SE_INT / Abtreibung: Keine Gewissensfreiheit für Hebammen
IEF, 24.03.2020 – Die Pflicht zur Durchführung von Abtreibungen verstößt laut dem EGMR nicht gegen die Religions- und Gewissensfreiheit.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat die Beschwerden zweier Krankenschwestern aus Schweden, Ellinor Grimmark und Linda Steen, denen die Beschäftigung als Hebammen verweigert wurde, da sie es ablehnten Abtreibungen durchzuführen, als unzulässig abgewiesen.
Keine Anstellung bei Weigerung an Abtreibungen mitzuwirken
Ellinor Grimmark und Linda Steen ließen sich in einer Zeit von großem Hebammenmangel in Schweden zu Hebammen ausbilden. Gegen Ende ihrer Ausbildung bewarben sie sich um entsprechende Stellen in Krankenhäusern, wobei beide im Zuge der Anstellungsgespräche erwähnten, aufgrund ihres christlichen Glaubens nicht bei der Durchführung von Abtreibungen mitwirken zu können. Infolge dieser Weigerung wurde ihnen schließlich die Anstellung verwehrt. Ellinor Grimmark bewarb sich daraufhin bei anderen Krankenhäusern in Schweden und erhielt nach anfänglichen Zusagen schließlich doch ablehnende Antworten – einmal anscheinend deshalb, weil sie wegen ihrer ersten Ablehnung Beschwerde beim Ombudsmann eingereicht hatte und daraufhin von einer Zeitung interviewt wurde, bei der sie ebenfalls ihre ablehnende Haltung gegenüber der Abtreibung äußerte. Ein drittes Krankenhaus bot ihr Beratung an, die ihr helfen sollte ihre Meinung zu ändern und das „Gut der Abtreibung“ zu erkennen.
Die Hebammen hatten auch mit medialen Anfeindungen zu kämpfen. Während eines Panels über radikale Islamisten sollen jene, die sich verweigern Abtreibungen durchzuführen, ebenfalls als religiöse Fundamentalisten bezeichnet worden sein – eine damals klare Anspielung auf Grimmark und Steen. In einer populären schwedischen TV Show soll die feministische Schriftstellerin, Cissi Wallin, außerdem überlegt haben, ob man jene, die Abtreibungen ablehnen, nicht rückwirkend abtreiben könne.
Keine Diskriminierung bei Ablehnung von Abtreibungen
Beide Hebammen klagten gegen die Behörden der Landkreise, die ihnen die Anstellung als Hebammen verweigerten, wegen Verletzung ihres Rechts auf Gewissens- und Religionsfreiheit sowie Meinungsfreiheit.
Wie ADF International in einem Kommentar zur jetzigen EGMR-Entscheidung berichtet, nahm die Organisation damals in einem Amicus-Brief-Schriftsatz zu den in Schweden 2014 und 2016 laufenden Verfahren Stellung und wies u.a. auf die Resolution des Europarates aus dem Jahr 2010 hin, wonach „keine Person, kein Krankenhaus oder Institution aufgrund der Weigerung eine Abtreibung durchzuführen, zu gewährleisten oder bei einer Abtreibung zu assistieren oder sich dieser zu unterziehen, dazu gezwungen, zur Verantwortung gezogen oder auf irgendeine Wiese diskriminiert werden dürfe.“
Die schwedischen Gerichte gaben dem Ansuchen der Hebammen jedoch nicht statt und sahen in den gegenständlichen Fällen keine Verletzung der durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleisteten Rechte. Nach Ausschöpfen des innerstaatlichen Instanzenzuges wandten sich Ellinor Grimmark und Linda Steeen schließlich in einer Beschwerde an den EGMR.
Schutz der Gesundheit von abtreibungswilligen Schwangeren sticht Gewissensfreiheit
Die Hebammen führten in ihren Beschwerden aus, durch die nationalen Gerichtsentscheidungen, die die Anstellungsverweigerung aufgrund ihrer religiösen Ansichten als rechtmäßig erkannten, in ihrem Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit (Artikel 9 EMRK) sowie Meinungsfreiheit (Artikel 10 EMRK) verletzt und aufgrund ihres Glaubens diskriminiert (Artikel 14 EMRK) worden zu sein.
Der EGMR stellte nun in zwei am 12. März 2020 ergangenen Entscheidungen (Grimmark v. Sweden und Steen v. Sweden) fest, dass die unabhängig voneinander eingereichten Anträge unzulässig seien und begründete dies damit, dass die schwedischen Behörden gesetzeskonform gehandelt hätten und eine Einschränkung der Religions- und Gewissensfreiheit zum Zwecke des Gesundheitsschutzes von Frauen, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollen, legitim sei.
In seiner Begründung führt der EGMR an, dass das schwedische Gesetz die Angestellten zur Erfüllung aller ihnen vom Arbeitgeber vorgegebenen Aufträge verpflichte, weshalb die Einschränkung der Religions- und Gewissensfreiheit dort gesetzlich vorgeschrieben sei. Außerdem sei die Einschränkung „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“, da sie dem Schutz der Gesundheit von schwangeren Frauen, die abtreiben wollen, diene. Verhältnismäßig sei der Eingriff in das Grundrecht deshalb, da Schweden einen landesweiten Zugang zu Abtreibungen anbiete und deshalb die Pflicht habe das Gesundheitssystem so zu organisieren, dass die Religions- und Gewissensfreiheit der im Gesundheitsdienst Tätigen die Gewährleistung der Abtreibungen nicht behindere.
Was die Meinungsfreiheit betrifft, konnte der EGMR ebenfalls keine Verletzung erkennen. Die Weigerung der Anstellung der Hebammen bezöge sich nämlich nicht auf ihre Einstellung zu den Abtreibungen an sich, sondern auf ihre Weigerung an Abtreibungen teilzunehmen, die zum Dienst einer Hebamme dazugehören würden.
In Bezug auf Artikel 14 EMRK befand das Gericht, dass der Unterschied, der zwischen einer Hebamme bestehe, die alle ihr übertragenen Aufgaben erledige und jener die beispielsweise die Durchführung von Abtreibungen verweigere, auch eine unterschiedliche Behandlung gestatte, weshalb keine Diskriminierung im Fall Grimmark v. Sweden vorliegen würde.
Im Fall von Steen v. Sweden befand das Gericht, dass eine Beschwerde wegen Artikel 14 nicht zulässig sei, da die Diskriminierung nicht vor den innerstaatlichen Gerichten geltend gemacht wurde.
Gefährliches Abgehen des Gerichts vom Schutz der Grundfreiheiten
Der Fall sei einem kleinen 3-köpfigen Richtergremium zugewiesen worden, das normalerweise über „einfache“ Routine-Fälle entscheidet, bei denen es vormalige Gerichtsentscheidungen anwendet, so das European Center for Law and Justice (ECLJ) in einem Kommentar zum Urteil. Ein derartiger Fall hätte zumindest von einer Kammer mit sieben Richtern, wenn nicht gar von der 17 Richter zählenden Großen Kammer entschieden werden müssen. Durch die Zurückweisung der Beschwerde der Hebammen würde das Gericht eine endgültige Entscheidung treffen, die den Parteien auch die Möglichkeit der Berufung nehmen würde.
ADF International, das beide Krankenschwestern vor dem EGMR vertrat, sieht in der Entscheidung ein „gefährliches Abgehen des Gerichts vom Schutz der Grundfreiheiten“. Das Gericht würde es versäumen, die im Fall von Eweida and Others v. the United Kingdom geäußerte Überzeugung zu bekräftigen, wonach niemand gezwungen werden sollte, seine Arbeit wegen des öffentlichen Bekenntnisses seines Glaubens oder seiner Weltanschauung aufzugeben. Die Entscheidung des EGMR würde das Menschenrecht der schwedischen Hebammen auf Religions- und Gewissensfreiheit für ein Gesundheitssystem opfern, in dem alle Hebammen die gleichen Tätigkeiten verrichten müssen. Dass eine andere Organisation des Gesundheitssystems möglich sei, zeige sowohl ein Blick in die Vergangenheit, in der Hebammen auch in Schweden das Recht auf Gewissensfreiheit genossen und der Blick in andere europäische Länder, die dieses Recht den im Gesundheitswesen arbeitenden Menschen gewährleisten.
Für Dr. Stephanie Merckens, Juristin und Biopolitikerin am Institut für Ehe und Familie (IEF), hat die Entscheidung auch für Österreich Bedeutung. Insbesondere zeigt sie, dass man sich zurecht gegen eine öffentliche Pflicht zur Bereitstellung von Abtreibungsmöglichkeiten wehren müsse, da ansonsten die ebenfalls in Österreich sogar strafrechtlich abgesicherte Gewissensfreiheit medizinischen Personals nicht mehr garantiert werden könne. Außerdem zeige die Entscheidung ein weiteres Mal, dass Gerichte bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in Grundrechte höchst unterschiedliche Maßstäbe setzten. Während die Gewährleistung einer Abtreibung immer mehr zum Totschlagargument wird und jede noch so vehemente Rechtsverdrehung zu gewährleisten scheint, werden Rechtsordnungen gezwungen, Maßnahmen zum Schutz des Lebens vulnerabler Personen bis zur Effektlosigkeit zu reduzieren wie etwa die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgericht in Sachen gewerbsmäßiger Sterbehilfe gezeigt hat. (AH)
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