DE / Lebensende: Überfraktioneller Entwurf eines Suizidhilfe-Gesetzes liegt vor
IEF, 02.02.2021 – Am 29.1. dJ legten die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr u.a. einen überfraktionellen Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe vor.
Eine Neuregulierung der Suizidhilfe war notwendig geworden, nachdem das deutsche Bundesverfassungsgericht am 26.2.2020 (Aschermittwoch) das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 deutsches Strafgesetzbuch) als verfassungswidrig aufgehoben hatte (Lesen Sie hier die Analyse des Urteils von Dr. Stephanie Merckens). Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung war erst 2015 nach langwierigen Diskussionen eingeführt worden, um zu verhindern, dass sich Sterbehilfeorganisationen in Deutschland breit machen. Suizidhilfe als solche war und ist in Deutschland nicht verboten. Allerdings sollte durch das Verbot eine Normalisierung des assistierten Suizids sowie ein Erwartungsdruck vermieden werden.
Wie berichtet gestand das deutsche Höchstgericht dem Staat zwar ein legitimes Interesse zu, vermeiden zu wollen, dass sich Suizid zu einer gesellschaftlichen Normalität entwickle. Es betonte aber, dass dieses Anliegen nicht dazu führen dürfe, die Inanspruchnahme von gewünschter Suizidassistenz faktisch unmöglich zu machen und ging davon aus, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung genau zu einer solchen faktischen Verunmöglichung führen würde. Der Gesetzgeber solle daher über weniger einschneidende Maßnahmen sicherstellen, dass ein Erwartungsdruck vermieden werde und sichergestellt werde, dass der Entschluss des Suizidwilligen frei und eigenverantwortlich und im Vollbesitz der geistigen Kräfte erfolge.
Der erste Entwurf wurde nun von den Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP), Dr. Karl Lauterbach (SPD), Dr. Petra Sitte (Die Linke), Swen Schulz (SPD) und Otto Fricke (FDP) eingebracht und gilt daher als überfraktionell. Die Einbringenden konstatieren, dass die Beihilfe zur Selbsttötung seit dem Urteil des dt. Bundesverfassungsgerichts zwar wieder legal sei, aber weiterhin faktische Hürden bestünden. Daher wären Menschen, die „sehnlichst sterben möchten und Menschen, die bereit sind, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten“, einer nicht hinreichend geregelten Rechtsmaterie ausgesetzt. Insbesondere wäre es weitehrhin unmöglich, „Medikamente zur Selbsttötung“ zu erhalten. Auch stünden insbesondere Ärzte in den meisten Bundesländern einem berufsrechtlichen Verbot der Suizidhilfe gegenüber. Der Entwurf formuliere daher „Voraussetzungen, damit sich Menschen zukünftig einer Begleitung am Lebensende sicher sein können und auch Zugang zu Medikamenten zur Selbsttötung erhalten.“
Dementsprechend lautet der Langtitel des nunmehr vorgeschlagenen Suizidhilfegesetz auch „Gesetz zur Wahrung und Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende“. Es räumt jedem, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben beenden möchte, das Recht zu, hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ebenso solle jeder das Recht haben, einem anderen, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben beenden möchte, Hilfe zu leisten. Niemandem dürfe verboten werden, Suizidbeihilfe zu leisten bzw. die Leistung zu verweigern.
Von einem autonomen gebildeten, freien Willen wird ausgegangen, insofern die Person über 18 sei, keine akute psychische Störung vorliege, keine unzulässige Einflussnahme oder Druck ausgeübt würde, der Entschluss von einer gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit getragen sei und dem Suizidwilligen alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte bekannt seien. Insbesondere solle er seine Handlungsoptionen zum Suizid kennen und deren Für und Wider abwägen können.
Der Entwurf sieht zwar einen Rechtsanspruch auf eine kostenlose Beratung vor, aber keine Pflichtberatung. Außerdem habe die Beratung ergebnisoffen geführt zu werden. Sie habe zwar u.a. die Handlungsalternativen aufzuzeigen, aber nur, wenn der Suizidwillige seinerseits die notwendigen Informationen zu seinem gesundheitlichen Zustand bekannt gebe. Nur im Einvernehmen mit dem Suizidwilligen seien ärztliche, fachärztliche, psychologische, sozialpädagogische oder andere Fachkräfte oder die Angehörigen beizuziehen. Die Beratungsstellen, die nach der Beratung eine Bescheinigung ausstellen müssen, seien von den Ländern einzurichten. Sie müssen von Einrichtungen, die Suizidhilfe leisten, unabhängig sein. Wenn begründete Zweifel daran bestehen, dass die suizidwillige Person tatsächlich aus autonom gebildetem, freiem Willen handle, habe der Berater dies auf der Bescheinigung zu vermerken.
Explizit wird im Entwurf vorgesehen, dass ein Arzt das Recht habe, einer suizidwilligen Person ein Arzneimittel zum Zwecke der Selbsttötung zu verschreiben. Für die Durchführung eines ärztlich assistierten Suizids dürfe die Bescheinigung der Beratungsstelle höchsten 8 Wochen und mindestens 10 Tage alt sein. Damit wäre auch die Dauerhaftigkeit und innere Festigkeit des Sterbewunsches nachgewiesen. Die näheren Bestimmungen der ärztlichen assistierten Suizidbeihilfe sollen im Zuge einer Verordnung geregelt werden.
Zur Umsetzung dieses Gesetzes müsse insbesondere auch das Betäubungsmittelgesetz geändert werden. Demnach solle eine Anwendung oder Verschreibung auch dann begründet sein, wenn die Voraussetzung der ärztlichen assistierten Suizidbeihilfe vorliegen.
Erste Kritik aus der Palliativmedizin
In einer ersten Reaktion äußerte sich etwa die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Dr. Claudia Bausewein, zwar grundsätzlich positiv gegenüber der Tatsache, dass es einen Entwurf gebe – aber dann doch eher kritisch gegenüber der rudimentären Beratungsregelung. In einem Interview für Deutschlandfunk meinte sie, eine einmalige Beratung sei doch sehr wenig, insbesondere da es sich bei Suizidwünschen meist um ein ambivalentes und nicht ein beständiges Phänomen handle. Es brauche eine nicht wertende, offene Diskursbeziehung, um überhaupt beurteilen zu können, ob wirklich ein frei verantwortlicher, autonom gebildeter Entschluss vorliege – gerade auch bei Personen, die ohne an einer terminalen Erkrankung zu leiden, einen Suizidwunsch umsetzen wollen. Gerade aus ihrer 25-jährigen Praxiserfahrung wüsste sie, dass das Äußern eines Suizidwunsches nicht gleich bedeute, dass auch ein Handlungsbedarf bestehe. Im Umfeld der Palliativmedizin komme es durchaus häufig vor, dass Patienten nicht mehr leben wollen. Aber hinter den geäußerten Sterbewünschen stünde in den allermeisten Fällen nicht die Aussage, nicht mehr leben zu wollen, sondern vielmehr so nicht mehr leben zu wollen. Und an diesem „so“ könne man in der Palliativ- und Hospizversorgung sehr viel tun. (StM)