AT / Lebensende: Worauf soll bei der Regelung des assistierten Suizids geachtet werden
IEF, 03.05.2021 – Diesen Fragen widmeten sich in den letzten Wochen gleich drei hochkarätige Veranstaltungen.
Online Tagung „Beihilfe zum Suizid“
Am 22. April lud das Institut für Ethik und Recht in der Medizin gemeinsam mit dem Ludwig Boltzmann Institute und der Plattform für Patientensicherheit zur Online Tagung „Beihilfe zum Suizid“. Während dieser hochkarätig besetzten Veranstaltung präsentierten die Studienautorinnen Maria Kletečka-Pulker, Ann-Kathrin Ruf und Sabine Völkl-Kernstock Teilergebnisse einer umfangreichen Befragung zur „Selbstbestimmung am Lebensende“ (Das IEF hat berichtet.) Demnach fühlten sich etwa nur 27% der Befragten ausreichend informiert. Auch die Zustimmung zum VfGH war zwar immer noch mit einer satten Mehrheit gegeben, lag entgegen früherer Erhebungen aber nur noch bei 61%, was u.a. Bischof Hermann Glettler in seiner Kritik an Umfragen-Propaganda bestätigte.
Dialogforum des Bundesministeriums für Justiz
Von Montag, den 03.05., bis Freitag, den 07.05., lud die Zivilrechtssektion des Justizministeriums auf Einladung der erst kürzlich aus der Mutterkarenz zurückgekehrten Justizministerin Alma Zadić zum „Dialogforum Sterbehilfe“. Eine Woche lang berieten darin etwa 30 Experten und Vertreter von Religionsgemeinschaften, Hilfsorganisationen und Pflegeeinrichtungen darüber, wie das neue Sterbehilfe Gesetz aussehen könnte (das IEF hat berichtet). Aufgrund der sehr guten Vorbereitung aller Teilnehmer und der kompetenten Moderation gelang ein sachlicher, fast durchgängig disziplinierter Austausch zur Klärung der wesentlichen Fragestellungen und des Meinungsstands, lobte etwa Stephanie Merckens (IEF), die als Fachjuristin für die Bischofskonferenz an dem Forum teilnahm. In einem Interview gegenüber dem Volksblatt betont sie die Herausforderung, dem assistierten Suizid tatsächliche Handlungsoptionen entgegenzusetzen und nicht vorschnell von einer freien Willensentscheidung auszugehen.
Nach Abschluss des Dialogforums wird nunmehr vom Justizministerium ein Bericht erstellt, der den Meinungsstand vollständig wiedergeben soll, ohne jedoch eine Wertung oder Empfehlung zu treffen. Dem Bericht werden auch jene Eingaben hinzugefügt, die von Personen oder Organisationen bis 5. Mai eingebracht werden konnten, die nicht zum Dialogforum geladen waren. Auf Basis dieses Berichts wird es dann wohl zur politischen Willensbildung – vor allem unter den Koalitionsparteien – kommen, meint Merckens. U.a. muss entschieden werden, welche Schutzverfahren eingehalten werden müssen, um von einer freien Willensentscheidung auszugehen und ob es überhaupt einer Nachfolgeregelung im Strafrecht bedarf. Für letzteres macht sich Merckens stark und betont: „Der Verfassungsgerichtshof lässt dem Gesetzgeber nicht nur einen Spielraum, sondern verlangt auch, dass er ‚Missbrauch‘ zu verhindern sucht. Der Gesetzgeber muss assistierten Suizid nur dann zulassen, wenn er unzweifelhaft von einer freien Selbstbestimmung ausgehen kann. Von einer solchen geht der VfGH selbst erst aus, wenn der Suizidentschluss aufgrund eines aufgeklärten, informierten, ernsthaften, dauerhaften und freien Willensentschlusses getroffen wurde. Der Gesetzgeber darf und soll daher Regelungen vorsehen, die das Vorliegen dieser Bedingungen absichern. Alles außerhalb dieses Rahmens darf aber weiterhin verboten bleiben. Und sollte es auch.“, so die Juristin.
Wichtig ist aber auch die gesetzliche Absicherung des Verbots der Tötung auf Verlangen. Hier dürfe der Gesetzgeber nicht weichen, betont Merckens: „Der VfGH hat das Verbot der Tötung auf Verlangen nicht gehoben. Er meinte zwar, dass es wesentliche Unterschiede zur Suizidbeihilfe gebe, aber hauptsächlich wies das Höchstgericht den Antrag aus formalen Gründen zurück.“ Merckens geht zwar davon aus, dass der VfGH auch in Zukunft das Verbot der Tötung auf Verlangen nicht so schnell heben wird. Sollte aber der Gesetzgeber ein Aufweichen beschließen, so würde der VfGH wohl kaum etwas Substantielles dagegen einzuwenden haben. Der Ball liege daher nun bei den Parlamentsparteien, die fast durch die Bank das Festhalten am Verbot der Tötung auf Verlangen begrüßt haben. Diese müssten nun dafür Sorge tragen, diesen Straftatbestand am besten mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit abzusichern, so Merckens.
Salzburger Bioethik-Dialoge 2021
Am 07.05. fand auch die Abschlussveranstaltung der Salzburger Bioethik-Dialoge 2021 unter dem Titel „Sterbehilfe – Quo Vadis Austria?“ statt, mit der eine dem Erkenntnis des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zur Frage des assistierten Suizids gewidmete Reihe von Webinaren zu Ende ging. In den vom Salzburger Ärzteforum für das Leben in Kooperation mit der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) Salzburg und der Österreichischen Ärztekammer organisierten Webinaren wurde das VfGH-Urteil von verschiedenen Experten aus ethischer, juristischer, intensiv- und palliativmedizinischer, sowie psychiatrisch-/psychotherapeutischer Sicht erörtert. Alle Webinare können auf der Webseite des Salzburger Ärzteforums nachgesehen werden. Am Abschlussabend nahmen als Experten der Theologe und Medizinethiker Matthias Beck, die Intensivmedizinerin Barbara Friesenecker, der Psychiater und Psychotherapeut Raimund Klesse, die Präsidentin des Dachverbands Hospiz Waltraud Klasnic, die Ethikerin Susanne Kummer, der Palliativmediziner Stefan Lorenzl, die Past Präsidentin der ÖGPP Christa Rados, der Pflegedirektor der Landesklinik Hallein und St. Veit Karl Schwaiger, der Theologe und Philosoph Clemens Sedmak, der ärztliche Direktor der Barmherzigen Brüder Gerhard Stark und der Präsident der Österreichischen Ärztekammer Thomas Szekeres teil.
Bundesministerin Edtstadler für ein „restriktives und präventives“ Sterbehilfe-Gesetz
In ihrer Videobotschaft (min 24:20) anlässlich der Abschlussveranstaltung erklärt Bundesministerin Edtstadler die Notwendigkeit, einen Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids bis zum Sommer auszuarbeiten. Den Zugang zur Suizidbeihilfe so zu regeln, dass Missbrauch verhindert und vulnerable Gruppen geschützt würden, sei jedoch eine äußerst schwierige Aufgabe. Edtstadler betont, dass auch in Zukunft jeder Suizid als tragisch gelten werde und zu verhindern sei. Es sei vordergründige Aufgabe der Gesellschaft, den Suizidwilligen zu helfen, ihren Lebenswillen wieder zu finden. Sie wolle den dem Gesetzgeber überlassenen Regelungsspielraum dafür nützen, eine möglichst restriktive und präventive Regelung zu schaffen. Bestandteil eines solchen Ansatzes sei die Aufklärung von Suizidwilligen über therapeutische und palliativmedizinische Möglichkeiten und die Absicherung der Willensfreiheit auch für jene, an die ein Sterbewunsch herangetragen wird. Denn niemand dürfe sich dazu gedrängt fühlen, jemandem beim Suizid zu assistieren.
Ärztekammerpräsident Szekeres: assistierter Suizid kann nie medizinisch indiziert sein
Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres (Diskussion, min 1:26:25) sprach sich im Rahmen der Experten-Diskussion dagegen aus, die Suizidassistenz zu einer ärztlichen Leistung zu erklären. Es könne nämlich nie medizinisch indiziert sein, „jemanden in den Tod zu befördern“. Auch die Verschreibung von Tötungsmitteln sieht Szekeres nicht als die Aufgabe von Ärzten. Der Auftrag der Ärzte wäre, Heilmittel zu verschreiben. Bei Natrium-Pentobarbital, das etwa in der Schweiz als Suizidmittel zum Einsatz kommt, handle es sich um ein Gift, das den Tod des Patienten herbeiführen soll. Die Ausgabe bzw. Verschreibung eines derartigen Präparats sollte deshalb nicht von medizinischem Personal vorgenommen werden. Wichtig sei die Einbindung der Ärzte allerdings bei der Beratung und Begutachtung von Patienten. Denn gerade bei der Beratung ginge es darum, Patienten über mögliche palliative Therapien aufzuklären.
An die Politik richtet der Ärztekammerpräsident die Forderung, die Ärzteschaft vor Druck, und Zwang, jemandem beim Suizid assistieren zu müssen, abzusichern. Wenn ein Arzt mitmachen wolle, könne ihm das nicht verwehrt werden, aber kein Arzt dürfe zur Beihilfe gezwungen werden, unterstreicht Szekeres. Genauso wären auch Patienten vor einem leider vorhersehbaren Druck von außen zu schützen.
Pflegedirektor Schwaiger: Palliative Care und Assistierter Suizid sind nicht miteinander vereinbar
Das Konzept der Palliative Care und Hospizbetreuung erklärte in der Experten-Diskussion Karl Schwaiger (Diskussion, min 45:22), Obmann der Hospizbewegung Salzburg sowie Pflegedirektor der SALK für das LKH Hallein und St. Veit. Er verwies unter anderem auf den von der Gründerin der Hospizbewegung, Cicely Saunders, geprägten Begriff des „Total Pain“. Dieser Begriff würde die verschiedenen Dimensionen menschlichen Leids, also den physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Schmerz beschreiben. Um dem Menschen und seinem Umfeld gerecht zu werden und in der letzten Lebensphase begleiten zu können, müsse sich die Betreuung und Begleitung auf alle diese Bereiche erstrecken. Das sei auch der Ansatz der Palliative Care, so Schwaiger weiter. Es gehe darum, menschliche Bedürfnisse wahrzunehmen, Sicherheit zu geben, Einsamkeit zu unterbinden und Beziehung aufzubauen. Und nicht zuletzt auch um medizinische Intervention im Sinne von Symptomkontrolle, wobei hier vor allem an Schmerztherapie, Linderung von Begleitbeschwerden und Begleitung durch Gespräche zu denken sei.
Was für Schwaiger völlig undenkbar wäre, sei ein Gesetz, das Hospiz-, Pflege- und sonstige Einrichtungen zur Durchführung zwingen oder das Erlauben von assistierten Suiziden vorschreiben würde. Beide Konzepte – jenes des assistierten Suizids und der Palliative Care – seien nicht miteinander vereinbar. Suizidassistenz in Hospiz- und Pflegeeinrichtungen würde außerdem das Vertrauen der Patienten, der Angehörigen, der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter und Spender in die Hospizbetreuung beschädigen, so Schwaiger deutlich.
Juristin Merckens: Autonomie ist nicht voraussetzungslos
In ihrem abschließenden Statement betonte Stephanie Merckens (IEF) (Diskussion, min 2:21:10), die durch die Veranstaltung führte, dass Autonomie nicht voraussetzungslos sei. Während der Abschlussveranstaltung sei daher auch öfters die Forderung nach dem Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung gefallen. Denn nach dem VfGH-Urteil brauche es diese ganz besonders, um die Autonomie im Sinne einer echten Wahlmöglichkeit abzusichern, so Merckens. Als im „Dialogforum Sterbehilfe“ über die wirkungsorientierte Folgenabschätzung des neuen Gesetzes debattiert wurde, habe sie sich dafür eingesetzt, die Kosten hoch anzusetzen. Denn das Ziel sei letztendlich, die Suizidprävention und damit die Wahlmöglichkeit abzusichern. Denn wer keine Unterstützung im Leben, sei es im Rahmen von Krisenintervention, palliativer Versorgung, persönlicher Assistenz u.v.m., hat, dem könne das Recht auf assistierten Suizid nicht als gleichwertige Option unter vielen anderen beigestellt werden. Es sei nämlich viel einfacher jemanden zu finden, der einem ein Suizidpräparat besorgt, als jemanden, der einen tagtäglich, vielleicht auch kostenlos im Leben begleitet. Merckens sieht daher den vom VfGH Erkenntnis ausgehenden Auftrag, die freie Selbstbestimmung abzusichern, sehr viel weitergehend als bloß den Suizidwunsche ausreichend zu dokumentieren. (StM, AH)