Sterbehilfe stigmatisiert Menschen mit Beeinträchtigung
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INT / Lebensende: Sterbehilfe stigmatisiert Menschen mit Beeinträchtigungen

IEF, 12.02.2021 – Mehrere UN-Experten zeigen sich besorgt über die wachsende Tendenz zur Legalisierung der Sterbehilfe.

In einer Pressemitteilung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte warnen Gerard Quinn, UN-Sonderberichterstatter für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Olivier De Schutter, UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, sowie die Österreicherin Claudia Mahler, unabhängige Expertin für die Rechte älterer Menschen, vor Gesetzen, die assistierten Suizid und Tötung auf Verlangen auch für Menschen mit Behinderung oder sonst einer Beeinträchtigung, inklusive hohen Alters, vorsehen.

Leiderfahrung ist keine Legitimation für Suzidbeihilfe und Tötung auf Verlangen

„Wir würden es nie als eine wohlüberlegte und vernünftige Entscheidung bezeichnen, wenn eine, zu einer anderen, besonders geschützten Personengruppe, wie etwa einer ethnischen, geschlechtlichen oder sexuellen Minderheit, gehörende Person, wegen des aus ihrem Minderheitenstatus erwachsenden Leids, ihr Leben beenden wollen würde“, heißt es in der Ende Jänner veröffentlichten Erklärung der UN-Experten. Auch Behinderung dürfe daher nie Grund oder Rechtfertigung für eine direkte oder indirekte Beendigung des Lebens sein.

Sterbehilfe legitimiert Behindertenfeindlichkeit

Gesetze, die einen Zugang zur Sterbehilfe auch für Menschen mit Beeinträchtigungen vorsehen, würden Behindertenfeindlichkeit institutionalisieren und legalisieren. Damit stünden sie auch im Widerspruch zum Artikel 10 UN-Behindertenrechtskonvention, der den Staaten die Verpflichtung auferlegt, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit das Recht auf Leben von Menschen mit Beeinträchtigungen, wirksam und gleichberechtigt geschützt wird.

Assistierter Suizid und Tötung auf Verlangen für Menschen mit Beeinträchtigungen würden meist auf behindertenfeindlichen Annahmen bezüglich „Lebensqualität“ und „Würde des Lebens“ einer behinderten Person, basieren. „Diese Auffassungen und die damit einhergehenden Stereotypen wurden von der UN-Behindertenrechtskonvention entschieden verworfen. Behinderung ist demnach keine Last oder ein Mangel. Es ist ein universeller Aspekt des menschlichen Daseins“, betonen die UN-Experten weiter.

Sterbehilfe setzt vulnerable Menschen unter Druck

In ihrer gemeinsamen Erklärung geben sie außerdem zu bedenken, dass auch in Fällen in denen der Zugang zur Sterbehilfe auf Menschen am Lebensende oder mit einer terminalen Erkrankung beschränkt wird, Personen mit Beeinträchtigungen, ältere Menschen und ganz besonders ältere Menschen mit Beeinträchtigungen, sich aufgrund der negativen Einstellung ihnen gegenüber und mangelnder Unterstützung, zu einem frühzeitigen Ableben gedrängt fühlen könnten.

Hinzu komme, dass Menschen mit Beeinträchtigungen verhältnismäßig öfters, in manchen Ländern gar doppelt so oft, in Armut leben als Menschen ohne Beeinträchtigungen. „Wegen Armut und unzureichender sozialer Absicherung können sich Menschen mit Beeinträchtigungen, in einem Akt der Verzweiflung dafür entscheiden, ihr Leben zu beenden.“ Im Lichte ihrer schwierigen Situation könne ihre Entscheidung jedoch kaum als „frei“ betrachtet werden.

Menschen mit Beeinträchtigungen in Gesetzgebungsverfahren einbeziehen

Die UN-Experten fordern daher, dass Menschen mit Beeinträchtigungen und Behindertenorganisationen in Gesetzgebungsverfahren, die ihre Rechte betreffen, einbezogen und ihre Standpunkte gehörig berücksichtigt werden. Dies treffe auch ganz besonders dann zu, wenn die Regelungen ihr Recht auf Leben tangieren. Ihre Forderung stützen die Experten auf die menschenrechtliche Verpflichtung der Staaten, Grundrechte zu fördern und zu stützen und das Recht auf Leben aller unterschiedslos zu respektieren.

Proteste von Behindertenorganisationen

Fast überall, wo Sterbehilfe eingeführt bzw. diskutiert wurde, gab es Proteste und Einwände von Menschen mit Beeinträchtigungen und den sie vertretenden Verbänden. In Neuseeland machte etwa die Kampagne „#DefendNZ – Vote No to assisted suicide“ im Vorfeld des Referendums, mit dem assistierter Suizid im Land legalisiert wurde, auf die vulnerable Situation von Menschen mit Beeinträchtigungen aufmerksam. (Das IEF hat berichtet). Auch in Kanada, wo Sterbehilfe 2016 legalisiert wurde, weisen Behindertenorganisationen auf die prekäre Situation von behinderten Menschen, die sich u.a. aufgrund mangelnder Unterstützungsleistungen für Sterbehilfe entscheiden würden, hin. (Das IEF hat berichtet).

Österreich auf dem Prüfstand

Österreich befindet sich nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs, mit dem das Verbot des assistierten Suizids für verfassungswidrig erklärt wurde, in einer ähnlichen Situation.

Im Vorfeld der Entscheidung hat beispielsweise die österreichische Behindertenorganisation BIZEPS das Drängen der Sterbehilfe-Befürworter kritisiert, die sich lieber auf den selbständigen Tod statt auf das selbstständige Leben fokussierten, und zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aufgerufen. (Das IEF hat berichtet). In der TV-Sendung „Im Zentrum“ hat sich zudem Herbert Pichler, Präsident des Österreichischen Behindertenrates, klar gegen Sterbehilfe ausgesprochen und betont, dass es ein Irrtum sei zu glauben, dass man selbstbestimmt wäre, wenn man Suizid begehen wolle. (Das IEF hat berichtet).

Für Dr. Stephanie Merckens, Biopolitikerin am Institut für Ehe und Familie (IEF) bleibe nun abzuwarten und zu hoffen, dass die vom Urteil des Verfassungsgerichtshofs ausgehenden Gefahren für Menschen mit Beeinträchtigungen durch geeignete Maßnahmen abgemildert werden können und betroffene Personen in das Gesetzgebungsverfahren, das den Zugang zum assistierten Suizid regeln soll, einbezogen werden. (AH)

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