Pädophilie
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DE / Sexualerziehung: Land Berlin zahlt Kentler-Opfern Entschädigung

IEF, 09.05.2021 – Kentler-Experiment: moralische Verantwortung trotz strafrechtlicher Verjährung.

Wie das IEF berichtete, hatte der Sexualpädagoge Helmut Kentler, zu dieser Zeit Professor für Sozialpädagogik an der ehemaligen Technischen Universität Hannover, ab 1969 elternlose 13- bis 15-jährige Buben in einem Modellversuch bei vorbestraften Pädophilen untergebracht, die diese sexuell missbrauchten. Man habe so herausfinden wollen, wie sich die Jugendlichen unter einer „liebevollen Erziehung” entwickelten. Einer der pädophilen Pflegeväter, Fritz H., hatte von Anfang der 70er Jahre bis 2003 neun Pflegekinder bei sich aufgenommen und mindestens zwei von ihnen misshandelt und vergewaltigt. Diese zwei ehemaligen Pflegekinder von Fritz H. erhoben Anfang letzten Jahres Klage gegen das Land Berlin und forderten Schmerzengeld und Schadenersatz, vor allem aber die Bestätigung des Gerichts, dass es sich bei dem jahrzehntelangen Missbrauch um systematischen Missbrauch handelte, der von Bildungsverwaltung und den Jugendämtern in den Bezirken toleriert und unterstützt wurde.

„Kindeswohlgefährdung von öffentlicher Verantwortung“

Die beiden Kläger waren mit sechs Jahren in die Obhut des wegen Kindesmissbrauchs vorbestraften, alleinerziehenden Fritz H. gekommen. Sieben Jahre lange verging sich der Pädophile an den Buben, bis sie in ein Alter kamen, in dem sie für ihren Peiniger nicht mehr interessant waren. Weitere sieben Jahre blieben sie in dessen Obhut, auf Anraten des gefeierten Sexualpädagogen Kentler, der, wie der Tagesspiegel berichtet, argumentierte, dass vernachlässigte Kinder von der Zuwendung Pädophiler profitieren würden, denn, so Kentler, die Männer würden die „schwachsinnigen Kinder“ gerne bei sich aufnehmen, da sie eben „in sie verliebt, verknallt und vernarrt sind“.

In den zwei Gutachten der Universität Hildesheim zum Kentler-Experiment, kam man zum Schluss, dass es sich bei den Pflegestellen um „Kindeswohlgefährdung von öffentlicher Verantwortung“ gehandelt habe. „Zeitzeugen hätten bestätigt, dass das Projekt in der Senatsverwaltung bekannt gewesen und bei den Bezirksjugendämtern akzeptiert worden sei.“, schreibt der Tagesspiegel. Die Verantwortung für die Verbrechen Kentlers liege „eindeutig und unstrittig beim Senat als dessen Dienstherr“, heißt es in dem Gutachten.

Entschädigung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“

Die juristische Aufarbeitung des Skandals erweist sich dennoch als schwierig. Der Strafprozess gegen Fritz H. wurde wegen Verjährung eingestellt, dieser starb 2015. 2013 wurde bekannt, welchen Anteil öffentliche Stellen, im Besonderen die Berliner Senatsverwaltung am Skandal der Berliner Jugendhilfe haben, doch erst 2016 gab diese Gutachten zur Aufarbeitung durch die Universität Hildesheim in Auftrag. Nach deren Veröffentlichung im Juni 2020 hatte die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) verkündet, „mit dem neuen Wissen“ den Betroffenen „Gespräche über eine finanzielle Entschädigung“ anzubieten. Dass diese erfolglos blieben, hatte so Scheeres „einen haushaltsrechtlichen Hintergrund“, denn die Ansprüche seien verjährt und etwaige Entschädigungszahlungen würden „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ erfolgen, wie die Jugendstaatssekretärin Sigrid Klebba (SPD) nach einem Bericht der Welt betonte. Im Verfahren die Einrede der Verjährung nicht zu erheben und eine Entschädigung zusprechen zu lassen, wollte die Berliner Stadtverwaltung nicht riskieren – zu groß sei die Angst davor, damit einen Präzedenzfall zu schaffen und mit weiteren Verfahren zu verjährten Forderungen konfrontiert zu werden. In weiterer Folge wurde daher der Antrag auf Prozesskostenhilfe des einen Opfers abgewiesen, da die Aussicht auf dessen juristischen Sieg aufgrund der Verjährung mit nahezu null zu bemessen sei. Die Beschwerde des Betroffenen gegen diese Entscheidung wurde vom Kammergericht zwar abgewiesen, von diesem jedoch gleichzeitig eine außergerichtliche Einigung auf Entschädigung angeregt.

Deutliche Hinweise auf „bundesweite Zusammenhänge“

Ende April teilte die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie mit, sich mit den beiden Opfern auf „substanzielle Leistungen“ geeinigt zu haben. Beide Seiten hätten Stillschweigen über die Vereinbarung beschlossen. Das Land Berlin übernehme damit die moralische Verantwortung unabhängig von der strafrechtlichen Verjährungsfrist, so Scheeres laut einem Bericht des Tagesspiegel. In einem weiteren Forschungsauftrag werde nun der Fokus auf pädophile Netzwerke gerichtet, die sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen akzeptiert und unterstützt hätten. Schon im Erstgutachten der Universität Hildesheim war festgestellt worden, dass das Modell der Unterbringung vernachlässigter Kinder bei Pädophilen nicht nur bei der Senatsverwaltung bekannt gewesen und mitunter auch in Bezirksjugendämtern auf Akzeptanz gestoßen sei, sondern es zudem Hinweise auf bundesweite Zusammenhänge gebe.

Einfluss Kentlers auf heutige Sexualaufklärung?

Die Vorfälle sind u.a. auch deswegen von Interesse, da Helmut Kentler als eine der Leitfiguren der deutschen emanzipatorischen Sexualpädagogik gilt, die maßgeblich die mittlerweile als “WHO-Richtlinien” international bekannten Standards für Sexualaufklärung in Europa des  WHO-Regionalbüro für Europa und der deutschen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) prägt (Das IEF hat berichtet). Diese stehen gerade aufgrund ihrer oft mangelnden Differenzierung zwischen Erwachsenensexualität und kindlichem Körpererleben in der Kritik. Sehen Sie dazu etwa ein MAKA-Video mit Stephanie Merckens. (KL)

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