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FR / Bioethik: Überraschende Wende im Verfahren rund ums neue Bioethikgesetz

IEF, 11.02.2021 – Unter anderem lehnte der Senat Abtreibung bis zur Geburt ab. Das letzte Wort hat allerdings die Nationalversammlung.

Völlig unerwartet verabschiedete der französische Senat in der Nacht von 3. auf 4. Februar das Bioethikgesetz in zweiter Lesung, wie La Croix berichtete. Erstaunen gab es vor allem deswegen, weil der Senat in vielen Punkten von dem in erster Lesung bearbeiteten Gesetzesentwurf abwich.

Seit 2019 andauernder Prozess

Die im Oktober 2019 erstmals diskutierte Gesetzesnovelle (das IEF hat berichtet) sah eine Ausweitung der medizinisch unterstützten Fortpflanzung auf alle unter 43-jährigen Frauen vor, unabhängig davon, ob diese single, in einer homosexuellen oder heterosexuellen Beziehung leben. Zudem wollte man das „social egg freezing“, bei dem Frauen auf Vorrat ihre Eizellen einfrieren lassen können, erlauben und genauso wie die „In-vitro-Fertilisation (IVF) für alle“ auf Kassenkosten ermöglichen. Die Forschung embryonaler Stammzellen sollte weiters neu geregelt werden und unter anderem die Bildung von „Chimären“, also Embryonen, die eine Mischung aus Tier und Mensch sind, erlauben. In erster Lesung passierte jener Entwurf die Nationalversammlung und wurde anschließend an den Senat weitergereicht, welcher etliche Abänderungen vorsah, im Kern jedoch die Anliegen der Nationalversammlung teilte.

In zweiter Lesung wurde der durchaus umstrittene Entwurf dann abermals der Nationalversammlung vorgelegt, welche neben den oben genannten Punkten noch zusätzlich eine „medizinische Abtreibung“ bis zur Geburt bei „psychosozialer Belastung“ der Mutter vorsah. Auch diesem Entwurf wurde samt seinen Änderungen zugestimmt und wiederum dem Senat zur Begutachtung vorgelegt. Mit der kürzlich erfolgten Abstimmung des Senats scheint sich das Gesetz nun in Richtung Zielgerade zu bewegen. Jedoch wurde diesmal erheblich von den bisherigen Vorstellungen für die Bioethikreform abgewichen.

Keine IVF für Singles, Grenzen bei der Anerkennung der Leihmutterschaft

Wie Aleteia berichtete, nahm die Sitzung eine unerwartete Wendung als der Senat mit 174 zu 122 gegen die Öffnung der IVF für alleinstehende Frauen stimmte und die allgemeine Kostenübernahme durch die Krankenkassa ablehnte. Während nach langen Diskussionen der assistierte Reproduktion „post mortem“ zugestimmt wurde (die Entnahme von Ei- oder Samenzellen einer toten Person, um damit ein Kind zu zeugen), lehnte man die Erzeugung von „Chimären“ als eine „Überschreitung der roten Linie der Bioethik“ ab. Auch der Abtreibung bis zum neunten Schwangerschaftsmonat schob man – zumindest vorerst –  einen Riegel vor. Das Einfrieren von Eizellen auf Vorrat soll nicht ohne medizinischen Grund vonstattengehen. Außerdem verbot der Senat die volle Transkription der Geburtsurkunde eines durch eine Leihmutter im Ausland geborenen Kindes in das französische Geburtenregister. Den Vätern, die ihre Samenzellen, und den Müttern, die ihre Eizellen geben, soll nach wie vor die direkte Abstammung des Kindes bescheinigt werden. Während die ersten Gesetzesentwürfe vorsahen, dass auch der zweite Elternteil als gleichberechtigt anerkannt werden sollte, beschloss der Senat nun, dass hier nur der Weg der Adoption und keine direkte Abstammung offensteht. Leihmutterschaft in Frankreich lehnt Staatspräsident Emmanuel Macron nach wie vor als eine „ethisch inakzeptable Kommerzialisierung des Körpers der Frau“ ab, wie ND berichtete.

Letztes Wort bei Nationalversammlung

Die Entscheidung des Senats, die von den Kritikern der Bioethikreform sehr begrüßt wurde, könnte jedoch bald wieder umgedreht werden. Nach der zweiten Lesung wird der Entwurf nun einem Spezialkomitee bestehend aus beiden legislativen Kammern vorgelegt, um an einem gemeinsamen Gesetzestext zu arbeiten. Sollte es hier zu keiner Einigung kommen, würde der Ball wieder an die Nationalversammlung zurückgespielt werden, der schlussendlich das letzte Wort zukommt. Mit einer Mehrheit von Macrons Partei „La République en Marche“ (LREM) in der Nationalversammlung wäre es dann sehr wahrscheinlich, dass Frankreich bald eines der liberalsten und zugleich umstrittensten Bioethikgesetze weltweit hat. (TS)

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