CA / Lebensende: Parlament soll Zugang zur „Sterbehilfe“ erweitern
IEF, 26.02.2020 – Ein neues Gesetz soll die Beschränkung der „Sterbehilfe“ auf terminal kranke Patienten aufheben.
Beschränkung der „Sterbehilfe“ verfassungswidrig
Im kanadischen Parlament wird im Moment ein neues Gesetz diskutiert, das die „Sterbehilfe“ auch Menschen mit degenerativen Erkrankungen zur Verfügung stellen soll. Auslöser für die nun geplante Änderung des Medically Assisted Aid in Dying (MAID)- Gesetzes war ein Gerichtsurteil des Obersten Gerichtshofs von Quebec vom September letzten Jahres. Das Gericht stellte darin fest, dass die Beschränkung der „Sterbehilfe“ auf Patienten, deren natürlicher Tod „vernünftigerweise vorhersehbar“ sei, gegen „das Leben, die Freiheit und Sicherheit“ von Personen verstoßen würde und somit verfassungswidrig sei. Damit wurde das erst 2016 in Kraft getretene „Sterbehilfe“-Gesetz erfolgreich angegriffen.
Sollte die Gesetzesänderung, die laut BBC überparteilichen Zuspruch genießt, vom Parlament beschlossen werden, hätten zukünftig auch Kanadier mit degenerativen Erkrankungen einen Zugang zur „Sterbehilfe“. Darunter fallen Krankheiten, wie etwa Alzheimer, Cerebralparese oder das Post-Polio-Syndrom. Ausgeschlossen von MAID blieben weiterhin Personen mit ausschließlich psychischen Erkrankungen.
„Sterbehilfe“ auch bei Verlust der Entscheidungsfähigkeit
Der Gesetzesvorschlag sehe ein zweigleisiges Eignungsverfahren vor – für terminal kranke Patienten auf der einen und für Menschen mit degenerativen Erkrankungen auf der anderen Seite. In beiden Fällen sei jedoch das Vorliegen unerträglichen Leidens Grundvoraussetzung.
Eine weitere Neuerung, die das Gesetz mit sich bringen würde, sei die Lockerung einer bestehenden MAID-Bestimmung, wonach terminal Kranke nur dann „Sterbehilfe“ beantragen können, wenn sie zustimmungsfähig sind. Sollte das neue Gesetz verabschiedet werden, könnten Patienten auch über eine im Vorhinein abgefasste Patientenverfügung „Sterbehilfe“ beantragen. Wie BBC erläutert, hätten beispielsweise Demenz-Patienten bis dato nur dann MAID in Anspruch nehmen können, wenn sie im Zeitpunkt der tatsächlichen Durchführung noch entscheidungsfähig gewesen waren. Dies hätte laut der Regierung dazu geführt, dass gerade Demenzkranke voreilig „Sterbehilfe“ beantragt hätten.
Wie BBC berichtet, haben seit der Legalisierung der „Sterbehilfe“ 13.000 Kanadier MAID in Anspruch genommen. Laut dem kanadischen Gesundheitsminister Patty Hajdu würde das geplante Gesetz den Kanadiern noch mehr Autonomie gewährleisten und gleichzeitig vulnerable Personen schützen.
Behindertenverbände versuchen sich zu wehren
Letzteres sehen Vertreter von kanadischen Behindertenverbänden eindeutig anders. Für sie sei die Botschaft, die von der Gesetzesänderung ausgehen würde, folgende: „Es ist schlimmer behindert zu sein, als tot“. Der Council of Canadians with Disabilities soll die Regierung deshalb auch aufgefordert haben, gegen das Urteil des Quebecer Gerichts in Berufung zu gehen, was diese jedoch verweigerte.
„The Danger of Assisted Suicide Laws“ – Schutzmechanismen durchwegs unzureichend
Wie eine im Oktober letzten Jahres in den USA erschienene Studie des National Council on Disability (NCD) zeigt, birgt die Legalisierung der „Sterbehilfe“ allerlei Gefahren für Menschen mit Behinderungen. Unter anderem seien laut den Untersuchungsergebnissen des NCD die in „Sterbehilfe“-Gesetzen enthaltenen Schutzmechanismen durchgehend unzureichend. Es gebe auch zu wenige Kontrollmechanismen um möglichem Missbrauch oder Fehlanwendungen auf die Spur zu kommen.
Menschen würden vordergründig nicht aufgrund unerträglicher Schmerzen „Sterbehilfe“ beantragen, heißt es weiter in dem NCD-Bericht. Ausschlaggebend seien vielmehr der Mangel an unzureichender Unterstützung und Dienstleistung zur Bewältigung des Alltags.
„Sterbehilfe“ würde oft unter dem Aspekt größerer Entscheidungsfreiheit präsentiert werden. Tatsächlich aber verdränge die Legalisierung der „Sterbehilfe“ immer öfter die Möglichkeit für viele Patienten, überhaupt qualitative Palliativversorgung oder gar Therapie in Anspruch nehmen zu können.
Analysiert wurde in dem Bericht auch die Situation im US-Bundesstaat Oregon, in dem assistierter Suizid seit 20 Jahren zulässig ist. Der NCD stellt dabei fest, dass die Liste der Erkrankungen, die die Inanspruchnahmen der „Sterbehilfe“ ermöglichen würden, stetig länger wird und mittlerweile auch Behinderungen umfasse, die bei richtiger Behandlung nicht zum Tod führen würden – also beispielsweise Arthritis, Diabetes und Leberversagen. (AH)