EU / Familie: Staatliche Kindesabnahme in Norwegen nach acht Jahren als ungerechtfertigt aufgehoben
IEF, 2.10.2019 – Bereits mehrfach stieß das norwegische Jugendamt Barnevernet in den letzten Jahren auf internationale Kritik wegen willkürlicher Kindesentziehung. Nun entschied die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes mit Urteil vom 10.9.2019 für eine Mutter, welcher im Jahr 2008 durch das Jugendamt das neugeborene Kind entzogen wurde.
In der Begründung führte das Gericht aus, dass die damalige behördliche Maßnahme das Recht auf Familienleben nicht ausreichend gewahrt habe. Der Fall Strand Lobben vs. Norway ist einer von mehreren Fällen, bei denen die norwegische Jugendwohlfahrt in Kritik steht, Kinder zu schnell ihren Eltern abgenommen zu haben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte konkret zu prüfen, ob das norwegische Jugendamt im Sinne des Kindeswohl und zum Wohle der Familie entschieden hat und eine Kindesabnahme – als eigentliche ultima ratio – gerechtfertigt war. Im dem Verfahren zugrunde liegenden Fall wurde ein drei Wochen altes Kind der Mutter entzogen, nachdem sie um Hilfe in der ersten Zeit mit ihrem Neugeborenen bat. Die Kindesabnahme wurde mit Zweifel an der elterlichen Erziehungsfähigkeit zu rechtfertigen versucht. Das drei Wochen alte Kind wurde in einer Pflegefamilie untergebracht und der Mutter wurde die Möglichkeit eingeräumt, ihr Kind für acht Stunden pro Jahr zu sehen. Jegliche Versuche der Mutter ihr Kontaktrecht auszuweiten, blieben erfolglos. Darüber hinaus wurde gegen den Willen der Mutter das Adoptionsverfahren eingeleitet und ihr somit alle elterlichen Rechte entzogen.
Die Kindesabnahme als letzte Konsequenz
Wie das Straßburger Büro von ADF International, das die Familie während des Prozesses rechtsfreundlich belgeitet hat, in seinem Bericht vom 10.09.2019 ausdrücklich betont, sollte es immer die letztmögliche Konsequenz der zuständigen Behörden sein, bei Kindern eine Fremdunterbringung anzufordern. Kindesentziehungen können schwere Langzeitfolgen sowohl für die Kinder als auch für die gesamte Familie bedeuten. Kinder zur Adoption gegen den Willen der Mutter frei zu geben, wie in diesem Fall geschehen, sei ein irreversibler und extremer Eingriff in das Recht auf Familienleben, betont etwa Jennifer Lea, Rechtsbeistand für ADF International. Ein solcher könne nur in Ausnahmefällen, wie Gewalt gegen das Kind, gerechtfertigt werden. Eine solche Ausnahmesituation sei aber nicht vorgelegen, wie der EGMR nun auch bestätigte.
Leider kein Einzelfall in Norwegen
Das norwegische Jugendamt Barnevernet steht schon länger in internationaler Kritik, voreilig Kinder aus ihren Familien zu nehmen. Allein der EGMR muss sich derzeit mit rund einem Dutzend gleichgelagerter Fälle beschäftigten. Der bekannteste ist jener der rumänisch-norwegischen Familie Bodnariu. Da die Eltern ihre fünf Kinder im christlichen Glauben erziehen wollten und die norwegische Kinderschutzbehörde hierüber informiert wurde, wurden der Familie die Kinder abgenommen. Erst nach mehr als einem dreiviertel Jahr und unzähligen internationalen Interventionen durften die Kinder wieder zurück zu ihrer Familie. Anfängliche Vorwürfe der körperlichen Züchtigung erwiesen sich als völlig haltlos.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) hat sich anlässlich der Vorkommnisse in Norwegen zum Thema Kindesabnahme geäußert und in einer Resolution ausdrücklich festgehalten, dass Fremdunterbringung von Kindern nur als letztes Mittel und wenn möglich nur vorübergehend erfolgen soll. Familie steht über allem und es sollte alles darangesetzt werden, das Familienleben zu fördern und nur wenn wirklich nötig mit externer Hilfe zur Seite zu stehen.
Entscheidung in die richtige Richtung
Der Anwalt von Strand Lobben, Grégory Thuan Dit Dieudonne, hielt klar fest, dass es sich bei diesem Urteil um eine positive Entscheidung für die Rechte der Eltern in Norwegen und darüber hinaus handle, auch wenn dieses Urteil nicht die fehlenden letzten zehn Jahre wieder aufholen könne, die der Familie gemeinsam mit ihrem Kind genommen wurden.
Durch dieses Urteil wird der hohe Stellenwert der Familie klar hervorgehoben und darauf hingewiesen, dass sich auch Norwegen an die europäischen Standards zu halten hat und eine Kindesentziehung nur gerechtfertigt ist, wenn physische oder psychische Gewalt im Spiel ist oder eine ernsthafte Annahme der fehlenden elterlichen Erziehungsfähigkeit gegeben ist. (KSW)