Mutter darf Embryonen gegen der Willen des Vaters einsetzen
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IT / Reproduktionsmedizin: Mutter darf Embryonen gegen den Willen des Vaters verwenden

IEF, 15.03.2021 – Aktuelles Urteil schafft in Italien einen Präzedenzfall.

In Italien hat ein Gericht in Kampanien einer Frau das Recht zugesprochen, sich gegen den Willen ihres Ex-Ehemannes die durch medizinisch assistierte Fortpflanzung mit seinem Sperma befruchteten Eizellen einsetzen zu lassen. Vor etwa 20 Jahren hatte ein Gericht in Bologna noch ein gegenteiliges Urteil gefällt. Damals wurde dem Vater und Samenspender noch ein Widerspruchsrecht bestätigt.

Zustimmung nach Befruchtung bindend

Nach Ansicht der Richter der Kleinstadt Santa Maria Capua Vetere erlaube das Gesetz aus dem Jahr 2004 über medizinisch unterstützte Schwangerschaft dem Samenspender, die Zustimmung bis zu dem Moment zurückzuziehen, in dem ein Ei befruchtet wurde. Danach allerdings nicht mehr. Wie die Times schreibt hoffe die Klägerin, dass ihr juristischer Sieg anderen Frauen helfen kann: „Ich glaube guten Gewissens, dass ich etwas Nützliches für viele andere Frauen in meiner Situation getan habe und für die vielen Individuen, die in gefrorenen Reagenzgläsern gezeugt wurden, denen das Gesetz bis jetzt keine Alternative bot“. „Es war keine Entscheidung, die leichtfertig getroffen wurde. Ich bin über 40 Jahre alt und aus Liebe zu meinem Ex-Mann, der gesundheitliche Probleme hatte, entschied ich mich für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung.“ Beim ersten Versuch habe diese nicht funktioniert, danach habe ihr Ehemann beschlossen, „unserer Ehe ein Ende zu setzen“.

Fälle könnten „noch Jahre später“ auftreten

Die Embryonen seien „in einem Kontext der Liebe geschaffen worden“. „Ich habe mich entschieden, die Embryonen auf jeden Fall auf die Welt zu bringen, auch als alleinstehende Frau. Ich bin froh, dass der Richter mir und unserem vorerst nur gezeugten Kind das Recht zugestanden hat, das wenigstens zu versuchen.“ Gianni Baldini, der Anwalt der namentlich nicht genannten Frau, sieht in dem Urteil einen Präzedenzfall. Vier von zehn italienischen Paaren würden sich innerhalb von fünf Jahren trennen, 20 Prozent von ihnen hätten Fruchtbarkeitsprobleme. „Wenn das Gesetz nicht geändert wird, besteht die Gefahr, dass ähnliche Situationen auch Jahre später noch auftreten werden. Dieser Fall hat den Leuten die Augen geöffnet (…) und die Fruchtbarkeitszentren werden ihre Einverständniserklärungen ändern müssen.“

Befruchtung aufgrund „wirtschaftlicher“ Interessen

Baldini, spezialisiert auf Familienrecht und Bio-Ethik, vertritt derzeit auch einen potenziellen Vater, der die Verwendung von befruchteten Eizellen verhindern will. Dieser Fall sei – nach Ansicht des Rechtsanwalts – jedoch anderes gelagert, da die Klägerin die Situation aus wirtschaftlichen Gründen auszunützen versuche.

Vater trifft Unterhaltspflicht

Das Gerichtsurteil könnte auch eine erhebliche wirtschaftliche Belastung für den widerstrebenden Vater bedeuten, da er nach italienischer Gesetzeslage für den Unterhalt seines Kindes verantwortlich wäre, bis dieses finanziell unabhängig ist. Immer wieder erregen ähnlich gelagerte Fälle international Aufmerksamkeit. Zuletzt hatte eine Frau in Bayern die Unterschrift ihres Ex-Partners auf der Einverständniserklärung für das Einsetzen der Embryonen gefälscht. Auch ihn traf die Unterhaltspflicht.

Österreichische Rechtslage

Auch in Österreich darf gemäß § 8 Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur mit der Zustimmung der Ehegatten, der eingetragenen Partner oder der Lebensgefährten durchgeführt werden. Die Zustimmung zur Durchführung einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung kann nur höchstpersönlich erteilt werden. Die Stellvertretung durch eine andere Person ist somit nicht möglich. Zum Zeitpunkt des Einbringens von Samen, Eizellen oder entwicklungsfähigen Zellen in den Körper der Frau darf die Erklärung nicht älter als zwei Jahre sein. Sie kann von jedem Elternteil formlos (schriftlich oder mündlich) widerrufen werden. Anders als in Italien, ist dieser Widerruf bis zum Einbringen des Samens, der Eizellen oder der entwicklungsfähigen Zellen in den Körper der Frau möglich und hat gegenüber dem Arzt zu erfolgen. Soweit recherchierbar gibt es in Österreich keine Judikatur zu einem vergleichbar gelagerten Sachverhalt, es besteht jedoch jedenfalls keine lex specialis, die die Unterhaltsansprüche für einen Sachverhalt wie den vorliegenden abweichend normiert. Unterhaltsansprüche gegenüber den genetischen Vater entstehen grundsätzlich immer. Einzige Ausnahme ist die explizit geregelte Fremdsamenspende nach dem Fortpflanzungsmedizingesetz. Samenspender, die im Rahmen einer Fremdsamenspende nach den Auflagen des FMedG zu Verfügung stellen, stehen rechtlich in keinem Bezug zu den so gezeugten Kindern.

Ethisches Problem unabhängig von Interessen der Eltern

Die Entscheidung des italienischen Gericht lenkt die Aufmerksamkeit auf ein wichtiges ethisches Dilemma in der Reproduktionsmedizin, meint dazu Stephanie Merckens, Juristin und Biopolitikerin am Institut für Ehe und Familie (IEF). Bereits mit Eindringen der Samenzelle in die Eizelle beginnt das Leben eines neuen Menschen. Bei der derzeitigen Praxis der Reproduktionsmedizin werden aber laufend und in voller Absicht sehr viel mehr Embryonen erzeugt, als je in den Mutterleib transferiert werden sollen. Dazu kommen dann noch jene Fälle wie die hier erwähnten, in denen der Partner der Kinderwunschpatientin seine Zustimmung zum Transfer entzieht. Das Leben der neuen Menschen habe aber jedenfalls begonnen, unabhängig davon, ob diese „aus Liebe“ oder „aus wirtschaftlichen Interessen“ weiterleben sollen, betont Merckens. Die Entscheidung des italienischen Gerichts habe für Österreich zwar keine Rechtswirkung. Vom Ergebnis sei sie jedoch zu begrüßen. Noch besser aber wäre es, grundsätzlich nur so viele Eizellen zu befruchten, wie tatsächlich eingesetzt werden. Die Entwicklungen der Kryokonservierung (Einfriertechnik) würden es durchaus zulassen, immer nur eine Eizelle zu befruchten und zu transferieren, während die anderen durch die Punktation gewonnenen Eizellen eingefroren blieben, so Merckens. Damit wäre zumindest einem der größten Dilemmata im Zusammenhang mit der In-Vitro-Fertilisation begegnet, dem der ‚überzähligen‘ Embryonen. (KL)

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