AT / Reproduktionsmedizin: Psychosoziale Folgen der Reproduktionsmedizin
IEF, 8.6.2017 – Im Rahmen der Gesprächsreihe „Wiener Dialog Frauengesundheit“ fand am 30.5.2017 ein Austausch zum Thema „Wenn das Wunschkind auf sich warten lässt … Psychosoziale Aspekte künstlicher Befruchtung“ statt. Im Zentrum der Expertendiskussion stand die Frage, was Frauen und Paare als Basis für eine gut informierte Entscheidung für oder gegen eine künstliche Befruchtung brauchten. Anlass war die Beobachtung der Veranstalter, dass die psychosozialen Herausforderungen für die Betroffenen, insbesondere die Frauen, nur unzureichend oder gar nicht bedacht würden. Podiumsteilnehmer waren Univ.Doz. Dr. Peter Kemeter, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe und Mitbegründer der weltweit ersten ambulanten Privatklinik für In-Vitro-Fertilisation (IVF), Dr. Karin Tordy, klinische Psychologin und Psychotherapeutin an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde Wien, und Mag. Anita Weichberger, klinische Psychologin an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde Wien. Weichberger, die auch beim IEF-Politbrunch Down-Syndrom des Instituts für Ehe und Familie (IEF) im März dieses Jahres mitdiskutiert hatte, ersetzte im Podium die geplante Teilnehmerin Univ.Doz. Dr. Jutta Figl, Mitgründerin und Vizerektorin der Sigmund Freud Privatuniversität Wien und Psychotherapeutin.
In ihren Einführungsworten bezeichnete die Leiterin des Wiener Büros für Frauengesundheit und Gesundheitsziele, Mag. Kristina Hametner, die Reproduktionsmedizin kritisch als eine Geschichte, die auf dem Körper der Frauen ausgetragen werde und bei der Versagensgefühle vorprogrammiert seien. Alarmiert hinterfragte sie, warum laut Statistik auffallend viele Frauen schon in sehr jungen Jahren IVF in Anspruch nehmen würden. Sie betonte, dass gerade bei der Fortpflanzung Körper und Seele eine Symbiose seien. Die Erfahrung habe gezeigt, dass bis zu einem Viertel der kinderwünschenden Paare, die zu einer IVF Behandlung kommen, schon nach einer vorgelagerten psychologischen Beratung ein Kind erwarteten.
Karin Tordy, die zu dieser Thematik auch schon bei einem IEF-Politbrunch gesprochen hat, gab zu Bedenken, dass das Risiko für postnatale Depressionen nach IVF-Behandlungen höher sei als normal. Dies liege insbesondere daran, dass die Frauen bereits zu Beginn der Schwangerschaft aufgrund der Vorphase in einem Zustand der Erschöpfung seien. Ambivalente Gefühle, die während der Schwangerschaft normal sind, würden nicht zugelassen, da frau sich ja im reinen Glück befinden sollte. Emotional und körperlich gehe es nur mehr ums Funktionieren und Durchhalten, auf die Paarbeziehung werde oft keine Rücksicht mehr genommen. Tordy wiederholte, wie wichtig daher eine konstante psychologische Begleitung des IVF-Prozesses wäre. Eine entsprechende Forderung des Berufsverbands Österreichischer Psychologinnen und Psychologen wurde aber im Zuge der letzten Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes nicht berücksichtigt.
Weichberger, welche die Erfahrungen Tordys durchwegs bestätigte, machte zudem darauf aufmerksam, dass Reproduktionsmediziner immer zwei Hüte aufhätten: jenen des Mediziners und jenen des Geschäftsmanns. Man dürfe nicht vergessen, dass Reproduktionsmedizin ein lukrativer Markt sei und es sehr schnell nur mehr ums Verkaufen ginge. Diesen Vorwurf konnte auch der erfahrende Reproduktionsmediziner Kemetner nicht entkräften. Stattdessen sagte er in deutlichen Worten: „IVF ist nicht gut für die Frauen, aber sie werden es trotzdem machen, wenn sei ein Kind wollen.“
Im Vorfeld der Veranstaltung wurde unter Mitarbeit von Kemeter, Tordy und Figl die Broschüre „Wenn das Wunschkind auf sich warten lässt … Gut informiert die richtige Entscheidung treffen“ erarbeitet und vom Wiener Programm für Frauengesundheit veröffentlicht. Die Broschüre setzt sich kritisch mit künstlicher Befruchtung und den damit verbundenen Auswirkungen auf Frauen und Paare auseinander. Auch in einem kürzlich geführten Interview von Der Standard ist der kritische Tenor nicht zu überhören. Figl spricht aus Erfahrung. Die Psychotherapeutin war jahrelang am Institut für Reproduktionsmedizin und Psychosomatik der Sterilität tätig und ist Autorin des Buches “Unerfüllter Kinderwunsch. Das Wechselspiel von Körper und Seele”. Im Interview betont sie vor allem den großen Druck auf Frauen und Paare, der einerseits durch unerfüllten Kinderwunsch ausgelöst werde, dann aber während der Fruchtbarkeitsbehandlung noch weiter verstärkt werde. Viele Frauen und Paare verhielten sich während der Behandlung wie „in einer Art Wettkampf“, als wäre beispielsweise die Anzahl der Eibläschen, wie sie wachsen und ob sie sich entwickeln, eine Leistung, auf die man stolz sein könnte. „Darüber muss man vorher reden: Der Erfolg einer IVF-Behandlung hat nichts mit Leistung zu tun“, betont die Universitätsdozentin. Im Vorfeld müssten aus therapeutischer Sicht vor allem Fragen wie „Was passiert, wenn es nicht klappt? Hat das Leben noch Sinn, oder wird die Beziehung enden, wenn es kein Kind gibt? Welche Alternativen gibt es? Kann man sich vorstellen, auch kinderlos zu leben?“ geklärt werden. Außerdem sollten die Paare die Belastung nicht tabuisieren, sondern darüber reden. Figl kritisiert, dass bei allen Errungenschaften der Medizin, zu selten über deren Grenzen gesprochen werde. Es sei jedoch besonders wichtig, mit Paaren über die Grenzen der Machbarkeit zu sprechen, da die Reproduktionsmedizin nur die Grundlagen zur Verfügung stelle. Bei der Frage, wie weit die Reproduktionsmedizin gehen dürfe, spricht sich Figl vor allem für die Einbeziehung des künftigen Kindes ein: „Ich denke, es muss Reproduktionsmedizinerinnen und Reproduktionsmedizinern gestattet sein, ihre persönlichen Grenze zu wahren und nicht alles machen zu müssen, was möglich ist. Was ein Kind wirklich braucht, sind verlässliche Bezugspersonen.“ Hierbei seien Geschlecht oder Beziehungsform (hetero- oder homosexuell) allerdings ihrer Meinung nach nicht relevant.