US / Menschenrechte: Supreme Court urteilt zu Gunsten katholischer Einrichtung
IEF, 02.07.2021 – Einstimmig entschied der US-Supreme Court zugunsten der Religionsfreiheit: eine katholische Pflegeeinrichtung darf homosexuelle Paare als Pflegeltern abweisen.
Vermittlung von Pflegekindern im Auftrag der Stadt
Die Stadt Pennsylvania schließt jährlich Standardverträge mit Agenturen ab, die Kinder an Pflegefamilien vermitteln. Eine der Hauptaufgaben der Agenturen ist es, potenzielle Pflegefamilien nach den gesetzlich festgelegten Kriterien auszuwählen und zu zertifizieren.
Im Verfahren zur Entscheidung Fulton et al. v. City of Philadelphia, Pennsylvania, et al. hatte die katholische Pflegeinrichtung Catholic Social Services (CSS) vorgebracht, dass ihrer Ansicht nach die Zertifizierung eine „Bestätigung einer Beziehung“ darstelle und es ihr daher nicht möglich sei, unverheiratete Paare – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung – sowie homosexuelle Paare auf ihre Eignung als Pflegeltern zu überprüfen. Die Stadt Pennsylvania entgegnete, dass ein solches Verhalten gegen eine Antidiskriminierungsklausel im Vertrag wie auch gegen die von ihr erlassene „Fair Practices-Verordnung“ verstoße und man daher beabsichtige, keine Kinder mehr über die Agentur vermitteln zu lassen beziehungsweise in weiterer Folge keinen Vertrag mehr mit der seit 2018 im Auftrag der Stadt tätigen katholischen Pflegeeinrichtung abzuschließen.
CSS: Eingriff in Recht auf Religionsfreiheit
CSS und drei in ihrem Dienst stehende Pflegeltern hatten aufgrund der Absichtserklärung der Stadt eine Klage mit der Begründung eingebracht, Pennsylvania verstoße durch sein Handeln gegen das im ersten Verfassungszusatz garantierte Recht auf freie Religionsausübung und Meinungsfreiheit.
Nachdem die Vorinstanzen gegen CSS entschieden hatten, wurde eine Anhörung des Falles vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten (Supreme Court) beantragt. Diese fand im Februar 2020 statt. Im Verfahren bekämpften CSS und ihre Mitkläger vor allem eine Rechtsprechung zur Rechtssache Employment Division v. Smith aus dem Jahr 1990, die es der Regierung seitdem ermöglichte, Gesetze zu erlassen, obwohl sie einen Eingriff in das Recht auf freie Religionsausübung bedeuteten, solange sie allgemein anwendbar sind und somit jeden Rechtsunterworfenen betreffen. Aber selbst wenn das Gericht an dieser Rechtsprechung festhalten sollte, wäre nach CSS die Vertragsbeendigung durch die Stadt ungerechtfertigt, da die zu Grunde liegende Fair-Practices-Verordnung dem Leiter des staatlichen Departments for Health Service die Befugnis einräume, individuelle Ausnahmen von dem allgemeinen Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu machen. Und zwar „nach seinem alleinigen Ermessen“. Wenn der Staat „ein System individueller Ausnahmen“ vorsehe, dürfe er sich nicht weigern, dieses System ohne zwingenden Grund auch auf Fälle auszudehnen, die einen religiösen Konflikt aufwerfen. Im Umkehrschluss dürfe sich die Stadt auch nur solcher Ausnahmeregelungen bedienen, die neutral und allgemein anwendbar sind und sich daher gleichermaßen auf religiöse und säkulare Aktivitäten beziehen würden.
Einstimmige Entscheidung zu Gunsten von CSS
In einem einstimmigen Urteil hob der Supreme Court am 17. Juni das Urteil des Berufungsgerichtes zu Gunsten der CSS auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung zurück.
Der Supreme Court stellte fest, dass Vertragsklauseln in Verträgen mit privaten Sozialagenturen wie CSS, die eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung verbieten, nicht neutral und allgemein anwendbar sind. Begründet wird dies durch das Vorliegen der Sonderbestimmung in der Fair-Practices-Verordnung, die dem Leiter des Departments für Health Services die Befugnis einräumt, nach „seinem alleinigen Ermessen“ individuelle Ausnahmen von dem allgemeinen Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung zu machen. „Unabhängig davon, welches Maß an Ehrerbietung wir der Stadt entgegenbringen, macht die Aufnahme eines formalen Systems von Ausnahmen, die völlig im Ermessen liegen, (…) die vertragliche Nichtdiskriminierungsanforderung nicht allgemein anwendbar.“, so der Vorsitzende des Supreme Court Richter John Roberts in der Urteilsbegründung.
Der Gerichtshof stellte fest, dass die Entscheidung, ob Pflegeeltern für Adoptionen zugelassen werden oder nicht, keine Dienstleistung ist, die „der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird“, da sie „eine individuelle und selektive Beurteilung beinhaltet, die wenig Ähnlichkeit mit einem Aufenthalt in einem Hotel, einem Essen in einem Restaurant oder einer Busfahrt hat“ Aufgrund der personalisierten Natur der Bewertung und Auswahl von Pflegeeltern für eine Adoption sei der Zertifizierungsprozess von CSS daher nicht die Art von öffentlichem Dienst, die Philadelphias Fair-Practices-Verordnung abdecken solle, so der Gerichtshof.
Schließlich wies das Höchstgericht die verschiedenen Begründungen Philadelphias für seine Nichtdiskriminierungsanforderungen in seinen Verträgen mit Pflegeelternagenturen zurück. Dazu gehörte das erklärte Interesse der Stadt an der „Gleichbehandlung von potenziellen Pflegeeltern und Pflegekindern“. Der Gerichtshof anerkannte, dass „dieses Interesse ein gewichtiges ist“, fand aber keine Rechtfertigung dafür, dass CSS in diesem Fall eine Ausnahme aufgrund der religiösen Überzeugung verweigert wurde, während solche Ausnahmen für andere im „alleinigen Ermessen“ des Department-Leiters gemäß der Fair-Practices-Verordnung zur Verfügung stehen.
Nicht die erhoffte Tragweite
Vor der Entscheidung des Gerichtshofes war erwartet worden, dass Fulton et al. v. City of Philadelphia, Pennsylvania, et al. ein richtungsweisender Fall im Konflikt zwischen der Freiheit der religiösen Meinungsäußerung und den LGBTQI-Rechten sein würde. Aufgrund der Mehrheit konservativer Richter wurde damit gerechnet, dass die Entscheidung zu Gunsten der Interessen religiöser Gruppen und zum Nachteil der Bestrebungen der LGBTQI-Lobbys fallen könnte. Angesichts der eng gesteckten Argumentationslinien des Gerichtshofes wurden diese Hoffnungen nicht bestätigt. Auf der anderen Seite ist dies aber wohl auch der Grund für die Einstimmigkeit des Urteils. Dem liberalen Flügel des Gerichtshofes, namentlich den Richtern Stephen Breyer, Sonia Sotomayor und Elena Kagan war es möglich, die Entscheidung mitzutragen, ohne eine ideologische Entscheidung zu Gunsten des Rechts auf freie Meinungsäußerung versus Diskriminierungsverbote zu treffen.
Der Fall wurde in enger Abgrenzung zum Urteil im Fall Employment Division v. Smith entschieden, in dem zuvor festgestellt worden war, dass neutrale Gesetze mit allgemeiner Geltung nicht wegen Verletzung der Religionsausübungsfreiheit angefochten werden können. Da der Supreme Court im aktuellen Verfahren feststellte, dass Agenturen zur Vermittlung von Pflegefamilien keine öffentlichen Einrichtungen sind und daher das Abweichen von einem verfassungsrechtlich gewährleistetem Recht nicht – wie in der Rechtssache Smith judiziert – durch ein zwingendes staatliches Interesse gerechtfertigt werden kann, hatte der Fall kein Abgehen von der Rechtsprechung zur Folge. Dass das Urteil aufgrund von formalen Kriterien zu Gunsten der Klägerin CSS gefällt wurde, kritisierte der konservative Richter Neil Gorsuch in seiner Stellungnahme, wie USA Today berichtet: „Sie sagen, es gibt keine „Notwendigkeit“, keinen „Grund“, den Fehler in der Rechtssache Smith anzusprechen,“ schrieb Gorsuch. „An der Oberfläche mag das ein netter Schachzug sein, aber wenn sie einen Zentimeter tiefer graben, kommen die Probleme zum Vorschein.“. (KL)