strafbarkeit interessiert sei, sondern daran, dass Menschen Ja zum Leben sagen. Das bedeute, dass Frauen jene Hilfe erhalten müssten, die sowohl ihren Bedürfnissen und Rechten als auch jenen ihrer Kinder gerecht würden. Aus therapeutischen und seelsorglichen Gesprächen sei bekannt, dass eine Abtreibung für die meisten betroffenen Frauen unabhängig von ihren religiösen Einstellungen lebenslang ein Thema bleiben würde. Es sollte sich daher keine Frau durch soziale Umstände oder andere Einflüsse genötigt sehen, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Es sei jedoch auch klar, dass es niemandem zustehe, über Frauen zu urteilen, die einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich hätten. „Damit wurde viel Leid verursacht“, so der Familienbischof. Das Supreme Court Urteil betreffend bekräftigte Glettler, dass „weder euphorische Kundgebungen noch aggressive Gegenreaktionen“ angemessen seien, denn die Entscheidung sei rein juristischer und nicht ethischer Natur gewesen. Durch die Rückgabe der Zuständigkeit für die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen an die einzelnen Bundesstaaten und deren demokratisch gewählte Regierungen sei Klarheit geschaffen worden. Im Gegensatz zum Recht auf Leben gebe es ein „Recht auf Abtreibung“ außerdem weder in Europa noch international. Kein Staat könne daher verpflichtet werden, Abtreibung zu legalisieren, so Glettler. (TS)

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