DE / Pränataldiagnostik: Bundesärztekammer fordert Ausweitung der Schwangerenberatung
IEF, 06.03.2017 – Wie der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet, fordern deutsche Ärzte, dass bei Aufdecken drohender chronischer Erkrankungen oder schwerer Fehlbildungen des Fötus im Rahmen der Pränataldiagnostik die Beratung durch einen Kinder- und Jugendarzt bzw. Kinderchirurgen verpflichtend ergänzt werden solle. Dieser solle konkrete Erfahrung mit der diagnostizierten Erkrankung haben.
Dr. Jörg Oliver Semler, Leiter des „Zentrums für seltene Skeletterkrankungen“ an der Kölner Universitätsklinik, der selbst an der sogenannten Glasknochenkrankheit leidet, ist einer der Vertreter dieser Forderung. Bis zum Eintritt in die Pubertät splittern die Knochen schon bei geringer Belastung als seien sie aus Glas. Semler selbst habe bereits 27 Operationen durchgemacht, aber er versichere, dass man mit der Krankheit durchaus leben könne. Allerdings merkt er an: „Hätte es vor 40 Jahren bereits die Pränataldiagnostik gegeben, wäre ich vielleicht nicht geboren worden.“ Deshalb plädiert Semler dafür, „dass zwingend ein fachgebildeter Kinderarzt hinzugezogen wird, wenn der Frauenarzt feststellt, dass mit dem Kind irgendetwas nicht stimmt“. Ein Pädiater könne die Zukunftschancen des Kindes besser beurteilen als ein Frauenarzt oder Pränataldiagnostiker, also jemand, dessen Aufgabe sich weitgehend auf das Aufspüren von Fehlentwicklungen des Fötus beschränke. Außerdem wisse ein kinderärztlicher Spezialist, wie die diagnostizierte Krankheit verlaufen könnte und welche Behandlungsmöglichkeiten es gäbe.
Auch die Deutsche Bundesärztekammer fordert die verpflichtende Ausweitung der Schwangerenberatung. Beim Deutschen Ärztetag 2016 brachten die Vertreter einen Entschließungsantrag auf den Weg, der die Bundesregierung auffordert, die Schwangerenberatung bei einer festgestellten fetalen Fehlentwicklung durch einen entsprechenden Facharzt verpflichtend zu erweitern. Die Möglichkeit zur frühzeitigen Erkennung potenziell chronisch verlaufender Erkrankungen und von Fehlbildungssyndromen im Kindesalter hätte sich durch die qualitativ immer besser werdende Pränataldiagnostik deutlich verstärkt. Gleichzeitig sei die frühzeitige Behandlung von chronischen Erkrankungen des Säuglings-, Kindes- und Jugendalters und von peri- und postnatalen operativen Korrektureingriffen deutlich verbessert worden. Das konkrete Wissen, das für eine Beratung von Schwangeren mit betroffenen Feten notwendig sei, wäre nicht ausreichend bei der Berufsgruppe der Pränataldiagnostiker und Humangenetiker zu finden. Dadurch bestehe die Gefahr nicht indizierter Schwangerschaftsabbrüche ebenso wie einer nicht adäquaten Vorbereitung auf die Geburt bzw anschließenden Versorgung des Kindes, so die Argumentation der Deutschen Bundesärztekammer.
Wie sieht die Situation nun vergleichsweise in Österreich aus? Auf Nachfrage des Instituts für Ehe und Familie erläutert Mag. Anita Weichberger, Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin, die Praxis bei fetalen Auffälligkeiten am Allgemeinen Krankenhaus Wien (AKH). Bei Feststellung von Fehlentwicklungen des Fötus würden die Eltern in den allermeisten Fällen an einen Facharzt der entsprechenden Disziplin weitergeleitet werden, der weitere Informationen über die Erkrankung, Prognose und Behandlungsmöglichkeiten geben könne. Diese Beratung würde vom Großteil der betroffenen Eltern angenommen werden, so Weichberger. Sollte das Ergebnis der Pränataldiagnostik zur Frage über Fortsetzung oder Abbruch der Schwangerschaft führen, so sei die Beratung durch einen Facharzt der entsprechenden Disziplin am AKH obligatorisch. Der Facharzt berate dann sowohl die werdenden Eltern als auch das Team der Geburtshilfe. Am AKH sei daher der von der Deutschen Bundesärztekammer vorgebrachte Vorschlag gelebte Praxis, so Weichberger. „Aus meiner Sicht als Psychologin finde ich diese Beratung unerlässlich. So eine weitreichende Entscheidung, wie ein Schwangerschaftsabbruch, kann nur auf Basis bestmöglicher Informiertheit getroffen werden“, schließt die Psychologin.
Dr. Klaus Vavrik, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Ehrenpräsident der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, äußerte dem IEF gegenüber ebenfalls, sich der deutschen Forderung „geradezu anschließen zu müssen“. Kenne man die alltägliche Beratungssituation, so wisse man, dass es nicht um die Vermittlung von Lehrbuchwissen gehe, sondern die Eltern über die zu erwartende praktische Realität im Leben mit einem speziell beeinträchtigten Kind informiert werden wollten. Laut Vavrik seien die Fragen der Eltern u.a.: „Was bedeutet eine solche Krankheit für unseren Alltag?“, „Wie wird/kann unser Leben später aussehen?“, „Wo bekommen wir Unterstützung?“. Auch Vavrik argumentiert wie Semler und die Deutsche Bundesärztekammer: „Diese Praxisexpertise haben Pränataldiagnostiker einfach nicht. Da geht es nicht um Konkurrenzdenken, sondern einfach nur darum, wer kann was realistisch leisten, um das Bedürfnis der Eltern nach fachlicher Begleitung zu erfüllen.“