Wenn es im Herzen schmerzt – Die Macht der Kränkung

Die Corona-Krise ist eine intensive Zeit, nicht nur nach außen gerichtet, wo es auf den Straßen ruhiger wurde und man Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen sowie sein Büro oder die Universität schon länger nicht mehr gesehen hat, sondern auch nach innen gerichtet –  innerhalb der Familie, der Beziehung zu einem selbst und im Umgang mit den Liebsten in den eigenen vier Wänden. Die Extreme liegen – wenn ich nun über meinen eigenen Alltag in Zeiten der Krise reflektiere – eng beieinander. Einerseits genieße ich den Alltag und die Nähe zu meinem Mann und meinem Kind, andererseits wird unser Alltag nicht nur durch die Familienidylle geprägt. Konflikte sind daher genauso Teil unseres Alltags wie Liebe und Dankbarkeit.

Aus diesem Grund ist es mir persönlich ein Anliegen, für Sie, liebe Leserinnen und Leser, die Macht der Kränkung ein Stück näher zu beleuchten. Wir leben heutzutage in einer kränkungsfreudigen Welt. Reinhard Haller beschreibt die Macht der Kränkung meiner Meinung nach wunderbar in seinem Buch „Das Wunder der Wertschätzung“. Laut ihm spielen Kränkungen eine wichtige Rolle – und zwar in jedem Lebensbereich. In seinen Worten gesprochen: „Was kränkt, macht krank.“ Jedoch: „Wir können nicht nicht gekränkt sein und wir können nicht nicht kränken.“[1] In der Partnerschaft und Familie, aber auch in gesellschaftlichen Kontexten sind Kränkungen Teil des Lebens. Leider wird der Macht der Kränkung wenig Bedeutung geschenkt. Womöglich deswegen, weil die Mehrheitsmeinung derzeit zu lauten scheint: Können solche „Kleinigkeiten“ wirklich eine derartige Macht erzeugen? – „JA! Das können sie“, meint Haller.

Wer von uns hat es noch nicht erlebt? Man wird von seinem Gegenüber gekränkt – je näher der Mensch einem steht, der kränkt, desto tiefer sitzt die Kränkung. Man fühlt sich unverstanden, verletzt, ohnmächtig, zornig, angegriffen oder vielleicht übergangen. Kränkungen sind hart, sie sitzen. Vielen Menschen, die gekränkt werden, ist es peinlich, Kränkungen anzusprechen. Kein Schwächling sein, sich nicht lächerlich machen, cool sein. Viele Menschen haben Angst davor, ihre inneren Probleme und ihre sensible Seite zu offenbaren. Haller meint, dass Kränkungen auf dem Boden des Hintergründigen, des Verdrängens und der Tabuisierung gedeihen[2] und sie haben eine äußerst destruktive Kraft. Meine Ehe hat Schwächen, wir haben Baustellen, doch wenn es etwas ist, worin wir stark sind, dann ist es unsere offene Kommunikation. Es geht nicht darum, übersensibel zu reagieren. Es geht nicht darum, jedes Wort des anderen auf die Waagschale zu legen. Es geht auch nicht darum, jede Winzigkeit für eine Übertreibung zu nutzen. Wohl aber geht es darum, dass jeder das, was ihm am Herzen liegt, zur Sprache bringt. Ich kann die Kränkung im Moment, in dem sie geschieht, nicht ändern, doch den Umgang mit ihr sehr wohl.

Der vorliegende Artikel sollte Sie dabei unterstützen, wie Sie in Ausnahmesituationen am besten damit umgehen, wenn es im Herzen schmerzt.

Impuls, wie wir mit Kränkungen umgehen können:

  • Reflexion über das Kränkungsgeschehen: Von wem wurde ich gekränkt? Wie lautet die Kränkungsbotschaft? Warum trifft mich die Kränkung? In welcher Intensität?
  • Die Kränkung zur Sprache bringen: Die Kränkung dem Gegenüber zur Sprache bringen, kann sich als heilsam und erleichternd erweisen.
  • Die Kränkungsbotschaft analysieren und als Lehre nutzen: Was hat die Botschaft in mir ausgelöst? Welche Schwachstelle wurde erwischt?
  • Sich in die andere Person einfühlen: In der jetzigen Situation kann ich versuchen, mich in mein Gegenüber einzufühlen, somit in die Haut dessen zu schlüpfen, der gekränkt hat. Es ermöglicht mir, ein besseres Verständnis der Situation zu gewinnen, was folglich die eigene Empathiefähigkeit und das eigene Wertschätzungspotential stärkt.
  • Eigene Muster reflektieren und lösen: Wie reagiere ich auf Kränkungen? Werde ich wütend, beginne ich zu schweigen oder überkommen mich Rachegefühle? Durch die Bewusstmachung dieser Kränkungsmuster wäre der erste Schritt getan, denn durch die Reflexion und Gewinnung der Klarheit darüber können Sie sich von diesen befreien.
  • Loslassen: Das Annehmen von Wunden und Verletzungen, jedoch ohne sie zu verdrängen, kann Ihnen dabei helfen, sich auf die Stärken und Fähigkeiten zu besinnen, die jede(r) von uns in sich trägt.
  • Perspektivenwechsel: Gesagtes, das schmerzte, kann nicht mehr geändert werden. Jedoch haben Sie die Chance, das Erlebnis bewusst neu zu bewerten – beispielsweise durch zeitlichen Abstand.
  • Verzeihen: Das oberste und meiner Meinung nach wichtigste Gebot dieser Punkte, damit Beziehung gut gelebt werden kann, ist nicht die Coolness, nicht die Oberflächlichkeit, nicht der perfekte Schein, sondern das Verzeihen. Meine über alles geliebte Großmutter pflegte schon immer zu sagen: „Du sollst im Leben immer verzeihen und Dinge so annehmen, wie sie kommen.“ Wie Recht sie – gerade in dieser intensiven Zeit – behält.

„Besonders reife Menschen sind in der Lage, in den Feinden die besten Lehrer und in den Kränkungen beziehungsweise Entwertungen die besten Lehren zu sehen.[3]

Leichter gesagt, als getan. Das Verzeihen ist nicht einfach und verlangt viel an Verzicht und Selbstüberwindung. Doch worauf verzichte ich bei dem Verzeihen genau? Ich verzichte auf weitere Schuldzuweisungen. Jede(r) kennt es. Ich nenne es gerne die „Du-du-du….du-du-du-Situationen“. Weiters verzichte ich auf Racheaktionen und Wiedergutmachung. Das Verzeihen verlangt auch Mut und Demut. Letzteres hilft dabei, dass wir uns selbst nicht allzu wichtig nehmen. Wenn wir es schaffen, den negativen Gefühlen wie Ärger oder Grübelei „Lebe wohl!“ zu sagen, haben wir die Chance, dadurch unsere Persönlichkeit zu stärken und positiv weiterzuentwickeln. Vielleicht geben wir auch der jetzigen Situation eine Chance, alte Gewohnheiten hinter uns zu lassen und neue, vielleicht auch bessere, wohltuendere Gewohnheiten in die Familie, in die Partnerschaft oder in die Freundschaften einzuladen.

Sarah Maria Malik

[1] Haller, Reinhard, Das Wunder der Wertschätzung: Wie wir andere stark machen und dabei selbst stärker werden, München: GRÄFE UND UNZER Verlag, 2019

[2] Ibid,, Seite 77

[3] Ibid., Seite 88

 

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