DE / Lebensende: Urteilsbegründung zur Selbsttötung durch Betäubungsmittel bestärkt Kritiker
IEF, 14.6.17 – Anfang März berichtete das IEF über eine Entscheidung des Deutschen Bundesverwaltungsgerichts, mit der dieser den Verkauf eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung in Extremfällen zulässt. Aus der Begründung in der Pressemeldung war zu entnehmen, dass die Richter diese Entscheidung im Wesentlichen mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht begründeten, das dem Einzelnen auch das Recht einräume, selbst zu wählen, „wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll – vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ Offen blieb allerdings, wann die Richter von einem Extremfall ausgehen, der einen solchen Schritt ihrer Ansicht nach rechtfertigen würde. Nun liegt die Urteilsbegründung vor. Demnach sei dann von einem relevanten Extremfall auszugehen, wenn
- …die Erkrankung des Betroffenen mit starken körperlichen Leiden und insb. Schmerzen verbunden ist, welche nur unzureichend gelindert werden können und daher zu einem unerträglichen Leidensdruck führen
- …der Betroffene sich frei äußern kann, entscheidungsfähig ist und sich ernsthaft für den Tod entscheidet.
- …andere zumutbare Möglichkeiten zur Verwirklichung des Willens nicht zur Verfügung stehen.
Trifft all dies zu, dürfe auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes die Umsetzung des freien Sterbewunsches nicht unmöglich gemacht werden, so die Begründung. Bezogen auf den konkreten Anlassfall bedeute dies: Wenn die Einnahme eines tödlichen Medikamentes die einzige zumutbare Möglichkeit sei, wäre die Verweigerung des Medikaments gleichzusetzen mit einer Verhinderung der Umsetzung des frei getroffenen Sterbewunsches. Der betroffenen Person bliebe dann keine andere Möglichkeit, als die Leidenssituation weiter erleiden zu müssen oder eine risikoreichere Form des Suizids zu wählen. „Das sei mit dem Schutzgehalt der Menschenwürdegarantie nicht vereinbar[.]“, so das Bundesverwaltungsgericht.
Schon bei der Verkündung stieß das Gesetz auf schwere Kritik. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin etwa lehnt jegliche Freigabe von Mitteln zur Selbsttötung ab. Und auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe mahnte, dass staatliche Behörden „nicht zum Handlanger der Beihilfe zur Selbsttötung“ gemacht werden dürfen.
Das Gericht versucht sich in seiner Urteilsbegründung hier abzugrenzen. Aktive Sterbehilfe sei und bleibe unter Strafe gestellt. Der Staat werde deshalb keine Rahmenbedingungen oder Strukturen schaffen, die den Suizid ermöglichen oder erleichtern. Auch das grundsätzliche Verbot des Erwerbs von Betäubungsmitteln für den Suizid bleibe aufrechterhalten.
Wie die zahlreichen Reaktionen zeigen, überzeugt diese Argumentation jedoch nicht. So spricht sich etwa der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband gegen eine staatliche Beihilfe zur Selbsttötung aus und wirft dem Bundesverwaltungsgericht Kompetenzüberschreitung vor. Laut Stellungnahme des Verbandes vom 24.5.2017 überschreite das Bundesverwaltungsgericht mit dieser Entscheidung die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung und verletze den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung. Nach dem Parlamentsvorbehalt seien wesentliche Gesichtspunkte des Gemeinweisens wie der Frage zur Zulässigkeit der Suizidbeihilfe dem förmlichen Gesetzgeber vorbehalten.
Auch Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF) kann der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts in der wesentlichen Bewertung nichts abgewinnen. Zum einen sei rechtsphilosophisch durchaus umstritten, ob das Selbstbestimmungsrecht bzw. die Menschenwürde auch das Recht umfasse, sich selbst zu töten. In diesem Zusammenhang werde vielmehr vorgebracht, dass sich eine Person durch die Entscheidung zur Selbsttötung auch ihrer eingeräumten Rechte begibt. Wenn man aber wie das Bundesverwaltungsgericht davon ausgehe, dass es scheinbar nicht nur ein Recht gäbe, selbst zu wählen wie und wann man sein Leben beenden möchte, sondern auch einen gegen Dritte geltenden Anspruch, diese Entscheidung zu ermöglichen, dann sei nicht nachvollziehbar, warum dies nur in Extremfällen zugelassen werden solle, macht Merckens deutlich. Vielmehr sei bei Etablierung dieser Argumentation einem staatlichen Interesse der Verhinderung von frei gewählter Selbsttötung der Boden entzogen. Der Begriff „frei gewählt“ sei aber bekanntlich ein sehr dehnbarer, erinnert die Juristin. Zudem sei eine freie Wahl ohne Einfluss von außen schlicht nicht denkbar, ist Merckens überzeugt. Gerade die Auseinandersetzung mit der Frage, ob die gewünschte Form der Selbsttötung eine „zumutbare“ sei, oder ob es weniger „risikoreiche“ Formen gebe, mache laut Merckens ja deutlich, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Entscheidung genau das bewirken will, was es dem Wortlaut nach zu verhindern suchte: Rahmenbedingungen und (rechtliche) Strukturen zu schaffen, die den Suizid ermöglichen bzw erleichtern.
Die Meldung, dass bis Mitte Mai bereits 24 weitere Anträge für das fragliche Betäubungsmittel gestellt wurden, sei hierfür bloß trauriger Beleg.