INT / Lebensende: „Sterbehilfe“ als Folge mangelnden Wissens über Therapiemöglichkeiten
IEF, 18.09.2020 – Laut einer Studie sei die Unwissenheit der Ärzte in Bezug auf Symptome und Heilungsmöglichkeiten ein häufiger Grund für aktive „Sterbehilfe“ bei psychisch Kranken.
Eine in Borderline Personality Disorder and Emotion Dysregulation publizierte Studie analysiert die, laut den Autoren, besorgniserregende Entwicklung, wonach immer mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen „Sterbehilfe“ beantragen und diese auch bewilligt bekommen würden. Einen Grund dafür sieht das an der Studie beteiligte Team aus Psychiatern rund um Lars Mehlum vor allem in der vorschnellen Klassifikation vieler Krankheiten als „ohne Aussicht auf Besserung“. Dabei soll ein Großteil der zur „Sterbehilfe“ zugelassenen Patienten keine adäquate, evidenzbasierte Behandlung vor der Bewilligung der Sterbehilfe erhalten haben.
Sterbewunsch oft ein Symptom der Erkrankung
Die Studie bietet auch einen guten Überblick über die Geschichte und die momentane Rechtslage in Bezug auf „Tötung auf Verlangen“ und „assistierten Suizid“. So könne „Sterbehilfe“ in sechs, der weltweit acht Länder, die die Praxis erlauben, auch von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Anspruch genommen werden. In vier der Länder trifft dies auch auf Minderjährige zu. Dabei sei der Sterbewunsch bei Menschen, die an einer Persönlichkeitsstörung leiden, oft ein Symptom ihrer Erkrankung. Die Suizidalität sei bei ihnen außerdem stark fluktuierend und lasse sich durch psychosoziale Interventionen zudem sehr gut behandeln.
Die Studienautoren weisen darauf hin, dass auch ein klar gegenüber einem Arzt oder einer nahestehenden Person geäußerter Wunsch zu sterben, in Wahrheit eine Äußerung der Frustration, des Ärgers und des Gefühls, verlassen und enttäuscht zu sein, darstellen könne. Der Sterbewunsch des Patienten, sei dann viel eher ein „Hilferuf um zu leben, als ein Wunsch nach Sterbehilfe“.
Ein missverstandener Hilferuf
Durch die Beantragung der „Sterbehilfe“ signalisiere eine schwer kranke Person meist das Bedürfnis nach Austausch über ihr psychisches Leid und die damit einhergehende Einsamkeit. Für jemanden, der häufig mit einem schmerzlichen Gefühl der Hilflosigkeit, Traurigkeit und des Gefangenseins zu kämpfen hat, würden Gedanken an den Tod und Suizid oft ein Gefühl der Kontrolle und Erleichterung, im Sinne von „ich kann den Schmerzen ein Ende bereiten“, vermitteln. Einen weiteren Grund für einen „Sterbehilfe“-Antrag sehen die Autoren zudem in der Schwierigkeit der Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, die Emotionen und Absichten anderer richtig zu interpretieren, was oft zu Missverständnissen zwischen Arzt und Patient führe.
Diese Beschreibung erinnert auch an die Situation von Amy de Schutter, einer jungen Belgierin, die letztens häufig in den Medien erwähnt wurde und der drei Ärzte einen Freibrief für die Inanspruchnahme der „Sterbehilfe“ ausgestellt haben. Wie Sky News berichtet, leide de Schutter seit ihrer Kindheit an Depressionen. Als Erwachsene soll sie außerdem mit Autismus diagnostiziert worden sein. Drei Ärzte haben der Belgierin bestätigt, dass ihr Leiden unerträglich sei und sie sich daher für „Sterbehilfe“ qualifiziere, und das obwohl die junge Frau körperlich völlig gesund ist.
Sie selbst sagt von sich, dass sie seit ihrer Kindheit immer wieder an Suizid denke. Sie könne keiner Arbeit nachgehen, habe wenig Geld und sei sozial isoliert. Es sei ihr auch wichtig, dass die Menschen ihren Schmerz anerkennen.
Bemerkenswert dabei ist, dass de Schutter immer wieder meint, sie möchte eigentlich nicht sterben, sie wolle viel eher nicht so weiterleben. Für Dr. Stephanie Merckens, Biopolitikerin am Institut für Ehe und Familie (IEF), ist die Bewilligung eines Antrags auf aktive „Sterbehilfe“ daher viel eher eine Kapitulation als eine tatsächliche Hilfe.
Befangenheit der Ärzte und Therapeuten
Wie die Studie nämlich darlegt, seien viele Ärzte mit dem „unerträglichen“ emotionalen Schmerz ihrer Patienten überfordert. Sie würden sich dem Sterbewunsch ihrer Patienten gegenüber oft „hilflos, entsetzt, schuldig, wütend, betrogen, angewidert und traurig fühlen“, was auch ihre Entscheidung in Bezug auf die Gewährung der „Sterbehilfe“ beeinflussen könnte.
Auch würden Allgemeinärzte 2,6 Mal so häufig „Sterbehilfe“ bei psychischen Erkrankungen in Erwägung ziehen als etwa klinische Experten, was die These untermauert, dass direkte „Sterbehilfe“ häufig auch mangels Fachkenntnis über Therapie- bzw. Schmerzbehandlungsmöglichkeiten angeboten werde.
Resümierend halten die Autoren der Studie fest, dass Rechtsvorschriften, welche „Sterbehilfe“ auch für psychisch kranke Personen vorsehen, auf einem falschen Verständnis und der Unwissenheit über Therapiemöglichkeiten basieren und deshalb revidiert werden sollten. (AH)