
CH / Lebensende: Suizidbeihilfe zukünftig auch für Gefängnisinsassen möglich
IEF, 26.02.2020 – Die Schweizer Kantone sprachen sich jüngst für assistierten Suizid in Gefängnissen unter denselben Maßstäben wie bei nicht Inhaftierten aus.
„Das in Art. 10 BV enthaltene Selbstbestimmungsrecht verankert auf verfassungsrechtlicher Stufe das Recht eines jeden urteilsfähigen Menschen, über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens selbst zu entscheiden“, so das achtseitige Grundlagenpapier des Schweizerischen Kompetenzzentrums für den Justizvollzug (SKJV), das die zuständigen Behörden zu ihrer Entscheidung bewog. Im September 2019 begann die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektion (KKJPD) mit der Vernehmlassung des Expertenpapiers. Nun bestätigte KKJPD-Generalsekretär Roger Schneeberger, dass Suizidbeihilfe in Gefängnissen zukünftig eine Option darstellen werde, wie die Basler Zeitung berichtete.
„Das Leben hat keinen Sinn mehr“
Auslöser jener Sterbehilfedebatte war ein 69-jähriger Sexualstraftäter, der, nachdem er seine Strafe abgesessen hatte, als nicht therapierbar erachtet und daher nicht freigelassen wurde. Der Mann wandte sich an Exit, einen Schweizer Sterbehilfeverein, da er sein Leben als sinnlos beurteilte. Damals, aufgrund der ungeklärten Rechtslage, soweit erfolglos. Bisher handelt es sich hierbei noch um einen Einzelfall. Doch die demografische Alterung in den Gefängnissen schreitet drastisch voran. Laut einer Analyse der Neuen Zürcher Zeitung hat sich die Zahl der über 70- jährigen Gefangenen in den letzten 20 Jahren verachtfacht. Außerdem seien längere und härtere Strafen bei gewissen Delikten hinzugekommen. Die Angst, einsam und menschenunwürdig hinter Gittern zu sterben, sei unter den Insassen weit verbreitet, verdeutlicht eine Studie des Nationalen Forschungsprogramms „Lebensende“ (NFP 67) aus dem Jahr 2016. Ein Anstieg von Inhaftierten mit Suizidbeihilfewunsch ist demnach in naher Zukunft nicht auszuschließen.
Gleiche Rechte für jedermann
Gegenüber dem SRF behauptete Barbara Rohner vom SKJV, dass Menschen in Haft dieselben Rechte und Pflichten hätten wie Menschen in Freiheit. So sollen auch bei der Tötung auf Verlangen in den Gefängnissen dieselben Richtlinien herrschen, wie bei Menschen in Freiheit. „Die Krankheitssymptome und/oder die Funktionseinschränkungen müssen Ursache eines unerträglichen Leidens für die sterbewillige Person darstellen. Zudem muss die betroffene Person bis zum Moment der Einnahme des todbringenden Medikaments urteilsfähig sein.“, kann man dem Grundlagenpapier entnehmen. Zuerst müsse man jedoch alle in Betracht kommenden Alternativen, wie etwa Palliativmedizin, gründlich prüfen, um festzustellen, „ob sich das Leiden der sterbewilligen Person nicht beispielsweise durch angepasste Unterbringungsbedingungen, somatische oder psychotherapeutische Behandlungen oder palliative Maßnahmen so weit mindern lässt, dass der oder die Betroffene von seinem/ihrem Sterbewunsch absieht“. Suizidbeihilfe solle allein als „Ultima Ratio“ erfolgen.
Suizid als Druckmittel
Strafvollzugsexperte Benjamin Brägger ist, gemäß einem Bericht der Aargauer Zeitung, von der erlaubten Suizidbeihilfe in Schweizer Gefängnissen überzeugt. Das Recht auf Selbstbestimmung dürfe bei Gefangenen nicht von ihrem strafrechtlichen Status abhängig gemacht werden. Verwahrten, die ihre Strafe bereits abgesessen haben, Tätern im Strafvollzug und sogar nicht rechtskräftig verurteilten Häftlingen dürfe man das Recht zu sterben nicht vorenthalten.
Kritisch zeigt sich hingegen der Schweizer Gerichtspsychiater Josef Sachs. Man müsse sich die Frage stellen, ob die Person auch Suizid begehen würde, wenn sie nicht in Haft wäre. Wenn nicht, dann würde das in Richtung „freiwillige Todesstrafe“ gehen. Zudem könnten Gefangene mit der Forderung nach einem assistierten Suizid Druck für leichtere Haftbedingungen ausüben, so Sachs.
In der Frage, welche Voraussetzungen bezüglich Zuständigkeiten, Sterbeort und Ablauf erfüllt sein müssen, herrsche laut KKJPD-Generalsekretär Roger Schneeberger noch Uneinigkeit (Basler Zeitung). Folglich habe man das SKJV beauftragt, eine Synthese aus den Vernehmlassungsergebnissen zu erstellen. Eine überarbeitete Empfehlung der Delegiertenversammlung der KKJPD wird im Herbst 2020 erwartet. Erst dann werde man sagen können, ab wann Sterbehilfe im Justizvollzug möglich sein soll. (TS)