Leihmutterschaft: Indische Wissenschaftlerin verortet „reproduktives Unrecht“
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AT / Reproduktionsmedizin: Indische Wissenschaftlerin verortet „reproduktives Unrecht“

IEF, 6.3.2018 – Die indische Wissenschaftlerin Dr. Sheela Saravanan gab bei der Auftaktveranstaltung der österreichischen Initiative „Stoppt Leihmutterschaft“ am 5.3.2018 in Wien Einblicke in den weltweiten Markt von Leihmutterschaft am Beispiel Indiens. Leihmutterschaft sei Ausbeutung von Frauen, kommerzialisiere das Kind zur Ware und stelle ein „reproduktives Unrecht“ dar.

Klassenbasierter Markt von Leihmutterschaft

Dr. Sheela Saravanan, indische Wissenschaftlerin an der Universität Heidelberg und in Indien, erläuterte, warum nur ein internationales Verbot die ausbeuterischen Praktiken der Leihmutterschaft stoppen könne. Die Wissenschaftlerin, die für ihre Studien an einer indischen Leihmutterschaftsklinik forschte und hierfür mit Leihmüttern und deren Familien, Bestellpaaren und Vermittlungsagenturen im Gespräch war, führte die Zuhörer zunächst imaginär in den Alltag der Betroffenen. Die Leihmütter kämen überwiegend aus armen Verhältnissen und sähen in der Leihmutterschaft eine Möglichkeit, die finanzielle Lebensgrundlage ihrer Familien zu verbessern. Die Bestellpaare hingegen kämen aus wohlhabenderen Schichten – bis zum kommerziellen Verbot von Leihmutterschaft in Indien 2015 sei der Großteil des Marktes von Bestelleltern aus den USA, Großbritannien und Kanada unterhalten worden. Ländern, in denen Leihmutterschaft bereits erlaubt wäre, betonte Saravanan.

Restriktive Behandlung von Leihmüttern

Bestelleltern aus den USA, Großbritannien und Kanada, würden indische Leihmütter bevorzugen, da dies weniger kostete und die Leihmütter weniger bis keine Rechte hätten. Bei dem von Saravanan untersuchten Leihmutterschaftsanbieter lebten die Leihmütter für die Dauer der Schwangerschaft in „Leihmutterhäusern“ und wurden in ihrer Lebensweise eingeschränkt, um die Wahrscheinlichkeit, ein gesundes Kind zu gebären, zu erhöhen. Die Leihmütter mussten sich dort an genaue Essensvorgaben halten, durften nicht arbeiten, nicht selber kochen, nur einmal wöchentlich Besuch ihrer Familie erhalten und durften sich nicht frei bewegen. Selbst für die Wege zu Untersuchungen im angegliederten Spital wurden sie von Pflegepersonal begleitet.

Kommerzialisierung des Kindes

Abgesehen davon, dass Leihmütter keine Bezahlung erhielten, wenn sie eine Fehlgeburt erlitten und Abtreibungen von behinderten Kindern über sich ergehen lassen müssten, kritisierte Saravanan, dass sämtliche erprobte medizinische Methoden bei Leihmüttern missachtet würden. So setze man beispielsweise Leihmüttern mehr Embryos – vorher auf Krankheiten, Geschlecht etc. gescreent und aussortiert – ein, als sonst bei In-Vitro-Fertilisation (IVF) üblich, um die Chancen auf ein gesundes, den Wünschen der Bestelleltern entsprechendes Kind, zu erhöhen. Das Entgelt der Leihmutter bemesse sich zudem nach dem Gewicht des Neugeborenen. Die Rechte des kommerzialisierten Kindes und der Leihmutter würden den reproduktiven Rechten und Wünschen der Bestelleltern und dem Gewinnstreben der Vermittlungsagenturen geopfert, verurteilt die Inderin die Praxis der Leihmutterschaft.

Leihmutterschaft ist „reproduktives Unrecht“

Leihmutterschaft sei „reproduktives Unrecht“ („reproductive injustice“), da bei Leihmutterschaft die körperliche und psychische Integrität von Leihmutter und Kind durch das „Recht auf Reproduktion“ der Bestelleltern aufs gröbste verletzt werde. Nach dem kommerziellen Verbot von Leihmutterschaft in Indien sei ein deutlicher Rückgang von Leihmutterschaft in Indien zu verzeichnen. Im gleichen Maß sei die Anfrage nach Leihmutterschaft in anderen Ländern wie Thailand, Laos oder Kambodscha gestiegen, wo teilweise die kommerzielle Leihmutterschaft infolgedessen auch gesetzlich verboten worden sei. Das zeige laut Saravanan, dass nur ein internationales Verbot von Leihmutterschaft Menschenrechtsverletzungen dieser Art beenden könne.

Initiative „Stoppt Leihmutterschaft“


Die Initiative „Stoppt Leihmutterschaft“ entstand 2017 in Österreich aus einer Expertenrunde von Kinderärzten, Psychologinnen, Ethikerinnen, Juristen, Hebammen und Psychotherapeutinnen, die unabhängig von der jeweiligen Weltanschauung der Leihmutterschaft kritisch gegenüberstehen und sich für ein internationales Verbot einsetzen.

„Stoppt Leihmutterschaft“ fordert ein globales Verbot von Leihmutterschaft und will mehr Wissen über Leihmutterschaft und ihre Folgen vermitteln und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es sich hier um eine Menschenrechtsverletzung handelt. Die gleichnamige Petition kann hier unterzeichnet werden.

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