INT / Pro-Life: Der UN-Menschenrechtsauschuss will das Recht auf Leben als Recht auf Abtreibung verstehen

IEF, 16.11.2018 – Das Expertengremium hat nach mehrjährigen Konsultationen einen „Allgemeinen Kommentar“ (General Comment) zum Artikel 6 des Internationalen Paktes über politische und bürgerliche Rechte (ICCPR) verabschiedet.

UN-Menschenrechtsauschuss

Der UN- Menschenrechtsauschuss ist eines der zehn UN-Vertragsorgane, die mit der Förderung und Durchsetzung der Menschenrechte beauftragt sind. Konkret überprüft der aus 18 Experten zusammengesetzte Ausschuss Staatenberichte der Mitglieder des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR). In Bezug auf Staaten, die das Fakultativprotokoll unterzeichnet haben, ist der Ausschuss zudem befugt, Individualbeschwerden von Bürgern des jeweiligen Staates zu verhandeln. Außerdem erarbeitet der Menschenrechtsausschuss «Allgemeine Kommentare» (General Comments) zur Konkretisierung der einzelnen Paktrechte.

General Comment

Wie das IEF bereits berichtet hat, arbeitete der UN-Menschenrechtsauschuss seit 2015 an einer Neuinterpretation des Artikel 6 ICCPR. Das Ergebnis wurde am 30. Oktober 2018 im General Comment Nr. 36 zusammengefasst und veröffentlicht.

Aus Recht auf Leben soll „Recht auf Abtreibung“ ableitbar sein

In dem Kommentar wird unter anderem das Recht auf Leben des Ungeborenen dem Recht der Frau auf Selbstbestimmung unterstellt. „Obwohl die Staaten Maßnahmen setzen können, die den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch regulieren, dürfen solche Maßnahmen nicht das Recht auf Leben der Schwangeren oder andere ihr durch diesen Pakt zuerkannten Rechte verletzen.“ Die Regierungen müssten Abtreibungen unter allen Umständen entkriminalisieren und „alle existierenden Schranken, die Frauen und Mädchen einen effektiven Zugang zu einer legalen und sicheren Abtreibung versperren, beseitigen. Diese Schranken betreffen auch die Geltendmachung der Gewissensklausel durch medizinisches Personal. In dem Kommentar wird den Staaten die Pflicht auferlegt, immer dann einen effektiven, sicheren und legalen Zugang zur Abtreibung zu schaffen, wenn das Austragen der Schwangerschaft erhebliche Schmerzen oder Leiden für die Schwangere zur Folge hätte. Zudem haben Regierungen gemäß dem Menschenrechtsausschuss dafür zu sorgen, dass Mädchen und Buben Zugang zu einer weiten Palette an erschwinglichen Verhütungsmetoden haben und präventive Maßnahmen zu setzten, um der Stigmatisierung von Mädchen, die eine Abtreibung vornehmen wollen, entgegenzuwirken.

Der Kommentar ist im Hinblick auf ein etwaiges Recht auf Abtreibung damit etwas weniger radikal ausgefallen, als der im Begutachtungsentwurf übermittelte Text, meint dazu Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF). Insbesondere wurde die Passage hinsichtlich der Abtreibung wegen Behinderung des ungeborenen Kindes insofern abgeschwächt, als sie nur mehr auf die (Nicht-)lebensfähigkeit des Kindes abstellt. Eine entsprechende Kritik etwa durch den UN-Behindertenausschuss scheint hier berücksichtigt worden zu sein. Dennoch geht der Kommentar weiterhin von einer staatlichen Pflicht aus, Frauen vor unsicheren Abtreibungen zu schützen und verdreht damit die ursprüngliche Bedeutung des Rechts auf Leben in seinem Wesenskern, kritisiert Merckens. Für die Juristin hat die UN-Menschrechtskommission damit eindeutig ihre Kompetenz überschritten. Dass dies nicht ohne Diskussion erfolgte zeigt ein Video einer Sitzung, bei der der ägyptische Vorsitzende der Kommission seine persönliche Ablehnung gegenüber der Propagierung der Abtreibung kundtut und sich daraufhin mit einer Vielzahl empörter Reaktionen seiner Kollegen konfrontiert sieht (ab Min 46).

… und am Ende des Lebens

Im Bereich der Sterbehilfe wurde der ursprüngliche Textentwurf konsequenter entschärft. Statt wie ursprünglich von einem allgemeinen Recht auf assistierten Suizid auszugehen, wird nunmehr anerkannt, dass die Regelung dieser Frage weiterhin in der Kompetenz der Staaten liege. Während der Entwurf (in Punkt 10) noch alle Staaten dazu verpflichten wollte, medizinischen Fachkräften Sterbehilfe-Maßnahmen zu ermöglichen („facilitate the termination of life“), bezieht sich der verabschiedete Text (in Punkt 9) nur mehr auf jene Staaten, die Sterbehilfe erlauben und verpflichtet diese, sicherzustellen, dass im Zuge dessen der freie Wille des Patienten sichergestellt werde.

Besonders kritisch bleibt aber, dass der Text weiterhin die Sterbehilfe mit dem Wunsch, „in Würde sterben zu wollen“, gleich setzt. Gerade die Wortwahl „würdevolles Sterben“ oder „Sterben in Würde“ wird damit – im krassen Gegensatz zu den Ansätzen der Palliativmedizin – uminterpretiert und zu einem Platzhalter für Sterbehilfe, so Merckens.

Stellungnahme Österreichs

Im Zuge der Konsultationen folgte Österreich, wie viele andere Staaten und Organisationen dem Aufruf, eine Stellungnahme einzureichen und wehrte sich dagegen, aus Artikel 6 ICCPR eine verallgemeinerbare Pflicht zur Bereitstellung sicherer Abtreibungen ableiten zu wollen. In Bezug auf die Forderung, sichere Abtreibungen ohne jegliche Begrenzungen zu gewährleisten, betonte Österreich, dass der Schwangerschaftsabbruch als Straftatbestand in §96 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt sei. Grundsätzlich sei ein Schwangerschaftsabbruch in Österreich daher straffbar und nur in den Ausnahmetatbeständen des § 97 StGB straffrei.

Rechtswirkung

General Comments haben zwar rechtlich gesehen keine bindende Wirkung, sie werden jedoch als „Richtlinien“ für nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung herangezogen. Es sei daher besonders kritisch, wenn gerade die Menschenrechtskommission dazu tendiert, das Recht auf Leben in ein „Recht auf autonome Lebensführung“ umzuinterpretieren, zeigt sich Merckens besorgt. Damit würde die ursprüngliche Bedeutung eines Abwehrrechts, das allen gleichermaßen zusteht, in ein Anspruchsrecht bis hin zu einem Recht auf Kosten anderer umgedeutet. Dies betreffe nicht nur ganz konkret das Leben des ungeborenen Kindes, sondern auch die Gewissensfreiheit des medizinischen Personals. Im Hinblick auf das ungeborene Kind sei zu betonen, dass der englische Text weiterhin von „every human being“ spricht und nicht auf die Frage nach der rechtlichen „person“ abstellt, erinnert Merckens.  Die Position mancher Experten, die unter anderem in einem Video über eine der Beratungen deutlich geworden ist, sei in erschreckendem Maße von einer eugenischen Grundhaltung geprägt, die zu Recht starke Gegenreaktionen ausgelöst hat.

Neben der nicht zu unterschätzenden „Interpretationskraft“ seiner Kommentare ist der Menschenrechtsausschuss ein “Quasi-Justizorgan” der Vereinten Nationen, das Menschenrechtsverletzungen im Rahmen von Individualbeschwerden von Bürgern jener Staaten, die das Fakultativprotokoll unterzeichnet haben, ahndet. Dass Entscheidungen des Ausschusses auch weitreichende Folgen haben können, konnte man am Beispiel des vom Menschenrechtsausschuss forcierten Referendums erkennen, im Rahmen dessen die irische Bevölkerung im Sommer letzten Jahres über eine mögliche Lockerung der Abtreibungsregelung abstimmen musste. Das IEF hat darüber im Blogbeitrag vom 4.10.2017 berichtet. (ah)

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