AT / Gender: VfGH bestätigt Recht auf Anerkennung der persönlichen Geschlechtsidentität, aber kein 3. Geschlecht
IEF, 03.07.2018 – Mit seiner Entscheidung vom 15. Juni 2018 setzte der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) den vorläufigen Schlussstein in einer Diskussion, die gemeinhin unter dem Schlagwort „Drittes Geschlecht“ geführt wird.
Ausgangspunkt war ein Verfahren eines Oberösterreichers, der physisch weder eindeutig männlich, noch eindeutig weiblich entwickelt ist und sich selbst daher weder dem einen, noch dem anderen Geschlecht zugeordnet wissen möchte.
Personen, die nach physischen Kriterien nicht eindeutig dem männlichen bzw weiblichen Geschlecht zuordenbar sind, nennt man „intersexuell“. Der Standard zitiert bei seiner Berichterstattung die Juristin Eva Matt, Sprecherin der Plattform Intersex, laut der jährlich 50 Personen mit nicht eindeutiger Geschlechtsausprägung in Österreich zur Welt kämen.
Darüber hinaus gibt es transident empfindende Personen. Diese fühlen sich nicht dem physisch eindeutig entwickelten männlichen bzw. weiblichen Geschlecht zugehörig, sondern entweder dem jeweils anderen oder keinem von beiden. In diesem Fall spricht man von Transidentität.
Recht auf Privatleben umfasst Recht auf individuelle Geschlechtsidentität
Das österreichische Personenstandsgesetz fordert die Angabe des Geschlechts als Personenstandsdatum. Der Antragsteller im Anlassverfahren begehrte statt „männlich“ oder „weiblich“ die Bezeichnung „inter“ oder etwas Ähnliches anführen zu dürfen und begründete dies mit seinem Recht auf individuelle Geschlechtsidentität, das laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) abgeleitet werden könne. Die Österreichische Bioethikkommission bezeichnet in ihrer Stellungnahme zur Intersexualität und Transidentität die Geschlechtsidentität als psychisches Geschlecht.
Der VfGH bestätigte dieses Recht, kam aber zu dem Schluss, dass die Bestimmung des österreichischen Personenstandsrechts nicht verfassungswidrig sei und daher nicht aufgehoben werden musste. Vielmehr sei der von § 2 Abs 2 Z 3 Personenstandsgesetz (PStG) 2013 verwendete Begriff des Geschlechts so allgemein, dass er sich ohne Schwierigkeiten dahingehend verstehen lasse, dass er auch alternative Geschlechtsidentitäten miteinschließe, so das Höchstgericht.
Da sich entsprechend der Judikatur des EGMR aus Artikel 8 EMRK ein Recht auf individuelle Geschlechtsidentität ableite, ergebe sich daraus laut VfGH insbesondere auch das Recht von Menschen mit „alternativer Geschlechtsidentität“, sich nicht einem fremdbestimmten Geschlecht zuweisen lassen zu müssen. Daraus ergebe sich nicht nur die Pflicht des Gesetzgebers, „eine Zuordnung zu einem Geschlecht solange offen zu lassen, bis Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich eine solche selbstbestimmte Zuordnung ihrer Geschlechtsidentität möglich ist.“
Positive Eintragungsmöglichkeit der Abweichung von „männlich“ bzw. „weiblich“ gefordert
Vielmehr umfasse dieses Recht auch die Pflicht von Personenstandsbehörden, Menschen „mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber „männlich“ oder „weiblich“ auf Antrag dieser Person eine der genannten oder diesen vergleichbaren Bezeichnungen einzutragen“. Das Höchstgericht nimmt dabei Bezug auf die Stellungnahme der Bioethikkommission und zitiert die Bezeichnungen „divers“, „inter“ oder eben auch „offen“. Diese Bezeichnungen brächten „im Sprachgebrauch mit hinreichender Deutlichkeit das Gemeinte“ zum Ausdruck, „nämlich das Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität eines Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich, der sich keinem der konventionellen Geschlechter zugehörig fühlt“.
Geschlecht umfasst nicht nur biologisches Geschlecht, sondern auch Geschlechtsidentität
Zusammenfassend erläutert Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF) das Judikat daher so:
Der VfGH interpretiert den Begriff „Geschlecht“ so, dass er nicht bloß die biologischen Geschlechtskategorien „männlich“ und „weiblich“ umfasst, sondern auch die individuell empfundenen Geschlechtsidentitäten (psychisches Geschlecht lt. Bioethikkommission). Die Pflicht zur Berücksichtigung der individuellen Geschlechtsidentität habe sich bereits aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshof ergeben. Das österreichische Personenstandsgesetz sieht schon heute die Möglichkeit vor, Angaben zum Geschlecht bei nicht eindeutiger Zuordenbarkeit offen zu lassen. Nunmehr muss bei der Erhebung des Personenstandsdatums „Geschlecht“ auch die Möglichkeit eingeräumt werden, positiv eintragen zu lassen, dass man sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlt. Eine positive Pflicht zur Eintragung der jeweils empfundenen Geschlechtsidentität leitet der VfGH jedoch nicht aus Art 8 EMRK ab. Laut Höchstgericht wäre es ausreichend, wenn zum Ausdruck komme, dass sich Menschen mit alternativer Geschlechtsidentität weder dem „männlichen“ noch dem „weiblichen“ Geschlecht zugehörig fühlten.
Dem Gesetz- und Verordnungsgeber sei es zudem unbenommen, eine konkretere Festlegung (und begriffliche Eingrenzung) „der Bezeichnung des Geschlechts als allgemeines Personenstandsdatum für Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich“ vorzunehmen. „Art 8 EMRK verlange nämlich keine beliebige Wahl der begrifflichen Bezeichnung des eigenen Geschlechts.“, so der Verfassungsgerichtshof.
Keine Einführung eines „3. Geschlechts“ – Ball wieder beim Gesetzgeber
Damit liege der Ball wieder einmal beim Gesetzgeber, betont Merckens. Dieser müsse nunmehr Kriterien festlegen, nach denen das Personenstandsdatum „Geschlecht“ offen gelassen bzw. eine Angabe „offen“ oder Ähnliches akzeptiert werden könne.
Die Diskussion in der Bioethikkommission habe jedenfalls gezeigt, dass entgegen der Annahme des Höchstgerichts die Bezeichnungen „inter“ oder „divers“ nicht auf die gewünschte Akzeptanz stoßen würde, so Merckens, die selbst Mitglieder der Bioethikkommission ist. Will man den Tenor des Erkenntnis entsprechen und das „Gemeinte“ im Sinne des Judikats ausdrücken, dann empfehle sich daher eine Angabe wie „offen“ oder „ohne Zuordnung“, so die Juristin.
Aus dem Judikat könne sich jedenfalls keine Einführung eines „3. Geschlechts“ ableiten, meint Merckens. Vielmehr hält das Höchstgericht an der binären Einstufung der biologischen Geschlechter fest und anerkennt, dass es dazu nicht eindeutige Geschlechtsentwicklungen und darüber hinaus auch noch verschiedene, zahlenmäßig noch nicht erfasste Geschlechtsidentitäten gebe. Sowohl Personen mit nicht eindeutiger Geschlechtsentwicklung, als auch dem Phänomen diverser individuell unterschiedlich empfundener Geschlechtsidentitäten soll nun durch eine zusätzliche positive Angabemöglichkeit bei der Eintragung des Geschlechts entsprochen werden können.
Diese Entscheidung komme weder unerwartet, noch scheint sie besonders Aufsehen erregend, so Merckens. Spannend wäre jetzt vielmehr, was der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber daraus macht. Dann erst würde sich zeigen, ob die Rechtsordnung das System der binären Einstufung der (biologischen) Geschlechter verlassen und welchen Stellenwert er ab wann dem individuell empfundenen Persönlichkeitsempfinden einräumen wird, so die Biopolitikerin.