AT_DE / Lebensende: Suizid braucht keine Beihilfe – Suizid braucht Prävention
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IEF, 08.09.2020 – Medizinische Fachgesellschaften und Suizidpräventionsstellen sehen aktuelle Versuche, die „Sterbehilfe“ zu legalisieren, mit großer Sorge.
In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht im Februar das Verbot der „geschäftsmäßigen Sterbehilfe“ als verfassungswidrig aufgehoben (das IEF hat berichtet) und in Österreich berät der Verfassungsgerichtshof über eine mögliche Aufhebung des Verbots der Suizidbeihilfe und der Tötung auf Verlangen (das IEF hat berichtet).
Experten aus den Bereichen der Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie warnen: Personen in Krisensituationen brauchen vor allem „Hilfe zum Leben“ und nicht „Hilfe zum Sterben“.
Fremde Hilfe zum Suizid ist inakzeptabel
So setzt sich die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) in einer aktuellen Pressaussendung ganz klar für Suizidprävention und gegen eine Aufhebung des Verbots der Sterbe- und Suizidhilfe in Österreich ein.
Als Psychiater seien die Mitglieder der ÖGPP oft mit Todeswünschen ihrer Patienten konfrontiert. Aus ihrer Praxiserfahrung heraus sei ihnen jedoch bewusst, dass der mangelnde Lebenswille meist kein dauerhafter Zustand sei, sondern viel mehr ein „Ausdruck von Angst und Ambivalenz“, der großen Schwankungen ausgesetzt ist. Häufig sei auch der Wunsch zu sterben die Folge einer seelischen Erkrankung, wie etwa einer Depression, die entsprechend behandelt, den Sterbewunsch wieder verschwinden lässt.
Laut der ÖGPP sei die zentrale Aufgabe eines Arztes, Menschen bei der Bewältigung von Lebenskrisen zu unterstützen, Behandlungen anzubieten, die das Ertragen schwerer Erkrankungen erleichtern und ihre Patienten im Sterbeprozess zu begleiten. Das Anbieten von Hilfe bei der Umsetzung des Sterbewunsches sei hingegen keine ärztliche Aufgabe.
Die ÖGPP wünscht sich eine viel stärkere Einbeziehung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Perspektive in die öffentliche Debatte und unterstützt einen generellen Ausbau der palliativen Betreuung in Österreich.
„Sterbehilfe“ als Sterbebegleitung
Die ÖGPP verweist in der Pressemitteilung auch auf ihr Positionspapier aus dem Jahr 2017 zum Thema „Sterbe- und Suizidbeihilfe in Österreich“. Darin hatte die Fachgesellschaft eine Aufweichung des § 78 StGB (Mitwirkung am Selbstmord) und des § 77 StGB (Tötung auf Verlangen) schon damals entschieden abgelehnt. Die ÖGPP nahm in der Stellungnahme auch eine Richtigstellung der Begriffe vor. So seien unter „Sterbehilfe“ „medikamentöse und andere Maßnahmen zur leichteren Erträglichkeit des Sterbeprozesses im Sinn einer ärztlichen, pflegerischen und psychotherapeutischen Sterbebegleitung“ zu verstehen. Die Bezeichnung des fremdunterstützten Sterbens als eines „Sterbens in Würde“ wiederum, spreche jenen Menschen, die den „leidvollen Prozess des Sterbens ohne Abkürzung auf sich nehmen“ die Würde ab und könne so nicht stehen gelassen werden.
Das Positionspapier setzt sich auch intensiv mit den Motiven auseinander, die sich oft hinter einem geäußerten Sterbewunsch verbergen. Insbesondere gehe es dabei um Angst vor unerträglichen Schmerzen, hilflosem Ersticken oder der Sorge anderen zur Last zu fallen. Sterbenskranke Patienten würden auch häufig unter einem depressiven Syndrom leiden, dass die freie Entscheidungsfähigkeit beinträchtigen würde. Es sei daher besonders wichtig solchen Menschen einfühlsamen zu begegnen und medizinische Aufklärung und Beistand zu leisten. Dazu zähle auch die Vermittlung von Palliativmedizin.
Ähnliche Stellungnahmen gab es auch von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und den deutschen Suizidpräventionsstellen in ihrer Kritik an dem Urteils des deutschen Bundesverfassungsgerichts zur „geschäftsmäßigen Sterbehilfe“.
Einschränkungen der Selbstbestimmung durch psychische und körperliche Krankheiten
Die deutschen Suizidpräventionsstellen hielten in ihrem Kommentar u.a. fest, dass das Bundesverfassungsgericht zwar auf die Selbstbestimmung in jeder Lebenssituation hingewiesen, jedoch die Einschränkungen der Entscheidungsfähigkeit durch psychische und körperliche Krankheiten und massive Krisen nicht ausreichend gewürdigt habe. Es gelte zu allererst, suizidale Menschen dabei zu unterstützen, über ihre Suizidgedanken zu sprechen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Das Angebot des schnellen Weges in den Tod“ dürfe den Zugang zu diesen Hilfen nicht verstellen, so die Experten in ihrer Stellungnahme weiter. Geeignete Unterstützungsmaßnahmen am Ende des Lebens seien in der Palliativmedizin, Hospizarbeit, Beratung und Psychotherapie zu sehen.
Menschen in Notlagen abholen und ihren Lebensmut stärken
Auch die DGPPN nahm das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die steigende „Tendenz zu immer mehr Leistungsdruck und Selbstoptimierung in unserer Gesellschaft“ mit Sorge auf. In einer Pressmitteilung erklärte die DGPPN, dass der soziale Druck niemals dazu führen dürfe, dass sich leidende und kranke Menschen zum Tod gedrängt fühlen, um so niemandem zur Last zu fallen. Die Fachgesellschaft führt auch Zahlen aus der Suizidforschung an, die belegen, dass der Suizidwunsch in 90 Prozent der Fälle auf eine Depression oder andere psychische Erkrankungen zurückzuführen sei. Diese wiederum würden die Entscheidungsfähigkeit des Menschen beeinträchtigen. Aus medizinischer Sicht müsse daher „der Schwerpunkt auf Suizidprävention und dem Kampf um das Leben jedes einzelnen Menschen“ gelegt werden.
„Werther- und Papageno-Effekt“
Dr. Stephanie Merckens, Juristin und Biopolitikerin am Institut für Ehe und Familie (IEF), weist in dem Zusammenhang auch auf den „Werther-Effekt“ hin. Dieser besagt, dass die ausführliche Medienberichterstattung zu Suiziden zum Nachahmen anregt. Diesen Zusammenhang bestätigen auch Erfahrungen aus jenen Ländern, die liberale „Sterbehilfe“-Gesetze aufweisen. Dort nimmt die Anzahl der Suizide nämlich nicht ab, sondern es kommen zahlenmäßig noch die Fälle von assistiertem Suizid oder Tötung auf Verlangen hinzu. Was es in der Suizidprävention vor allem brauche, seien positive, lebensbejahende Vorbilder. Menschen die zeigen, dass das Leben in jeder Situation bessere Auswege bietet als der Tod, so Merckens.
Die positive Wirkung dieses als „Papageno-Effekt“ bekannten Phänomens, hat erst dieses Jahr ein Forscherteam von der Medizinischen Universität Wien bestätigt (das IEF hat berichtet). (AH)