CH / Menschenrechte: Rassismusstrafnorm wird um sexuelle Orientierung erweitert
IEF, 04.03.2020 – Die Schweizer entschieden im Rahmen einer Volksabstimmung, dass Diskriminierungen aufgrund sexueller Orientierung künftig strafbar sein sollen.
Am 9. Februar 2020 war die Schweizer Bevölkerung aufgerufen, über zwei Anträge im Rahmen einer Volksabstimmung zu entscheiden. Während der eine Antrag sich mit „mehr bezahlbaren Wohnungen“ beschäftigte und abgelehnt wurde, ging es beim anderen Antrag um eine Erweiterung der Rassismusstrafnorm. Mit 63,1 Prozent wurde die Änderung der Artikel 261 des Strafgesetzbuchs und 171c des Militärstrafgesetzes angenommen. Somit werden in der Schweiz diskriminierende Handlungen und Äußerungen nunmehr auch dann mit bis zu drei Jahren Haft bestraft, wenn sich auf die sexuelle Orientierung beziehen, und nicht nur wie bisher, wenn sie die Rasse, Ethnie oder Religion einer Person betreffen.
Erweiterung der Rassismusstrafnorm
Die Initiative zur Erweiterung der Rassismusstrafnorm ging vom Parlament aus. Ziel der Erweiterung sei es Personen, die aufgrund ihrer Homo-, Hetero- oder Bisexualität diskriminiert werden, besonderen Schutz zukommen zu lassen, heißt es in den Erläuterungen des Bundesrats zur Volksabstimmung. Verboten wären demnach „öffentliche Äußerungen oder Handlungen, welche die Menschenwürde einer Person oder Personengruppe verletzen und somit ein Klima des Hasses schüren und das friedliche Zusammenleben der Gesellschaft gefährden“. Auch die sich auf die sexuelle Orientierung beziehende Verweigerung einer öffentlich angebotenen Leistung sei unter dem neuen Paragrafen strafbar. Ausnahmen bestünden für Äußerungen oder Handlungen im Familien- und Freundeskreis sowie sachliche Diskussionen in der Öffentlichkeit.
Gegen den Gesetzesvorschlag wurde vom überparteilichen Komitee «Nein zu diesem Zensurgesetz!» erfolgreich das Referendum ergriffen, das schließlich zur Volksabstimmung am 9. Februar führte.
„Sonderrecht NEIN!“
Das Referendumskomitee machte geltend, dass Homosexuelle „längst gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft“ seien und es nicht nötig hätten, „per Gesetz zu einer vermeintlich schwachen und schützenswerten Minderheit degradiert zu werden“. Es gäbe bereits genügend rechtliche Grundlagen, um sich vor Diskriminierungen zu schützen. Die beabsichtigte Gesetzesänderung würde vielmehr die Meinungsfreiheit gefährden und eine Art „Gesinnungsjustiz“ einführen.
Auch der homosexuelle SVP-Politiker und Co-Präsident des Referendumskomitees Michael Frauchinger sprach sich in einem Gastbeitrag auf swissinfo.ch dezidiert gegen Sonderrechte aus, weil diese die LGBTI-Personen schwach erscheinen lassen würden. Er sei zudem davon überzeugt, dass das Strafrecht bereits genügend Instrumente biete, „um sich gegen Ehrverletzungen, üble Nachrede, Verleumdung, Beschimpfung oder Drohung zu wehren.“
Weitere Stimmen gegen die Strafbarkeit von Hassreden gegen Homosexuelle
Einen Schritt weiter ging Daniel Gerny, in einem Kommentar in der NZZ. Er sieht in der veränderten Rassismusstrafnorm die Gefahr, dass das Strafrecht an „Klarheit und Konsistenz“ verliere. Es sei für viele Bürger schwer nachvollziehbar was wirklich verboten sei. „Die Autorität des Strafrechts ist umso grösser, je konsequenter es sich – als schärfstes Instrument des Staates – auf das Wesentliche beschränkt“, hält er fest. Darüber hinaus stellt er die Frage in den Raum, weshalb der gleiche Schutz vor Diskriminierung nicht auch aufgrund der geografischen Herkunft, des Gesundheitszustands oder wegen Behinderungen gelten sollte.
Privilegien für eine Minderheit könnten weiter Begehrlichkeiten wecken
Diesen Gedanken führt Jan Ledóchowski, von der Plattform Christdemokratie in einem Beitrag weiter aus und verweist darauf, dass durch die Gesetzesänderung eine weitere Minderheit privilegiert wurde. Man spricht im diesem Zusammenhang vom sogenannten Levelling Up. Da es so viele verschiedene Minderheiten gäbe wie Identitätsmerkmale, könnten diese ihrerseits fordern, besonders geschützt zu werden. Als Beispiel für solche Identitätsmerkmale nennt er u.a. Alter, Religion, Schuhgröße, Wohnort, Haarfarbe, Dialekt.
Auf Dauer führe die Ausweitung der Strafnorm, zu weniger Privatautonomie und mehr Zwang, so Ledóchowski weiter. Man müsse sich daher fragen, ob man wirklich in einer Welt leben wolle, in der Seniorentarife (Anm.: Alter) in der Therme verboten sind, in der Hotels nicht mehr nur kinderlose Gäste (Anm.: Eltern) aufnehmen dürfen und politisch links gesinnte Fotografen einen ÖVP-Parteitag (Anm.: politische Gesinnung) fotografieren müssen, gibt er zu bedenken. Es würde dann „die Freiheit der Gleichheit geopfert“ und dieser Preis sei zu hoch.
Gefahr der Relativierung von schwerwiegenden Verstößen
Wohin ein übersteigertes Levelling Up führen kann, sieht man auch am Beispiel von Frankreich. Dort macht sich laut Code Pénal unter anderem strafbar, wer einen anderen wegen der politischen Gesinnung, des Familiennamens oder des Aussehens diskriminiert. Für den Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli führe eine solche ungebremste Ausweitung der Strafnormen zu einer Relativierung von wirklich schwerwiegenden Verstößen. „Wenn man jeden zum Rassisten macht, ist es am Schluss keiner mehr,“ so der Rechtsprofessor in einem Kommentar im Tagblatt.
Zahlreiche Beispiele für die Einschränkung der Privatautonomie
Was in Zukunft strafbar sei und was nicht, erklärt der Berner Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie Martino Mona in einem SRF- Artikel. Jedenfalls verboten wäre nach der Gesetzesnovelle die Verweigerung einer öffentlichen Dienstleistung, beispielsweise das Backen einer Hochzeitstorte für ein homosexuelles Paar.
Wie weit die Gerichte die Frage nach den öffentlichen Dienstleistungen im Speziellen auslegen, bleibt aber abzuwarten, so Dr. Stephanie Merckens, Juristin am Institut für Ehe und Familie (IEF). Ein Blick in Länder mit ähnlichen Gesetzen stimme jedoch nicht besonders optimistisch. Aus Irland sei beispielswiese ein Fall bekannt, bei dem ein Bäcker wegen seiner Weigerung eine Torte mit dem Slogan „Support Gay Marriage“ (Unterstütze die gleichgeschlechtliche Ehe) zu backen, nach der Verurteilung in zwei Instanzen vor dem Höchstgericht stand. Ähnliche Prozesse seien auch unter anderem aus den USA bekannt (IEF berichtete).
Levelling Up in Österreich
In Österreich ist die Lage bezüglich des Levelling Up seit einigen Jahren unverändert, da alle Vorstöße seitens der Grünen oder der SPÖ für ein strengeres Gleichbehandlungsgesetz bisher gescheitert sind.
Das IEF berichtete hierzu ausführlich. (MM)