
NL / Gender: Zu schnelle medizinische Behandlung bei Transpersonen
IEF, 30.05.2023 – Aus einem kürzlich veröffentlichten Bericht geht hervor, dass Transpersonen zu schnell und zu oft einer medizinischen Behandlung unterzogen werden.
Der Bericht der holländischen Radboud University ergab, dass fast alle Menschen, die an einer Genderdysphorie leiden, sich also mit ihrem Geburtsgeschlecht nicht identifizieren können, früher oder später eine medizinische Behandlung in einer Genderklinik wahrnehmen, obwohl viele eine solche Behandlungen als nicht notwendig empfinden. Transgender-Kliniken seien nunmal oft die einzige Anlaufstelle für Transpersonen, obwohl manche Fragen sich viel eher von Hausärzten oder Psychiatern beantworten ließen. Diese seien dafür aber wiederum nicht ausreichend ausgebildet. Die Autoren der Studie sehen einen großen Handlungsbedarf.
Bestehendes Missverhältnis
„Ein junger Mensch, der seinem Hausarzt oder Psychologen mitteilt, dass er mehrere Probleme hat, einschließlich die Suche nach dem Geschlecht, wird mit dieser Geschlechterfrage oft sofort an einen Facharzt verwiesen“, so Chris Verhaak, eine der Studienautoren, klinische Psychologin und Mitbegründerin der Transgender-Betreuung, die das Radboudumc Expertise Centre for Gender seit drei Jahren anbietet. Das sei auch einer der Gründe, wieso die Wartelisten in den Transgenderkliniken in letzter Zeit explosionsartig angestiegen seien und man auf eine Geschlechtsbehandlung mittlerweile durchschnittlich bis zu zweieinhalb Jahre warten müsse – eine „Falle der Facharztversorgung“, wie es die Studienautoren bezeichnen. In Transgenderkliniken konzentriere man sich aber vor allem auf medizinische Behandlungen mit Hormonen und Operationen. Die Fragen der Patienten seien weitaus vielfältiger als Pubertätsblocker und chirurgische Eingriffe, stellt Verhaak fest. Es herrsche schlichtweg ein „Missverhältnis zwischen der angebotenen spezialisierten Versorgung und den Bedürfnissen der Transgender-Personen selbst“.
Anstieg Transsexueller nicht feststellbar
Neben dem Grund für den Anstieg der Transgenderbehandlungen warfen die Studienautoren auch einen Blick auf die Anzahl der von Geschlechtsdysphorie betroffenen Personen. Entgegen der herrschenden Annahme, dass die Anzahl von Transsexuellen stark angestiegen sei, zeigt die Studie, dass es keine verlässlichen aktuellen Zahlen dazu gebe und auch vorhandene Datenbanken schwer miteinander zu vergleichen seien. Außerdem führe die Verwendung unterschiedlicher Definitionen und Interpretationen von Begriffen wie Geschlechtsidentität, Transgender und Geschlechtsdysphorie zur Verfälschungen der Zahlen. Insgesamt lasse sich kein Anstieg der Zahl der transsexuellen Personen feststellen, so die Studienautoren.
Derzeitige Transgenderbehandlungen paradox
Aufgrund der Ergebnisse der Studie plädieren die Studienautoren für mehr Wissen über transsexuelle Menschen und die Förderung von deren Integration in der Gesellschaft. Außerdem fordern sie die Politik auf, an mehreren medizinischen Standorten, wie der psychiatrischen Versorgung und Allgemeinmedizin, in Geschlechterfragen zu investieren. Die derzeitige Situation, dass sich Transsexuelle nur an spezialisierte Zentren wenden könnten, führe nämlich paradoxerweise zu einer Pathologisierung der „Vielfalt der Geschlechtsidentität“. Den betroffenen Patienten solle auch die Möglichkeit gegeben werden, ihre Identität lediglich zu erforschen und nicht sofort eine Diagnose gestellt zu bekommen. Außerdem fordern die Studienautoren eine Investition in die Forschung, um den breiteren sozialen und gesellschaftlichen Kontext in Studien zur Entwicklung der Geschlechtsidentität und zur Nachfrage nach Transgender-Betreuung einzubeziehen.
IEF-Kommentar
Die Studie sollte differenziert betrachtet werden. Die Studienautoren gehen grundsätzlich von einer „Vielfalt der Geschlechtsidentitäten“ aus. Aus dieser schließen sie, dass transsexuelle Menschen oder Menschen, die sich in einer Phase befinden, in der sie einen Konflikt zwischen ihrem biologischen Geschlecht und dem empfundenen Geschlecht erleben, nicht unter einer Krankheit leiden würden. Die Behandlung solcher Menschen in spezialisierten Zentren würde daher die „Vielfalt der Geschlechtsidentitäten pathologisieren“. Erstens blenden die Studienautoren dabei aus, dass eine medizinische Heilbehandlung immer nur mit Indikation (Heilanzeige) durchgeführt werden kann und zweitens, dass eine Behandlung im Rahmen einer psychiatrischen oder allgemeinmedizinischen Versorgung ebenfalls eine medizinische Behandlung darstellt. Würden Betroffene keine Hilfe und Behandlung suchen, handelte es sich bei Transsexualismus tatsächlich nicht um eine Krankheit bzw. ein Gesundheitsproblem, das eine medizinische Behandlung erforderlich machen würde. Eine medizinische Behandlung setzt jedenfalls einen krankhaften Zustand voraus. Nicht zu „pathologisieren“ würde letztlich bedeuten, keine Behandlung anbieten zu können, was nicht im Sinn der Betroffenen wäre.
Der Kritik, dass Menschen mit Transgenderthematik sich nur an spezialisierte Zentren wenden könnten, die entsprechendes Know-how hätten, es aber den Patienten oft mehr helfen würde, sich in allgmeinmedizinische oder psychatrische Behandlung zu begeben, ist hingegen einiges abzugewinnen. Experten wie der deutsche Psychiater Alexander Korte raten in erster Linie zu einer intensiven, gender-kritischen Psychotherapie und nicht zu einer hormonellen und operativen Behandlung, wie sie spezialisierte Zentren laut Studie hauptsächlich anbieten. Viele Einzelschicksale unterstützen die Aussage, dass hormonelle und operative Eingriffe oftmals nicht den empfundenen Geschlechtskonflikt lösen, sondern diese weiterbestehen und körperliche Probleme hinzukommen. (TS_TSG)