Österreichische Gesellschaft für Suizidprävention zum VfGH-Urteil
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AT / Lebensende: Suizid, eine freie Entscheidung?

IEF, 12.03.2021 – Die Gesellschaft für Suizidprävention (ÖGS) fordert in Hinblick auf das VfGH-Urteil ein nationales und digitales Werbeverbot für assistierten Suizid.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat mit Urteil vom 11. Dezember 2020 das Verbot der Beihilfe zum Suizid als verfassungswidrig aufgehoben. Die Entscheidung tritt mit Anfang nächsten Jahres in Kraft. (Das IEF hat ausführlich dazu berichtet). Bis dahin hat der Gesetzgeber Zeit, um Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch vorzusehen. Die Österreichische Gesellschaft für Suizidprävention (ÖGS) warnt: Depressionen haben massive Auswirkungen auf die Selbstbestimmung, werden aber selten erkannt. Flächendeckende Suizidprävention muss gewährleistet werden. appelliert an den Gesetzgeber, das Verbots des Verleitens auszubauen und Suizidprävention flächendeckend zu Verfügung zu stellen.

Suizid immer Ausdruck tiefer Verzweiflung und subjektiver Ausweglosigkeit

 In ihrer Stellungnahme bemängelt die ÖGS die Verwendung des Begriffs „Selbstmord“, die von einem Unverständnis gegenüber den existenziellen Nöten und suizidalen Krisen der Betroffenen zeuge. Denn beim Suizid handle es sich nicht um eine Tat, die, wie die Mord-Straftat aus „niederen Motiven“, wie Habgier und Hass, verübt werden könne. Der Suizid sei im Unterschied dazu fast immer die Folge einer psychischen Erkrankung und „immer ein Ausdruck tiefer Verzweiflung und subjektiver Ausweglosigkeit“. Die ÖGS plädiert daher, das Wort „Selbstmord“ im Gesetzestext mit Begriffen wie „Suizid“ und „Selbsttötung“ zu ersetzen.

Der Todeswunsch ist meist nicht dauerhaft und stabil

Der VfGH betont in seiner Entscheidung zum assistierten Suizid dar, dass die Beihilfe zum Suizid nur dann straffrei erfolge, wenn der Entschluss zur Selbsttötung „dauerhaft“ sei. Die ÖGS fordert den Gesetzgeber daher auf, den Begriff der „Dauerhaftigkeit“ näher zu definieren. Denn der Akt der Selbsttötung würde per se die Möglichkeit einer Änderung des Sterbewillens verunmöglichen. Aus therapeutischer Arbeit mit suizidalen Menschen sei jedoch bekannt, dass der Todeswunsch in den meisten Fällen nicht stabil sei. Immer wieder würden sich Betroffene „von selber wieder dem Leben öffnen“. Dies sei auch aus der Hospiz- und Palliativarbeit bekannt. Dort hätte man es bei der Aufnahme sehr häufig mit suizidalen Menschen zu tun, die den Sterbewunsch jedoch im Laufe der Behandlung meist wieder aufgeben würden.

Unter Depression Leidende verleugnen oft die eigene Depressivität

Die ÖGS geht in ihrer Stellungnahme auch auf eine u. a. von der Österreichischen Bioethikkommission getroffene Unterscheidung ein. Diese sprach in ihrer Stellungnahme „Sterben in Würde“ aus dem Jahr 2015 einerseits von vermeidbaren „Suiziden in der Mitte des Lebens“ und andererseits jenen Suiziden, die am Lebensende in Folge einer schweren Erkrankung begangen würden. Die ÖGS hält diese Unterscheidung für trügerisch, zumal an einer Krankheit leidende Menschen auch oft unter Depressionen leiden würden. Bei entsprechender Behandlung würden die Betroffenen meist den Sterbewunsch aufgeben und eine neue Sicht auf ihre körperliche Problematik sowie Bewältigungsstrategien entwickeln.

Depressionen seinen heute auch in den allermeisten Fällen gut behandelbar, auch wenn die Therapie nicht immer sofortige Wirkung zeige. In vielen Fällen würden Ärzte jedoch eine Depression bei ihren Patienten nicht erkennen. Gerade bei älteren Personen würden depressive Symptome häufig als Alterserscheinung (Schwäche, Antriebslosigkeit ect.) abgetan oder der körperlichen Grunderkrankung zugeschrieben werden. Die ÖGS weist zudem auf eine mit der Depressivität einhergehende veränderte Selbstwahrnehmung hin. Diese würde es den Betroffenen erschweren, die psychische Erkrankung als solche zu reflektieren und zu identifizieren bzw. würden depressive Menschen auch dazu neigen, die depressiven Anteile zu verleugnen.

Einfluss unterschiedlicher Faktoren auf „freie Selbstbestimmung“

 Eine Depression könne damit gravierende Auswirkung auf die freie Selbstbestimmung haben. Gerade diese sei aber aus Sicht des VfGH das zentrale Kriterium für die Legalität des assistierten Suizids. Der VfGH erkannte zwar in seinem Urteil die „vielfältigen sozialen und ökonomischen Umstände“, die die freie Selbstbestimmung beeinflussen können. Diesen Umständen müssten jedoch auch affektiv-emotionale und kognitive Aspekte hinzugefügt werden, so die ÖGS. Das größte Problem bilde dabei die Schwierigkeit, all diese Einflussfaktoren in der Praxis zweifelsfrei zu erfassen. Die ÖGS schlägt daher verpflichtende, ergebnisoffene und nicht in ein Gutachten einfließende psychotherapeutische Gespräche sowie gegebenenfalls palliativmedizinische Beratung vor.

Zur Sicherstellung der freien Willensbildung fordert die ÖGS den Gesetzgeber zudem auf, die Verpflichtung zur Suizidprävention und Palliativversorgung gesetzlich zu verankern. Dabei sollten „spezialisierte suizidpräventive und palliativmedizinische Hilfeleistungen und Versorgung ausreichend und flächendeckend für jedermann erreichbar durch die zuständigen Körperschaften zur Verfügung gestellt werden“.

Nationales und digitales Werbeverbot und die Freiwilligkeit der Beihilfe zum Suizid

Der VfGH hat in seiner Entscheidung zum assistierten Suizid zwar die Beihilfe zum Suizid straffrei gestellt, das „Verleiten zum Suizid“ jedoch weiterhin als verfassungskonform im Strafgesetzbuch belassen. Es brauche daher eine eindeutige Definition des Verleitungstatbestands, um Betroffene in diesem „emotional so heiklen Bereich, in dem viele Menschen in hohem Ausmaß suggestibel und besonders gefährdet bezüglich Einflussnahme von Außenstehenden“ seien, zu schützen. Außerdem müsse per Gesetz festgeschrieben werden, dass niemand dazu verpflichtet werden dürfe, Suizidassistenz zu leisten.

Die ÖGS fordert auch ein nationales und digitales Werbeverbot für den assistierten Suizid, das auch Aktivitäten von Sterbehilfe-Vereinen und Gesellschaften umfassen sollte. Diese würden nämlich durch die angebotene Hilfeleistung den assistierten Suizid per definitionem propagieren.

Abschließend richtet die ÖGS die dringende Empfehlung an den Gesetzgeber, Experten aus dem Bereich Suizidprävention bei der Erarbeitung des Gesetzesentwurfs miteinzubeziehen. (AH)

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