
DE / Erziehung: Mutter muss Einsicht in Smartphone des Sohnes haben
IEF, 03.07. 2017 – In Deutschland sorgt ein Gerichtsurteil fĂĽr Aufsehen, welches weitreichende Folgen unter anderem fĂĽr die Benutzung der Messenger-App „Whats- App“ haben könnte. Das Gericht entschied, dass eine Mutter eine schriftliche Einverständniserklärung aller Kontakte ihres Sohnes einholen mĂĽsse, sowie eine persönliche Weiterbildung zum Themenbereich digitale Medien belegen solle. Geschieht ersteres nicht, dĂĽrfe „Whats-App“ nicht weiterhin benutzt werden. Ausgehend von einem Gerichtsverfahren, in dem es ursprĂĽnglich um wiederholte Streitigkeiten zwischen dem Sohn und dem Vater ging, entwickelte sich das Verfahren hin zu Entscheidungen, die weit ĂĽber den Anlassfall hinaus Auswirkungen haben könnten.
Aus dem Beschluss des Amtsgerichts Bad Hersfeld geht hervor, dass Ursprung des Konflikts offensichtlich eine Familienstreitigkeit über den Smartphone-Konsum des gemeinsamen 11- jährigen Sohnes der Eltern war, die seit kurzem getrennt sind. Laut Sachverhaltsdarstellung lebt der Sohn bei seiner Mutter, besucht aber seinen Vater alle zwei Wochen über das Wochenende. Bei diesen Besuchen kam es dann immer wieder zu Konflikte über den Umgang mit dem Smartphone. Das Urteil zeigt nun, wie wenig Eltern oft über die digitale Welt, in der sich ihre Kinder inzwischen stundenlang bewegen, Bescheid wissen.
Einige Folgen der Entscheidung könnten nicht nur für die Familie selbst weitreichende Folgen haben, sondern für alle, die Messenger-Dienste wie „Whats-App“ oder ähnliches verwenden. So entschied der Richter, dass die Mutter Einblick in alle Kontakte des Sohnes auf dem Smartphone haben müsse. Begründet wird dieses Recht, das gleichzeitig zur Pflicht wird, wie folgt: Der Messenger-Dienst „Whats-App“ lasse durch die Annahme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, ohne die eine Nutzung nicht möglich ist, beim Download den Nutzer den Zugriff auf alle seine Kontakte bestätigen, welche somit dann „Whats-App“ bzw. dessen Eigentümern „Facebook“ gehörten. Unabhängig davon, dass die Benutzung von „Whats-App“ erst ab 13 Jahren gestattet sei, habe die Mutter als rechtliche Vertreterin ihre Sohnes die Pflicht, jeden einzelnen Kontakt in der Kontaktliste des Sohnes schriftlich um die Autorisierung der Freigabe seiner Kontaktdaten zu bitten.
Der Beschluss des Amtsgerichts Bad Hersfeld, der bisher nur eine Einstweilige Anordnung zwischen den Parteien ist, hat bereits für einige Diskussion gesorgt. Während Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar gegenüber Zeit online meint, dass der Hersfelder Richter „die Verantwortlichkeit der Nutzer für die Weitergabe der Daten (…)in einer extensiven Weise interpretiert“, aber im strengen Sinne nicht falsch auslegt, ist Thomas Stadler, Fachanwalt für IT-Recht, kritischer: Das Auslesen der Daten werde schließlich von „Whats- App“ begangen und nicht vom Nutzer selber, was so streng genommen vermutlich nicht dem Deutschen Recht entspreche.
Für Familien sind jedoch vor allem die Auflagen interessant, die der Richter der Mutter auferlegt, bei der der Sohn hauptsächlich lebt. Sie wurde unter anderem dazu verpflichtet eine sogenannte „Mediennutzungs-Vereinbarung“ zu treffen, in der Mutter und Sohn gemeinsam absprechen, was und wie viel in digitalen Medien konsumiert wird. Die Auflagen zeigen, wie wichtig es ist, das Eltern Einblick haben in das, was ihre Kinder an ihrem Smartphone oder auch in den sonstigen digitalen Medien tun. Das Amtsgericht sieht es als Pflicht der Eltern an „[D]ie Nutzung dieses Gerätes durch das Kind bis zu dessen Volljährigkeit ordentlich zu begleiten und zu beaufsichtigen.“ Fehlende Kenntnis oder Wissen sei hier kein Grund dieser Pflicht nicht nachzukommen. Eltern müssen in der Lage sein ihr Kind im Zweifelsfall vor drohenden Gefahren auch in diesem Bereich zu schützen. Das setzt ein gewisses Wissen voraus, dass sich laut dem Urteil die Eltern, falls nicht vorhanden, „unmittelbar und kontinuierlich anzueignen“ haben.
Die jährlich in Deutschland durchgeführte JIM (Jugend, Information, Media)-Studie ergab, dass Jugendliche durchschnittlich drei Stunden pro Tag online sind. Wie groß der Einfluss der sozialen Medien auf Kinder und Jugendliche heute ist, zeigen Studien wie die angeführte immer wieder. Umso wichtiger ist es, das Eltern nicht wegschauen, sondern bewusst hinschauen und mit ihren Kindern im Gespräch darüber bleiben, mit was sich diese im Netz beschäftigen. Anordnungen wie die des Amstgerichts Bad Hersfeld machen deutlich, dass digitalen Medien nicht von der Sorge- und Aufsichtspflicht ausgeschlossen sind, sondern vielmehr der besonderen elterlichen Aufmerksamkeit bedürfen.
Hier die wichtigsten Anordnungen der Einstweiligen Anordnung im Wortlaut:
- Ăśberlassen Eltern ihrem minderjährigen Kind ein digitales ’smartes‘ Gerät (z.B. Smartphone) zur dauernden eigenen Nutzung, so stehen sie in der Pflicht, die Nutzung dieses Geräts durch das Kind bis zu dessen Volljährigkeit ordentlich zu begleiten und zu beaufsichtigen.
- VerfĂĽgen die Eltern selbst bislang nicht ĂĽber hinreichende Kenntnisse von ’smarter‘ Technik und ĂĽber die Welt der digitalen Medien, so haben sie sich die erforderlichen Kenntnisse unmittelbar und kontinuierlich anzueignen, um ihre Pflicht zur Begleitung und Aufsicht durchgehend ordentlich erfĂĽllen zu können.
- Es bestehen keine vernünftigen Gründe, einem Kind ein Smartphone auch noch während der vorgesehenen Schlafenszeit zu überlassen. Die Mutter wurde daher angeordnet, dem Kind das Smartphone vor dem Schlafengehen abzunehmen.
- Wer den Messenger-Dienst „WhatsApp“ nutzt, ĂĽbermittelt nach den technischen Vorgaben des Dienstes fortlaufend Daten in Klardaten-Form von allen in dem eigenen Smartphone-Adressbuch eingetragenen Kontaktpersonen an das hinter dem Dienst stehende Unternehmen. Wer durch seine Nutzung von „WhatsApp“ diese andauernde Datenweitergabe zulässt, ohne zuvor von seinen Kontaktpersonen aus dem eigenen Telefon-Adressbuch hierfĂĽr jeweils eine Erlaubnis eingeholt zu haben, begeht gegenĂĽber diesen Personen eine deliktische Handlung und begibt sich in die Gefahr, von den betroffenen Personen kostenpflichtig abgemahnt zu werden. Der Mutter wurde daher aufgetragen, von allen Personen, welche aktuell im Adressbuch des Smartphones ihres Sohnes gespeichert sind, schriftliche Zustimmungserklärungen fĂĽr die Verwendung ihrer Daten fĂĽr „WhatsApp“ einzuholen.
- Nutzen Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren den Messenger-Dienst „WhatsApp“, trifft die Eltern als Sorgeberechtigte die Pflicht, ihr Kind auch im Hinblick auf diese Gefahr bei der Nutzung des Messenger-Dienstes aufzuklären und die erforderlichen SchutzmaĂźnahmen im Sinne ihres Kindes zu treffen. Die Mutter wurde daher verpflichtet, mit dem Kind eine Medien-Nutzungsvereinbarung abzuschlieĂźen und regelmäßig mit dem Sohn Gespräche ĂĽber die Verwendung des Smartphones zu fĂĽhren. AuĂźerdem wurde sie verpflichtet, Smartphone und Adressbuch des Sohnes regelmäßig in Augenschein zu nehmen.