AT / Abtreibung: Schlechte finanzielle Situation und teure Verhütungsmittel ausschlaggebend für Schwangerschaftsabbrüche?
IEF, 11.6.2018 – Familienberatungsstellen aus Vorarlberg berichten, dass 10 % der ungewollt Schwangeren angeben, sich keine Verhütungsmittel leisten zu können. Laut einigen Experten soll sich die Situation in den letzten Jahren verschlimmert haben.
Die im Auftrag der deutschen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 2016 herausgegebene Studie „frauen leben 3 – Familienplanung im Lebenslauf von Frauen“ scheint diese Ansicht zu unterstützen. Laut der Studie würden sexuell aktive Frauen, die ihre finanzielle Situation subjektiv als schlecht einschätzten, trotz nichtvorhandenem Kinderwunsch häufiger nicht verhüten. Standarisierte Befragungen von Frauen ergaben in dem Zusammenhang, dass befragte Frauen, je schlechter sich ihre finanzielle Situation in der Vergangenheit darstellte, umso häufiger sie auf Spirale oder Pille verzichtet hätten. Diese Aussage treffe jedenfalls auf ein Viertel aller Frauen zu, die staatliche Unterstützungsleistungen erhielten.
An der Erforschung der Zusammenhänge zwischen Abtreibung und Zugang zu Verhütungsmitteln beteiligte sich auch Gilda Sedgh vom Guttmacher Institute, einer auf die reproduktive Gesundheit spezialisierten Forschungseinrichtung aus den USA. „In den entwickelten Ländern ist der anhaltende Rückgang der Abtreibungsraten größtenteils durch eine stärkere Verwendung moderner Kontrazeptiva bedingt, die Frauen mehr Kontrolle über das Timing und die Anzahl der Kinder gibt, die sie haben wollen“, so die Forscherin und Leiterin zahlreicher einschlägiger Studien.
Diese und ähnliche Aussagen würden auf den ersten Blick den Eindruck vermitteln, dass Abtreibungen tatsächlich reduzierbar wären, wenn Verhütungsmittel in Österreich kostenlos wären bzw. die Krankenkasse die Kosten übernehmen würde. So etwa die jahrzehntelange Forderung des Wiener Gynäkologen Dr. Christian Fiala. Bei näherer Betrachtung stelle sich jedoch heraus, dass die Problematik vielschichtiger sei und es weiterer Lösungsansätze bedürfe, um die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu senken, meint Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF).
Ein ebenfalls vom Guttmacher Institute veröffentlichter Bericht zum „nicht gedeckten Verhütungsbedarf in Entwicklungsländern“ kam zu dem Schluss, dass Frauen mit einem „unmet need“ (einem nicht erfüllten Bedarf an Verhütung) selten als Begründung angeben, keinen Zugang zu Verhütungsmittel gehabt zu haben, von Verhütung nichts gewusst zu haben oder dass Verhütung zu teuer gewesen wäre.
Ähnlich argumentiert auch der Verein aktion leben, der 2015 eine Bürgerinitiative zur statistischen Erhebung von Abtreibungen in Österreich gestartet hatte. Er hebt hervor, dass Verhütungsmittel zwar wichtig, die Kosten dafür aber in Österreich „selten“ ein ausschlaggebender Grund für einen Schwangerschaftsabbruch seien. Diese Aussage basiert auf einer 2014 in Österreich vom FrauenGesundheitsZentrum Salzburg durchgeführten Studie “Wenn Verhütung misslingt …”, die den Grund für Schwangerschaftsabbrüche eher in einer ambivalenten Haltung von Frauen gegenüber dem Kinderwunsch sieht. Die Studie fand heraus, dass Frauen, die eine Schwangerschaft nicht völlig ausschließen wollen, meist auch nicht zuverlässig verhüten. Der kostenlose Zugang zu Verhütungsmitteln würde in diesen Fällen die Anzahl von Abtreibungen somit nicht verringern.
Einen weiteren Grund, warum Frauen immer häufiger auf moderne Verhütungsmittel verzichten, nennt auch Gynäkologin und Geburtshelferin, Dr. Gerlinde Akmanlar-Hirscher. Sie macht als Ärztin immer häufiger die Erfahrung, dass ihre Patientinnen keine Hormone mehr einnehmen wollen. Das bestätigt auch die o.g. Studie „Wenn Verhütung misslingt…“. 43% der im Rahmen der Studie befragten Frauen gaben – als mit Abstand häufigste Antwort – an, keine Hormone mehr nehmen zu wollen und deshalb in den letzten 6 Monaten nicht oder nur ab und zu verhütet zu haben.
Alternative bzw. natürliche Verhütungsmethoden sind hoch im Kurs. Es gibt immer mehr Apps und Geräte, die Frauen bei der Ermittlung ihrer Zyklusdaten unterstützen. Manche Experten sehen in der starken Präferenz für nicht-hormonelle Verhütungsmethoden und der Ablehnung hormoneller Methoden den Hauptgrund für die Verhütungsproblematik. Der Schwangerschaftskonflikt scheint dabei in vielen Fällen nur die Folge eines über lange Zeit gelebten Methodenkonflikts zu sein. Befürworter nicht-hormoneller Verhütungsmethoden betonen allerdings regelmäßig, dass je nach Methode dabe sehr zuverlässige Pearl-Indices bis zu 100% erreicht werden können. Dafür ist aber eine hohe Selbstdisziplin notwendig, die gerade dann häufig wackelt, wenn die Einstellung zum Kinderwunsch ambivalent ist.
Einzelne Experten, die sich an der von der BZgA herausgegebenen Studie beteiligt haben, weisen zudem darauf hin, dass bei Angabe einer finanziellen Hürde für eine dauerhafte und sichere Verhütung das Problem eher in der mangelnden Beteiligung des Mannes an den Verhütungskosten bzw. in einer falschen Prioritätensetzung bei den persönlichen Ausgaben zu sehen ist.
Dies berücksichtigend kann die Kostenübernahme längerfristiger Verhütungsmethoden für finanziell stark benachteiligte Gruppe zwar tatsächlich zu einer geringfügigen Senkung der Abbruchsraten führen, wäre aber nur ein kleiner Puzzelstein in einem umfassenden Plan zur Reduktion von Abtreibungen. Zudem müsse klargestellt werden, dass einige der nachhaltigen Methoden nicht bloß empfängnisverhindernder, sondern erst nidationshemmende Wirkung haben und daher bereits zum Abgehen des Embryos führten, so Merckens. Eine flächendeckende Übernahme der Kosten von Verhütungsmitteln wäre jedenfalls kontraproduktiv, da sie angesichts der Ambivalenz bei der Einnahme nicht zudem erhofften Ziel führe, sondern vielmehr noch den falschen Eindruck verstärke, dass Sex „nichts mit Kinder kriegen zu tun habe“, so die Biopolitikerin.