AT / Lebensende: Talk „Im Zentrum“ zum Thema Sterbehilfe
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IEF, 28.09.2020 – Ärzte, Juristen und persönlich Betroffene diskutierten in ORF2 darüber, was es bedeutet, wenn man assistierten Suizid bzw. Tötung auf Verlangen erlaubt.
Die Sendung mit dem Titel „Mein Leben – Mein Tod: Der schmale Grat beim Thema Sterbehilfe“ nahm die zurzeit beim Verfassungsgerichtshof anhängige Verfahren zur Aufhebung des Verbotes des assistierten Suizids und der Tötung auf Verlangen zum Anlass, um Experten auf beiden Seiten zu dem Thema zu befragen.
So waren auf der Seite der Gegner der österreichischen Rechtslage der Rechtsanwalt der Antragsteller vor dem Verfassungsgerichtshof, Wolfram Proksch, die Ärztin und Präsidentin der schweizerischen Sterbehilfeorganisation Eternal Spirit, Erika Preisig und Marcela Selinger, als Tochter einer Sterbehilfepatientin geladen. Unter den Befürwortern der gegenwärtigen Rechtslage fanden sich Herbert Watzke, Leiter der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin am AKH, Stephanie Merckens, Biopolitikerin am Institut für Ehe und Familie (IEF) und Mitglied der Bioethikkommission des Bundeskanzleramts sowie Herbert Pichler, Präsident des Österreichischen Behindertenrates.
Verhältnis von Suizidprävention und Suizidbeihilfe
Als ein Argument für die Aufhebung des Verbots von assistiertem Suizid wurde während der Diskussion die Behauptung aufgestellt, wonach die Möglichkeit „Sterbehilfe“ in Anspruch zu nehmen, die Suizidzahlen senken würde. Proksch wies hier auf die im internationalen Vergleich angeblich hohen Suizidzahlen in Österreich hin und führte die Schweiz, Belgien und die Niederlande als Beispiele mit geringeren Suizidraten an. Bereits bei der Diskussion zwischen Merckens und Proksch bei Addendum und dann auch bei der öffentlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof am 24.09.2020 ging dieser von objektiv falschen Zahlen aus, indem er die Zahlen von assistierten Suiziden in der Schweiz nicht mit den Selbsttötungen ohne Assistenz summierte.
Merckens allerdings konterte dieser Behauptung und zeigte anhand von Daten des statistischen Bundesamtes aus der Schweiz, dass die Anzahl der Suizide im Nachbarland doppelt so hoch sind wie hierzulande. Sie gab auch zu bedenken, dass überall dort wo der assistierte Suizid eingeführt wurde, die Zahlen exponentiell steigen: so haben sich die Zahlen in den Niederlanden in sieben Jahren verdreifacht, in Belgien in fünfzehn Jahren versiebenfacht, in der Schweiz in vierzehn Jahren verfünffacht und in Kanada innerhalb von 2 Jahren verdoppelt. Dort gehen bereits 2 % der Todesfälle auf assistierten Suizid bzw. Tötung auf Verlangen zurück (Ergänzung der IEF-Redaktion).
Merckens führte auch ins Treffen, dass die Legalisierung von assistierten Suizid bzw. Tötung auf Verlangen Suizidprävention letztlich ad absurdum führe. Man würde zwar einerseits mit Bauvorschriften und Telefonseelsorge versuchen die Menschen von Suiziden abzuhalten, gleichzeitig aber Mitmenschen erlauben, bei der Selbsttötung mitzuhelfen. Auch auf die Frage der Moderatorin, Claudia Reiterer, warum gerade in Ländern, in denen „Sterbehilfe“ nicht erlaubt sei – wie etwa Großbritannien oder südliche Länder Europas – besonders gering seien, konnte Proksch keine Erklärung geben. Für Pichler sei gerade das Beispiel von Großbritannien vielsagend, da hier deutlich werde, wie positiv sich effektive Präventionsmaßnahmen auf Suizidraten auswirken könnten. Zur Erinnerung: Großbritannien hat sogar einen eigenen Minister für Suizidprävention eingeführt. (Das IEF hat berichtet)
Selbstbestimmung oder wer bestimmt eigentlich
Marcela Selinger berichtete in der Sendung von dem Tod ihrer Mutter und wie wichtig es dieser gewesen sei, bis zuletzt entscheiden zu können, wie und wann sie stirbt. Die freie Entscheidungsmöglichkeit hätte ihr Gelassenheit und die Möglichkeit gegeben, „in Würde“ zu sterben. Selinger meinte auch, dass sich Menschen, wenn ihnen die Entscheidungsfreiheit gewährt werde, immer verantwortungsbewusst und mit Rücksicht auf ihre Mitmenschen entscheiden würden. Eine Behauptung, die gerade jetzt angesichts der steigenden Corona-Infektionszahlen nach der Sommerpause reichlich gewagt wirkt. Dennoch schlug die „Sterbehilfe“-Anbieterin Preisig in die gleiche Kerbe und betonte, dass es wünschenswert sei, neben Palliativmedizin auch „einen Notausgang“ zu haben, wenn die Situation unerträglich werde. Auf die Frage der Moderatorin, um was es eigentlich bei dem Strafverfahren gegen sie im Zusammenhang mit Sterbehilfe gegangen sei, ging Preisig nicht ein. (Das IEF berichtete über das Strafverfahren.)
Sowohl der Palliativmediziner Watzke, als auch die Juristin Merckens betonten allerdings, dass selbstbestimmtes Sterben schon heute in Österreich möglich sei. Merckens erläuterte die zwei Säulen der österreichischen Rechtslage zu Fragen der Selbstbestimmung am Lebensende mit einfachen Worten: Freier Wille ja – Töten nein. Die Patientenautonomie sei in Österreich besonders geschützt – kein Patient dürfe gegen seinen Willen behandelt werden, selbst wenn die Ablehnung einer Therapie zu einem an sich abwendbaren Tod führte. Die Grenze aber sei dort erreicht, wo es um direkte Tötung gehe. Entweder in dem jemand einen anderen auf dessen Verlangen töte, ihm also etwa die Giftspritze injiziere, oder ihm dabei helfe. Diese Hilfe könne der dargereichte Giftbecher ebenso sein wie eine Leiter, mit der ein Suizidwilliger über die Schutzbrüstung springen könne. Wie wenig „selbstbestimmt“ Menschen, die assistierten Suizid in der Schweiz in Anspruch nehmen, seien, erhellte Merckens dann mit dem Hinweis, dass es dort ja sehr wohl immer von Ärzten, insbesondere Psychiatern abhänge, ob diese den Suizidwilligen „grünes Licht“ für die „Freitodbegleitung“ geben müssten. Herbert Pichler, betonte zudem, dass „niemand eine Insel sei“ und menschliche Entscheidungen immer auch Einfluss auf andere hätten. Er habe schon oft erlebt, wie ihn Menschen fragen, ob er wegen seiner Beeinträchtigung überhaupt glücklich sein könne und er befürchte, dass ihm „Sterbehilfe“ – sollte sie legalisiert werden – dann auch von Menschen, nach dem Motto „ich verstehe nicht, warum du dir das noch antust“, nahegelegt wird. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass man selbstbestimmt wäre, wenn man Suizid begehen wolle. Er selbst habe das am eigenen Leib erlebt, als er vor Jahren schon am Balkon im siebten Stock stand, um sich hinunter zu stürzen. Von Selbstbestimmung sei da keine Rede gewesen, vielmehr habe ihn damals seine Krankheit bestimmt – sowohl physisch als auch psychisch.
Angst vor Schmerzen und der Wunsch nach assistiertem Suizid
Pichler führte auch Untersuchungen aus Belgien und den Niederladen an, die als die häufigsten Gründe für einen Antrag auf „Sterbehilfe“, die Angst vor Schmerzen, die Sorge anderen zur Last zu fallen und finanzielle Schwierigkeiten anführen. Watzkeerwähnte zudem eine Studie aus der hervorgeht, dass die meisten Menschen sich im Zusammenhang mit dem Tod vor unerträglichen Schmerzen fürchten würden. Von denen, die die Schmerzen fürchten, wären 80% für die Legalisierung der „Sterbehilfe“. Von jenen, die diese Sorgen nicht teilen, plädierten lediglich 3% für den assistierten Suizid. Dies würde lautMerckens ganz klar darauf hinweisen, dass „Sterbehilfe“ von den meisten Menschen für Notfälle gefordert werde. Die Palliativmedizin würde jedoch genau dieser Not der Menschen begegnen. Sie würde die Schmerzen lindern, begleiten und die Angst nehmen.
Verschiedene Standpunkte zur österreichischen Rechtslage
Im Zusammenhang mit der österreichischen Rechtslage kritisierte Proksch, dass es einerseits erlaubt sei, allen möglichen Tätigkeiten, die potenziell gefährlich oder gar tödlich sein können, nachzugehen, man den Menschen andererseits die Selbstbestimmung am Lebensende absprechen würde. Er sehe auch keinen Unterscheid, zwischen der legalen aktiven Entfernung einer Ernährungssonde auf Wunsch des Patienten und der Verabreichung eines tödlichen Giftes.
Merckens hielt dem entgegen, dass die österreichische Regelung ein Gesamtkonzept am Lebensende biete. Der Wille des Patienten würde einerseits durch die Behandlungsautonomie geschützt werden. Andererseits würde der Gesetzgeber jedem einzelnen durch das Verbot der „Sterbehilfe“ signalisieren, dass er es immer wert sei, geschützt zu werden. Das Strafrecht würde auch genügend Möglichkeiten bieten, um im konkreten Anlassfall das Strafausmaß bis zu einem Tag bedingter Geldstrafe zu reduzieren. Zur Abgrenzung zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe wiesen Merckens und Watzke mit verschiedenen Bildern darauf hin, dass man nicht so sehr zwischen Tun oder Unterlassen unterscheiden, sondern auf die Absicht dahinter abstellen müsse. Ginge es darum, direkt den Tod bewirken zu wollen, so sei dies schlichtweg töten. Ginge es aber darum, die Schmerzen zu lindern, oder die Ablehnung einer Therapie zu akzeptieren, dann handle es sich um ein Begleiten bzw. Zulassen des natürlichen Sterbeprozesses.
Auf die Frage, mit welcher Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs die Juristen in der Runde rechnen, wollten weder Proksch noch Merckens eine Einschätzung abgeben. Klar sei für Proksch, dass er die nächste und höchste Instanz, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), anrufen werde, sollte der VfGH seine Anträge abweisen und das Verbot der „Sterbehilfe“ bestehen bleiben. Merckens hingegen würde im Fall einer Aufhebung dafür eintreten, dass möglichst wenige Menschen das Gefühl bekommen, direkte „Sterbehilfe“ in Anspruch nehmen zu müssen. (AH)
Hier können Sie die ORF-Sendung selbst nachsehen: „Mein Leben – Mein Tod: Der schmale Grat beim Thema Sterbehilfe“