Interview mit meinem Mann in Zeiten der Krise
 

Wie geht es dir mit der jetzigen Situation?

Meine Situation fühlt sich im Moment surreal an. Für mich ist es sehr schwierig, weil ich bei meinem jetzigen Job in der Luftfahrtbranche nicht weiß, wohin sich das Ganze entwickelt. Ich habe ganz natürliche Ängste vor der Ungewissheit, vor dem Stillstand. Doch es sind keineswegs nur negative Gedanken. Ich versuche zu ordnen und zu differenzieren: die Corona-Krise, das Medizinische. Einerseits: Was macht der Virus mit uns? Was sind die Langzeitschäden? Inwiefern könnte dieser Virus meiner Familie schaden? Die Angst vor dem Ungewissen. Es ist ein Abwarten. Andererseits beschäftigt mich auch die weltwirtschaftliche Situation: Wie wird sich das auf meine Möglichkeiten auswirken? Was hätte ich anders machen können? Kann ich meinen Standard halten? Wie? In welcher Form? Wie werde ich mein „Brot“ verdienen? Was kann ich meinem Kind bieten? Was kann ich meiner Frau bieten? Wie ist ihnen etwas geboten? Habe ich die richtigen Entscheidungen in der Vergangenheit getroffen?
 

Inwiefern?

War es richtig, wie ich das Leben vor Corona gelebt habe? Hatte ich eine Sehnsucht, der ich nicht nachgekommen bin? Was macht mein vergangenes Leben aus? War mein Leben schön und erfüllend oder wurde es zeitverschwenderisch gelebt? All dies sind Fragen, die mich im Moment beschäftigen. Durch die Krise hinterfrage und reflektiere ich mehr. Fazit: Muss ich meinen Kurs ändern, oder stimmt die Richtung?
 

Wie sieht dein Alltag im Moment aus?

Im Moment bin ich zuhause bei meiner Familie und ich koche zwei Mal am Tag. Ich verbringe viel Zeit mit unserem Sohn. All das bereitet mir Freude und ich tue es mit Liebe und Hingabe.
 

Haben sich deine Wünsche oder Prioritäten verändert?

Meine höchste Priorität bist du und unser Kind. Ich habe mich schon damit abgefunden, dass ich gut zurückstecken und demütig sein kann. Doch ich habe keine Antwort darauf, was genau für mein Kind wichtig ist. Ich habe bis jetzt ein wunderschönes Leben gehabt, doch ich weiß, dass ich mich von allem materiellen Habe trennen könnte.
 

Welche neuen Fragen kommen für dich durch Corona auf?

Habe ich zu wenig für meine Familie vorgesorgt? Kann ich mir das erhalten oder weiter fortsetzen, so wie ich das Leben davor gelebt habe? Was ist wirklich wichtig im Leben? Das überdenke ich im Moment stark.
 

Was sind im Moment die Schwierigkeiten im Familienleben?

Das ständige Miteinander. Ab und zu unsere Rollenverteilung. Ich bin im Moment zuhause, weil die Flieger stehen und du arbeitest. Ich bin folglich in einer Rolle, in der ich in unserer Gesellschaft oft schwer sein kann. Im Prinzip weiß ich, dass ich ein guter Hausmann wäre und bin. Ich könnte mir in Zukunft gut vorstellen, täglich zwei Mal am Tag gut zu kochen, ein Nachmittagsprogramm mit meinem Sohn zu haben. Doch irgendwann holt mich die Realität ein. Ich kann noch so viel kochen, meine Aufgabe ist eine andere. Ich glaube, dass das nicht alleine auf mein Wertesystem zurückzuführen ist, sondern auf das Wertesystem der Gesellschaft.
 

Die wäre?

Für euch zu sorgen.
 

Aber das tust du ja im Moment.

Ja schon, aber ich habe das Gefühl, dass du es mit dem Kleinen besser kannst.
 

Inwiefern?

Es sind gewisse Dinge anders als bei dir. Ich habe einen anderen Umgang mit ihm. Ich glaube einfach auch, weil du als Mutter so besonders bist. Ich kann es im Moment schwer beschreiben. Vielleicht ist es deine unglaubliche Empathie.
Was sind im Moment die Herausforderungen in der Paar-Beziehung?
Dass die Intimität, Partnerschaft und unsere Zweisamkeit nicht zu kurz kommen, neben all den Beschäftigungen und Rollen als Vater, Kollege, Freund oder der Beziehung zu anderen Familienmitgliedern. Ich bin mir sicher, dass der Mensch erfinderisch ist und Strategien entwickelt, wie er da durchkommt.
 

Was können wir aus der Krise lernen?

Ich glaube gar nicht, dass wir so viel aus der Geschichte lernen, denn viele kennen sie ja kaum. Es liegt in unserer Natur, erfinderisch zu sein. Man versucht, Verbindungen und Kommunikation sowie das Netzwerk straffer zu nützen. Es melden sich Menschen, die sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr gemeldet haben. Menschen suchen sich Gleichgesinnte, Partnerschaften. Menschen rücken näher zusammen, obwohl es eine räumliche Distanz gibt. Männer klopfen im Moment ab, schauen, ob sich auch andere fürchten. Dann frage ich mich: Kann ich selbst mit der Realität umgehen? Und dann kommt für mich der Glaube ins Spiel, da es rational schwer zu begreifen ist. Im Moment weiß ich wirklich nicht, was es jetzt ist. Wenn sich jetzt alles von heute auf morgen geändert hat, dann musste es einfach so kommen. Doch für den, für den es mir dann am meisten leid tut, ist mein Sohn. Ich hoffe für ihn das Beste. Ich selbst habe viel Schreckliches in meinem Leben erlebt, ich weiß, dass auch er sein Leben leben wird. Ich habe Hoffnung. Alleine dieses Wort Hoffnung gibt mir Kraft.
Welche Rolle spielt der Glaube und Gott da für dich genau?
Wenn Gott fehlen würde, glaube ich nicht, dass ich das alleine so gut meistern könnte. Wenn ich jetzt komplett allein wäre, ohne Frau und Kind, hätte ich bestimmt weniger Sorgen. Doch wäre das gut für die Gesellschaft? Wäre ich dann ein besserer Mensch? Auch Jesus hatte Sorgen, davon bin ich überzeugt.
 

Weniger Sorgen? Inwiefern?

Manchmal gehst du mir als meine Frau so schrecklich auf die Nerven und dann gibst du mir wieder so viel Hoffnung. Du zeigst mir Dinge von einem anderen Blickwinkel. „Jetzt kann man nicht Angst haben, mein Schatz“, sagtest du gestern. „Die entspannt da!“, denke ich zuerst. Doch da weiß ich, da ist Gott im Spiel. Weil er zu jeder dieser zwischenmenschlichen Beziehungen beiträgt. Wenn man für den anderen etwas Gutes hofft, unberechnend, wenn man gemeinsam ist, in der Partnerschaft, da kommt Gott gewiss ins Spiel. Ich glaube, dass es in uns ist, in Gemeinschaft zu leben und nicht alleine.
 

Also auch in einer Ehe?

Auch in einer Ehe, durch Krisen durchzugehen, aufopfernd, da ist Gott ganz nah. Gott gibt mir Hoffnung. Es ist die Liebe, die durch uns entstanden ist. Wenn ich den Kleinen jetzt hier da drüben auf dem Foto sehe, das im Wohnzimmer steht, dann weiß ich, dass es gut ist. Dieses Foto von unserem Kind steht für so viel. So viel Liebe, Freude und Hoffnung. Ich bin dankbar und ich wünsche mir, dass es auch für ihn weitergeht. Und wenn Gott das möchte, wird es auch für ihn weitergehen. Ich hoffe auch, dass er dieses Lächeln weitergeben wird. Wenn nicht, weiß ich, dass ich zumindest alles Mögliche in meinem Leben versucht habe. Ich war bestimmt kein schlechter Mann. Vielleicht wollte ich vor Corona einfach zu viel vom Leben, doch das hängt wahrscheinlich auch vom Alter ab. Am Ende des Tages weiß ich, dass ich nur Gutes für mein Kind und meine Frau wollte und möchte. Es ist selbstlos, doch es ist mein Los. Meine große Sehnsucht war immer eine Partnerin.
 

Was möchtest du den Menschen zum Schluss sagen?

Dass Furcht zum Menschen gehört! Furcht ist erlaubt. MANN darf sich fürchten. Man sollte hoffen und dankbar sein für das Leben, das man bis jetzt leben konnte. Ich meine damit nicht, der Vergangenheit nachzutrauern, sondern dankbar dafür zu sein. Für mich ist mein Leben bis jetzt zu schön um wahr zu sein. Ich weiß es im Moment nicht, ob mir das zu dem Zeitpunkt in der Vergangenheit immer bewusst war. Alles andere werden wir jetzt sehen. Ich konnte durch diese Krise realistisch erfahren, dass Freude und Leid eng miteinander verbunden sind.
 

Was tust du gegen deine Ungewissheit?

Gegen die Ungewissheit kann ich nichts tun. Ich kann abwarten, es hinnehmen und bereit sein. Ich glaube an mich und ich glaube daran, dass mir jemand hilft. Womit ich in den vergangenen zwei Nächten gut eingeschlafen bin, war ein gutes Gebet. Ich bekomme ständig eine Kraft, dass ich weitermache. Ich hoffe auf die Zukunft und auf das, dass es so passiert, wie es gut ist. Was man als Mann verstehen sollte ist, dass jeder Gedanke, den der Mann hat, jede Emotion, auch in Ordnung ist. Es darf alles im Kopf mal sein. Man darf nicht zu streng sein mit sich selbst. Der Mensch wünscht sich immer, dass die Dinge so weitergehen wie bisher. Vielleicht waren in der Vergangenheit die Wertschätzung in der Gesellschaft und die Dankbarkeit zu gering. Neue Wege müssen gegangen werden, neue Herausforderungen angenommen, sodass man stärker davon herausgeht.

Autorin: Sarah Maria Malik

Interview vom 21.3.2020 mit ihrem Mann Michael

 

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