Reaktionen auf Sterbehilfe-Urteil
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AT_DE / Lebensende: Reaktionen auf das BVerfG-Urteil zu „Sterbehilfe“

IEF, 28.02.2020 – In einigen Stellungnahmen ist von einen „Urteil der Schande“ und einem der „schwärzesten Tage der deutschen Rechtsgeschichte seit 1945“ die Rede.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (dtBVerfG) verkündete am Aschermittwoch, den 26.2.2020, sein Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid. Das Gericht erklärte dabei das 2015 vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz für verfassungswidrig und hob den § 217 des deutschen Strafgesetzbuchs (dtStGB), der die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung regelt, auf.

Unterhalb finden Sie eine Zusammenfassung weiterer Kommentare und Stellungnahmen anlässlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Lesen Sie zur Analyse des Urteils auch den Beitrag von Dr. Stephanie Merckens (IEF) hier.

„Suizidalität ist in den allermeisten Fällen Symptom einer psychischen Erkrankung bzw. Krise“ – Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben

Die Liga der Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben kritisiert an der Richterentscheidung, dass sie einerseits ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben etabliert, andererseits aber keine Kontrollmechanismen definiert nach denen die Freiwilligkeit und Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches und die Motive der Suizidhelfer überprüft werden könnten.

In dem Urteil würden medizinisch-psychiatrische Erkenntnisse in Bezug auf Suizid auch völlig außer Acht gelassen. Durch eine einseitige Betonung des Selbstbestimmungsrechts würde dabei auf die Tatsache vergessen werden, dass „Suizidalität in den allermeisten Fällen Symptom einer psychischen Erkrankung beziehungsweise mit einer psychosozialen Krise verknüpft und der Suizidwunsch in aller Regel vorübergehender Natur“ sei.

Das Angewiesensein auf andere, sollte auch nicht gleich als Einschränkung der Autonomie und Selbstbestimmung erachtet werden. Der Mensch sei von Natur aus „in jeder Lebensphase auf seine Mitmenschen angewiesen“. Die nächste Umgebung hätte auch einen großen Einfluss auf den Suizidwunsch des Suizidwilligen, den sie „in die eine oder andere Richtung beeinflussen“ könne.

Die Ärzteliga zitiert in ihrer Pressaussendung zum BGH-Urteil zudem Erwin Ringel, der in seinem Buch „Selbstmord, Appell an die anderen“ schreibt, dass es einer hochgradigen, dynamischen Einengung, also eines gefühlsmäßigen Vorgangs, niemals aber bloß rationaler Überlegung bedarf um den Selbsterhaltungstrieb auszuschalten.

„Designertod“ und „Aushebelung der Demokratie“ – Andreas Unterberger

Andreas Unterberger bringt in seinem Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsurteil auch den Aspekt der Rechtsstaatlichkeit zur Debatte. Zum wiederholten Male hätte die Judikatur in einer grundlegenden gesellschaftspolitischen Frage, wie der Legalisierung der Sterbehilfe, gesetzgeberisch agiert. Derartige Fragen dürften jedoch nur von der Legislative, also von dem vom Volk aus gewählten Parlament entscheiden werden. Unterberger spricht in dem Zusammenhang daher von einer „Aushebelung der Demokratie“ und einer „Entmündigung des Volkes durch die Richterkaste“ und fragt, wie und ob angesichts derartiger Entwicklungen der richterlichen Rechtsetzung und Machtausübung noch Grenzen gesetzt werden können.

Das was in dem Gerichtsurteil als Freiheit proklamiert werde, stelle für Unterberger „primär eine Befreiung des Staates und der Gesellschaft von der unangenehmen Last, sich um kranke Menschen kümmern zu müssen“ dar.

„Urteil der Schande“, das Potenzial hat Ältere und Kranke in den Tod zu treiben – Alexander Krauß, CDU

Laut der evangelischen Nachrichtenagentur idea e.V. beklagt der Bundestagsabgeordnete Andreas Krauß die Aufhebung des bisherigen §217 des deutschen Strafgesetzbuchs, der ältere und kranke Menschen davor geschützt habe, in den Tod gedrängt zu werden. Das Ende des Lebens sollte „nicht in den Händen von Menschen liegen“, so Krauß.

Er bezeichnet die Gerichtsentscheidung als „Urteil der Schande“ und äußert seine Sorge darüber, dass durch die geänderte Gesetzeslage die Zahl der Suizide von Menschen mit psychischen Erkrankungen nach oben schellen könnte. Zu befürchten sei zudem, dass das Engagement zur Förderung der Hospiz- und Palliativmedizin durch durch die Gerichtsentscheidung erlahmen könnte.

„Suizid ist in der Praxis oft nicht selbstbestimmt“ – Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA)

In einer Pressemitteilung anlässlich der Urteilsverkündigung meldete sich auch die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) mit der erschreckenden Feststellung zu Wort, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung ein Recht auf Selbsttötung in allen Lebensphasen und –situationen geschaffen habe, also unabhängig von Krankheit und Alter.

Dass der Suizid aber selten selbstbestimmt sei, zeige die Erfahrung aus anderen Ländern, die liberalere Sterbehilfe-Regelungen besitzen. ALfA verweist dabei unter anderem auf die Erfahrung aus den Niederlanden, wo zunehmend demenzkranke Patienten getötet werden oder auch Kanada, wo nach Aussagen von Ärzten, Patienten sich dem Druck ihrer Familie „Sterbehilfe“ zu beantragen, oft beugen würden.

„Vorgeblich freiwillige Selbsttötung verzweifelter Menschen wird staatlich legitimiert“ – Axel Bauer, Medizinethiker

Der Mediziner Axel Bauer kritisiert gegenüber der evangelischen Nachrichtenagentur idea, dass das Verfassungsgericht seine Entscheidung mit dem Recht auf Selbstbestimmung und mit der Menschenwürde der Sterbewilligen begründen würde. Das Gericht schafft damit gesellschaftliche Verhältnisse, „in denen Menschenwürde und Selbstbestimmungsrecht gerade noch dazu dienen werden, um die vorgeblich freiwillige Selbsttötung verzweifelter Menschen mit Hilfe Dritter staatlich zu legitimieren“.

„Der Sterbewunsch ist in Wirklichkeit ein Hilferuf, auf den wir mit Zuneigung, mit Trost, mit Nächstenliebe reagieren müssen“ – Aktion Leben Österreich

Für Aktion Leben wirft das deutsche Höchstgerichtsurteil viele Fragen auf. Unter anderem wie man „sozialen Druck zur Selbsttötung wirklich verhindern will, wenn Pflege als beständige Kostenfrage problematisiert wird“.

Franz-Joseph Huainigg, Vorstandsmitglied von Aktion Leben Österreich, gibt auch zu bedenken, dass ein Suizidwunsch „so gut wie immer durch Einsamkeit, Schmerz und Perspektivlosigkeit“ entstehe. „Tötung ist keine Antwort auf Not und Verzweiflung, auf Ängste und Sorgen. Der Sterbewunsch, der entsteht, ist in Wirklichkeit ein Hilferuf, auf den wir anders reagieren müssten: mit Zuneigung, mit Trost, mit Nächstenliebe“ so Huainigg.

Aktion Leben ruft auch die österreichische parlamentarische Enquetekommission “Würde am Lebensende“ aus dem Jahr 2015 in Erinnerung. Darin wird festgehalten, dass Palliativmediziner durchwegs von der Erfahrung berichten, „dass der Sterbewunsch sich in einen Lebenswunsch verwandelt, sobald Schmerzen durch Palliativmedizin beseitigt werden, es persönliche Perspektiven gibt und die Menschen Ansprache und menschliche Wärme empfangen“. Aktion Leben setze sich daher für bedarfsgerechte und menschenwürdige Betreuung und Begleitung am Lebensende ein und verweise auf den eigenen „Maßnahmenkatalog für ein lebensfreundliches Österreich“.

„Aschermittwoch 2020 dürfte als einer der schwärzesten Tage der deutschen Rechtsgeschichte seit 1945 gelten“ – Christdemokraten für das Leben

„Seit Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 war in Deutschland Konsens, dass es kein lebensunwertes Leben gibt“, so die Christdemokraten für das Leben (CDL) anlässlich der Aufhebung des Verbots der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe in Deutschland. Nach bisheriger Rechtsauffassung, hätte die Menschenwürde und das Menschenleben als unverfügbar gegolten. Folglich sei auch der Suizid als „Gefährdung der Würde und des Lebens“ betrachtet worden. Diese Auffassung habe das Verfassungsgericht mit seiner Entscheidung nun verworfen, so CDL.

Das Urteil des deutschen Gerichts würde damit viel weitergehen, als dies bisher aus internationaler Rechtsprechung bekannt gewesen wäre. Bis dahin war „Sterbehilfe“ auch in den Ländern mit liberalen Regelungen nämlich an einen „mehr oder weniger engen Kriterien- oder Krankheitskatalog gebunden“. Nachdem das Bundesverfassungsgericht aber ein von weiteren Begründungen, Prüfungen oder Rechtfertigungen unabhängiges Recht auf selbstbestimmtes Sterben proklamiert, will es scheinbar den „assistierten Suizid nicht etwa nur als Handlungsoption im Falle schwerer Krankheiten oder nichtklinischer Gemütszustände verstehen“.

Um die Durchsetzbarkeit des Rechts auf selbstbestimmten Tod gewährleisten zu können, würde das Gericht auch den Gesetzgeber dazu auffordern die Berufsordnungen der Ärzte und Apotheker anzupassen, damit „die Verwirklichung der Selbstbestimmung des Einzelnen nicht nur geografischen Zufälligkeiten“ unterliege. (AH)

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