DE / Lebensende: Bundesverwaltungsgericht macht Weg frei für Medikamente zur schmerzlosen Selbsttötung
Anspruch auf Medikamente zur schmerzlosen Selbsttötung
IEF, 8.3.2017 – Das Deutsche Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 2. März entschieden, dass Schwerkranke in „extremen Ausnahmesituationen“ Anspruch auf Medikamente zur schmerzlosen Selbsttötung haben. Die Richter verwiesen zur Begründung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieses umfasse „auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll – vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln“. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte dürfe schwer und unheilbar Kranken in Extremfällen den Zugang zu Betäubungsmitteln nicht verwehren.
Im konkreten Fall war die Ehefrau des Klägers seit einem Unfall im Jahr 2002 vom Hals abwärts gelähmt. Wegen dieser von ihr als unerträglich und entwürdigend empfundenen Leidenssituation hatte sie im November 2004 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Erlaubnis zum Kauf einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels beantragt. Das Bundesinstitut lehnte dies unter Hinweis auf den Zweck des Betäubungsmittelgesetzes ab. Im Februar 2005 nahm sich die Frau mit Unterstützung eines Vereins für Sterbehilfe in der Schweiz das Leben.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stößt auf heftige Kritik
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stößt auf heftige Kritik. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, bezogen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), die katholischen Bischöfe und die Bundesärztekammer gemeinsam Stellung zu dem Urteil, indem sie betonten, dass der Staat nicht über Leben und Tod entscheiden dürfe. „Staatliche Behörden dürfen nicht zum Handlanger der Beihilfe zur Selbsttötung werden“, sagte Gröhe. Er kündigte an, das Ministerium werde „alle Möglichkeiten nutzen, den Tabubruch staatlicher Selbsttötungshilfe zu verhindern“. Die Deutsche Bischofskonferenz teilte mit, der Staat dürfe nicht gezwungen werden, „die Hand zum Suizid zu reichen“. Und der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, nannte das Urteil unverantwortlich. Eine „so grundsätzliche ethische Frage“ dürfe nicht „auf einen bloßen Verwaltungsakt reduziert werden“.
Nach Ansicht des Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, widerspricht das Urteil jedoch nicht geltendem Recht. Da das Urteil von »einem extremen Einzelfall« spreche, sei ausgeschlossen, dass es nun angeführt werde, »um eine generell geschäftsmäßige Suizidassistenz zu legitimieren«, sagte der Theologieprofessor der Universität Erlangen-Nürnberg. Diese Logik erschließt sich ihr nicht, meint dazu Dr. Stephanie Merckens, Referentin vom Institut für Ehe und Familie (IEF). Die Abgabe eines Medikaments erfolgt im Rahmen einer gewerbsmäßig ausgeübten Tätigkeit. Insofern ist nach Merckens die Frage berechtigt, ob das Urteil dem geltenden deutschen Recht entspricht. Es sei jedoch anzunehmen, dass das Judikat auf einen Sachverhalt vor der letzten deutschen Novelle anzuwenden sei, so die Juristin. Die schriftliche Urteilsbegründung bleibe abzuwarten.
Scharfe Kritik an dem Urteil kommt auch von IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer. Sie befürchtet eine Anwendung des Urteils auch bei der neuen deutschen Rechtslage. Seit Inkrafttreten des neuen Sterbehilfe-Gesetzes im Dezember 2015 sei der Tatbestand Beihilfe zum Suizid in Einzelfällen durch Angehörige oder Ärzte einerseits erlaubt, wurde aber verboten, wenn er geschäftsmäßig betrieben werde. Es sei klar gewesen, dass früher oder später versucht werde, Einzelfälle als extreme Ausnahmen zu titulieren, um damit weitere Ausnahmeregeln zu erstellen, so die Ethikerin. „Doch wer Ausnahmen regelt, erreicht genau das Gegenteil: Statt zu unterbinden, weitet man aus. Denn jede Ausnahmeregel – sie ist per se als Regel zu allgemein – hat ja dann wieder Ausnahmen, die neu definiert werden müssen.“ Am Beispiel der Niederlanden lasse sich das laut Kummer gut nachvollziehen: Sei die Tötung auf Verlangen zunächst auf schwer leidende Menschen, die dem Tode nahe sind, beschränkt gewesen, so hätte sich die “Ausnahme” dann auch auf nicht sterbende, an Demenz leidenden oder Depressive ausgedehnt.
In Österreich strafbar
In Österreich wäre die gezielte Abgabe eines Medikaments zur Selbsttötung jedenfalls vom Verbot der Beihilfe zum Selbstmord umfasst und daher strafbar.