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BE / Lebensende: Sterbehilfe-Fälle erneut gestiegen – Ethiker kritisiert Klimawandel bei Euthanasie
IEF, 20.7.2018 – Die Zahl der Sterbehilfe-Fälle in Belgien ist 2017 wieder gestiegen. Das geht aus dem kürzlich veröffentlichten Bericht der Föderalen Kontroll- und Evaluationskommission zur Euthanasie (FCEE) hervor. Philosoph und Ethiker Willem Lemmens kritisiert den moralischen Klimawandel in Belgien.
Anstieg um über 13 Prozent von 2016 auf 2017
Dem Bericht der FCEE zufolge seien im vergangenen Jahr 2.309 Menschen durch die Hand von Ärzten zu Tode gekommen. Das entspreche einem Plus von über 13 Prozent im Vergleich zu 2016 mit 2.028 registrierten Fällen. Der Großteil der Patienten (1.747) sei zwischen 60 und 89 Jahre alt gewesen. Auch drei Minderjährige (9, 11 und 17 Jahre) starben den Angaben zufolge durch Euthanasie. Immer mehr ältere Menschen, die unter typischen Alterserkrankungen wie Blindheit, Taubheit oder Bewegungseinschränkungen litten, wählten den Tod durch Sterbehilfe.
Grund für Euthanasie: Krebs und psychische Leiden
Bei den meisten Patienten sei laut Bericht Krebs oder eine Kombination von „schweren und unheilbaren Krankheiten“ als Grund für Euthanasie angegeben worden. In 40 Prozent der Fälle seien psychische Leiden die Begründung gewesen. Diese Zahlen entsprächen in etwa dem Niveau des Vorjahres.
Zunahme von Tötungen aufgrund Patientenverfügungen und in Pflegeheimen
Zugenommen hätten jedoch die Fälle von Tötungen auf Verlangen auf Grundlage von vorher errichteten Patientenverfügungen. Ebenso seien die Euthanasie-Fälle in Pflegeheimen gestiegen. 2016 wurden 256 Menschen getötet, 2017 bereits 348.
Ethiker Lemmens: „Dramatischer moralischer Klimawandel“
Der belgische Philosoph und Ethiker Willem Lemmens kritisierte laut Internetnachrichtendienst lifesitenews.com den Wandel des „moralischen Klimas“: Psychiater, die sich gegen die neue liberale Auslegung des belgischen Euthanasiegesetzes wendeten, würden als unmenschlich und nicht empathisch gegenüber denjenigen empfunden, die schweren Leiden ausgesetzt seien. „Das moralische Klima hat sich drastisch geändert. Euthanasie wird von einigen als ,Grundrecht’ und der Tod als ‚therapeutische Lösung’ bezeichnet. Euthanasie wird gewissermaßen sakralisiert und jede Kritik daran als unmenschlich und somit als unmoralisch abgetan“, so Lemmens.
Kritik an Euthanasie wird lauter
Lemmens reiht sich mit dieser Kritik in eine Liste von namhaften Experten, die stetig wächst. Wie das Institut für Ehe und Familie (IEF) berichtete, trat etwa im Frühling dieses Jahres der belgische Neurologe Ludo Vanopdenbosch aus der Kontrollkommission für aktive Sterbehilfe (FCEE) aus. Erst im Jänner 2018 hatte eine niederländische Medizinethikerin eine niederländische Sterbehilfe-Kommission verlassen, da sie die Sterbehilfepraxis bei Demenzpatienten nicht mehr verantworten könne. Auch bei Vanopdenbosch sei der Auslöser ein Demenzpatient gewesen, der aktive Sterbehilfe erhielt. Im Dezember 2017 hatte der flämische Psychiatrieverband (VVP) strengere Regelungen für Sterbehilfe bei psychischen Leiden gefordert. Wie das IEF berichtete, äußerten die Psychiater die Sorge, „dass unter der weißen Fahne von Menschlichkeit und Barmherzigkeit die Grenzen des Euthanasiegesetzes ausgedehnt werden“. Problematisch sei in ihren Augen, dass das Prinzip „Hoffnungslosigkeit“ unzureichend „objektiv“ sei.
Deutsche Stiftung Patientenschutz schlägt Alarm
Laut kathpress forderte die Deutsche Stiftung Patientenschutz nach Veröffentlichung des belgischen Berichts dazu auf, diese Entwicklung in der deutschen Sterbehilfediskussion kritisch im Blick zu behalten. „Die Euthanasie-Statistik in Belgien ist erschreckend. Allein im letzten Jahr gab es einen Anstieg von knapp 14 Prozent. Mittlerweile sterben viermal so viele Menschen durch aktive Sterbehilfe als im Straßenverkehr“, sagte Vorstand Eugen Brysch. Unter dem Deckmantel der Selbstbestimmung würden so auch Kinder, psychisch Kranke und Demenzpatienten getötet.
Sozialverband VdK Deutschland fordert Unterstützung für pflegende Angehörige
Voraussetzung für ein Altern und Sterben in Würde ist u.a. eine ausreichende Unterstützung der pflegenden Personen. Daher forderte kürzlich die VdK-Präsidentin Verena Bentele mehr Unterstützung und Entlastungsangebote für pflegende Angehörige. „Eine Lohnersatzleistung wie das Elterngeld (in Österreich Kinderbetreuungsgeld, Anm.d.R.) brauchen wir auch in der Pflege“, forderte Bentele laut Tageszeitung Die Welt. Bentele beklagte, Pflege finde meist noch im Verborgenen statt und genieße nicht die Anerkennung, die eine solche immens fordernde und wichtige Tätigkeit verdiene. Das spiegle sich auch im Gehalt der Pflegekräfte wider. Ohne die pflegenden Angehörigen würde die Pflege in Deutschland jedoch zusammenbrechen, mahnte die VdK-Präsidentin.
Die Situation in Österreich ist ähnlich, wie etwa auch die Diskussion um die 24-Stunden-Betreuung zeigt.