DE / Familie: Kinderrechte – längst überfällig oder ein Angriff auf die Familie?
IEF, 01.02.2021 – Union und SPD einigen sich erstmals auf einen gemeinsamen Vorschlag zur Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz.
Die explizite Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz wird in Deutschland bereits seit Jahren diskutiert. So hat auch die amtierende Koalition ein entsprechendes Vorhaben in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen und beauftragte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, konkrete Vorschläge auszuarbeiten. Mitte 2019 legten auch die Linksfraktion und die Grünen jeweils eigene Gesetzesvorschläge zur Ausgestaltung eines Kindergrundrechts vor, die im Bundestag in erster Lesung diskutiert und anschließend zur weiteren Beratung dem zuständigen Ausschuss zugewiesen wurden (das IEF hat berichtet). Die von den Regierungsparteien beauftragte Arbeitsgruppe präsentierte Ende 2019 ihre Empfehlungen, auf Basis derer die Justizministerin Christine Lambrecht Anfang 2020 dem Bundestag einen eigenen Gesetzesentwurf präsentierte, der jedoch keine Mehrheit fand (das IEF hat berichtet).
Kinderrechte im Grundgesetz als Umsetzung des Koalitionsvertrages
Nun haben sich die Koalitionsparteien auf einen neuen gemeinsamen Vorschlag zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz (GG) geeinigt. Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder sollen dabei im Absatz 2 des Artikels 6 GG, in dem bereits das Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder geregelt ist, verankert werden. Der wortwörtliche Vorschlag lautet derzeit:
„Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“
Die Koalitionsparteien, Union und SPD, wollen die Verfassungsänderung noch vor der Bundestagswahl im September realisieren. Doch für eine Grundgesetzänderung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat erforderlich, also auch die Zustimmung von Oppositionsparteien, von denen die einen den Vorschlag als zu weitgehend und die anderen als unzureichend kritisieren. Der Ausgang der Beratungen bleibt also abzuwarten.
Bietet geltendes Verfassungsrecht den besseren Schutz für Kinder?
Während die Grünen, Linken und Kinderschutzverbände laut Deutschlandfunk den Vorschlag als nicht weitgehend genug kritisieren, halten viele die Verfassungsänderung für überflüssig oder gar gefährlich.
So spricht sich etwa der Familienbund der Katholiken dezidiert gegen eine Verfassungsänderung aus. „Der wortreiche Passus, auf dem sich die große Koalition nun geeinigt hat, scheint zwar mit Blick auf die Einschränkung von Elternrechten weitgehend entschärft, bleibt aber für die Stellung von Kindern in unserem Rechtssystem folgenlos und bietet Anlass für Missverständnisse,“ heißt es in einer Pressemitteilung des Familienbundes anlässlich des neuen Koalitionsvorschlags. Laut Familienbund-Präsident, Ulrich Hoffnung, würde das geltende Verfassungsrecht die Kinder noch am besten schützen. Würde man tatsächlich die Lage der Kinder verbessern wollen, müsste man viel eher an der konkreten Einzelgesetzgebung, wie etwa der Kinder- und Jugendhilfe, arbeiten, und nicht abstrakte Verfassungsgesetze erlassen.
Zwar sei die explizite Bestätigung der primären Erziehungszuständigkeit der Eltern „ein Fortschritt“, der „rechtliche Nebenwirkungen einer Verfassungsänderung, wie Eingriffe in die Eltern-Kind-Beziehung, verhindern“ sollte. Jede Verfassungsänderung würde jedoch auch die „Gefahr einer unbeabsichtigten Inhaltsänderung“ mit sich bringen, so Hoffnung weiter.
„Es bleibt widersinnig, eine Verfassungsänderung mit der Zielsetzung durchzuführen, dass sich möglichst wenig ändern soll, weil die derzeitige Rechtslage gut ist. Das Sichtbarmachen bereits bestehender Kindergrundrechte kann keine Rechtfertigung sein“, quittiert der Familienbund seine Position zur geplanten Grundgesetzänderung.
Niedergang des Verfassungsdenkens
Kritik am Kinderrechtevorschlag in der Verfassung kam auch von Rechtswissenschaftlern. Für Otto Depenheuer, Professor für Öffentliches Recht, Allgemeine Staatslehre und Rechtsphilosophie an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität von Köln, beispielsweise signalisiere der Vorschlag der Koalitionsparteien einen „Niedergang des Verfassungsdenkens“. Das Grundgesetz werde immer mehr als „Sammelsurium von politischen Wünschen und koalitionären Absprachen“ missbraucht, anstatt „einlösbares Recht“ zu kodifizieren, so der Rechtswissenschaftler in einem Gastbeitrag in Cicero.
Kinder seien bereits jetzt Grundrechtsträger und der Staat habe auch ohne die geplante Verfassungsänderung die Rechte der Kinder zu achten und zu schützen. Auch wenn es dem Gesetzgeber zustehe, „staatsrechtliche Lehrbuchweisheiten“ ausdrücklich zu wiederholen, seien diese „überflüssig“ und „nichts als juristisch leerlaufende Plattitüden und Trivialitäten“.
Depenhauer gibt außerdem zu bedenken, dass durch die Überfrachtung der Verfassung, diese „ihre juristische Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit“ verliere, was wiederum neue Spielräume für Verfassungsgerichte eröffne, die damit vielfach die Rolle des Gesetzgebers übernehmen würden.
Eine nicht so harmlose Formulierung
Mit großer Zurückhaltung blickt auch die Bundestagsabgeordnete, Sylvia Pantel (CDU/CSU), in einem Gastbeitrag in Tichys Einblick auf den von der Koalition präsentierten Gesetzesentwurf.
Sie zitiert darin u.a. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach ein Kind nach geltendem Verfassungsrecht „ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit“ sei (BVerfGE 24, 119 [144]) und „das Kind eigene Würde und eigene Rechte“ und „als Grundrechtsträger Anspruch auf den Schutz des Staates und die Gewährleistung seiner grundrechtlich verbürgten Rechte“ habe (BVerfGE 121, 69 [92 f.]).
Außerdem führt sie ein Schreiben von CDU-Vertretern im Koalitionsausschuss an, in dem es heißt, dass Kinder „über Artikel 1 des Grundgesetzes – Unantastbarkeit der Menschenwürde – schon jetzt geschützt“ seien und „an allen Grundrechten schon jetzt Anteil“ hätten, „auch wenn sie je nach Alter noch nicht alle Grundrechte selbständig ausüben“ könnten. Sie hätten über Artikel 103 Absatz 1 GG außerdem jetzt schon „Anspruch auf rechtliches Gehör.“
Pantel stellt sich auch die Frage, ob die geplante Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz tatsächlich bloß symbolischen Charakter hätte und völlig harmlos sei. In den anderen bisher vorgestellten Gesetzesentwürfen, wie etwa jenen der Linken, Grünen und der SPD, würde vielmehr die Absicht deutlich werden, dem „Staat einen verstärkten Zugriff auf Kinder“ zu ermöglichen. So sei es auch nicht verwunderlich, dass der jetzige Gesetzesentwurf für das von der SPD geleitete Familienministerium lediglich eine zu gestaltende Diskussionsgrundlage bilde.
Aber auch wenn sich an dem jetzigen Inhalt der Gesetzesvorlage nichts ändern sollte, könne nicht verlässlich gesagt werden, dass die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz nicht zu einer veränderten Rechtsprechung vor allem in Bezug auf die Elternrechte führen würde, zumal das Bundesverfassungsgericht davon ausgehen könnte, dass sich die Änderung auch auf den materiell-rechtlichen Gehalt des Grundgesetzes in Bezug auf die Elternrechte auswirke. Das wiederum könnte Einfluss darauf haben, ob der Staat Kindern dazu verhelfen könnte, auch gegen den Willen der Eltern u.a. das Geschlecht frei zu wählen, Schönheits-OPs zu machen oder sich gar von den Eltern zu trennen, gibt Pantel abschließend zu bedenken. (AH)