
GB / Reproduktionsmedizin: Leihmutterschaft als Schadenersatz
IEF, 28.05.2020 – Nachdem ihr Gebärmutterhalskrebs von den Ärzten unentdeckt blieb, müssen diese einer nun unfruchtbaren Britin die Kosten einer Leihmutter in Kalifornien ersetzen.
Die Vorgeschichte
Die Antragstellerin wurde 1983 geboren. 2008 wurde bei ihr ein Zervix-Abstrich vorgenommen, der fälschlicherweise als unauffällig beurteilt wurde, obwohl der Befund eine schwere Dyskaryose (atypisch veränderte Zellkerne) hätte ausweisen müssen. Im Februar 2012 wurde ein weiterer Abstrich vorgenommen, auch dieser wurde falsch befundet und als unauffällig eingestuft, obwohl bereits ein invasives Karzinom nachweisbar gewesen wäre. Bei einem Abstrich im September 2012 wurde in weiterer Folge eine schwere Dyskayose, nicht jedoch das bereits vorliegende invasive Karzinom diagnostiziert. Auch eine Gebärmutterhalsbiopsie im Anschluss führte nicht zu einer korrekten Diagnose.
Das Whittington Hospital gab Fahrlässigkeit in Bezug auf die Abstrichuntersuchungen 2008 und Februar 2012 sowie im Zusammenhang mit den beiden Biopsien zu. Wenn 2008 geeignete Maßnahmen ergriffen worden wären, bestünde eine 95-prozentige Chance auf eine vollständige Heilung und die Antragstellerin hätte überhaupt keinen Krebs entwickelt.
Nachdem die Klägerin weiterhin über Symptome klagte, wurden weitere Untersuchungen durchgeführt und 2013 schließlich festgestellt, dass die Vor-Befunde falsch gewesen waren. Im Juni 2013 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass sie Gebärmutterhalskrebs habe und sie wurde in ein anderes Krankenhaus überwiesen. Dort bewerteten die Ärzte den Zustand als zu weit fortgeschritten, um operiert werden zu können. Vielmehr wurde ihr geraten, sich einer Chemo- und Strahlentherapie zu unterziehen, durch die sie allerdings ihre Fortpflanzungsfähigkeit verlieren würde.
Im Juni 2013 unterzog sich die Antragstellerin daher einer Eierstockstimulation und Eizellentnahme, wodurch acht reife Eier eingelagert wurden. Im Anschluss wurde sie operiert und unterzog sich einer Chemo-Strahlentherapie. Aufgrund der folgenden erheblichen Komplikationen, der bleibenden körperlichen Schäden sowie der erlittenen seelischen Qualen wurden ihr Schadenersatzzahlungen zugesprochen.
Die Berufung über die der UK Supreme Court nun zu urteilen hatte, richtete sich auf die Geltendmachung jener Schäden, die der Einschreiterin dadurch entstanden sind, dass sie selbst kein Kind austragen kann.
Kinderwunsch: Vier Kinder
Die Klägerin, die selbst viele Geschwister hat und ihr Lebensgefährte, ebenfalls aus einer kinderreichen Familie, hätten den Wunsch gehabt, vier Kinder zu bekommen. Nach Einschätzung der Ärzte sei es realistisch, dass mit den acht eingelagerten Eizellen, zwei Kinder durch eine Leihmutter ausgetragen werden könnten. Für zwei weitere Kinder müsse dann zusätzlich auf eine Eizellspenderin zurückgegriffen werden. Geplant sei, in Kalifornien, USA eine Leihmutter zu bezahlen, würden die Kosten jedoch nicht vom Krankenhaus getragen, würde man in Großbritannien eine nicht-kommerzielle Vereinbarung mit einer Leihmutter eingehen.
Entscheidungen der Vorinstanzen
Das Erstgericht hatte der Klägerin nur die Kosten für eine nicht-kommerzielle Leihmutterschafts-Vereinbarung mit eigenen Eizellen zuerkannt. Bei der Bemessung der Höhe des Schadenersatzes wurden die Kosten für zwei Schwangerschaften als Grundlage herangezogen. Der Antrag auf Kostentragung einer kommerziellen Vereinbarung in Kalifornien wurde als ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung beurteilt und daher vom Erstgericht abgewiesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung statt und entschied, dass Schadensersatz für eine kommerzielle Leihmutterschaft-Vereinbarung in Kalifornien geltend gemacht werden könne.
Case Law zu Gunsten kommerzieller Leihmutterschaft
Der angerufene Supreme Court hatte zu klären, ob die Kosten für eine Leihmutterschaft zu ersetzen seien, in dem Fall, dass eigene Eizellen verwendet werden sowie im Falle einer Eizellspende und inwieweit die Kosten für eine kommerzielle Leihmutterschaft überhaupt ersatzfähig sind, da eine solche Vereinbarung in Großbritannien rechtswidrig ist. Nach geltendem Recht können Bestelleltern ihre Elternschaft nicht gesetzlich durchsetzen. Die Leihmutter gilt kraft Gesetzes als Mutter des Kindes. Kommerzielle Leihmutterschaft ist verboten.
Mit der neuen Entscheidung vom 1. April 2020 wurde der Klägerin nun der Ersatz der Kosten für die kommerzielle Vereinbarung im Ausland zuerkannt.
In der Begründung des Urteils, mit dem das Gericht von der bisherigen Rechtslage abweicht, wird ausgeführt, dass die sozialen Veränderungen der jüngsten Vergangenheit zur gegenwärtigen Akzeptanz einer unendlichen Vielfalt von Formen des Familienlebens geführt hätten. Die Gründung dieser Familien werde häufig durch die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin erleichtert, einschließlich des verstärkten Einsatzes von Leihmutterschaft und Eizell-Spenden.
Die vorsitzende Richterin Lady Hale kommt in dem Urteil zum Schluss, dass es früher möglich gewesen wäre, zu argumentieren, dass „das Gesetz die Geburt von Kindern, die sonst nie geboren worden wären, nicht erleichtern sollte“, aber die „Akzeptanz und weit verbreitete Anwendung“ von Techniken der assistierten Reproduktion bedeuten würden, dass es nun „nicht mehr möglich“ wäre, dieses Argument vorzubringen. Vielmehr sei es „vernünftig“, solche Schäden bei guten Erfolgsaussichten geltend zu machen, da das ihrer Ansicht nach nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoße. In Analogie zum Verlust und Ersatz von Gliedmaßen sei der Verlust einer Gebärmutter zu ersetzen durch die „Großzügigkeit einer Leihmutter, die den Gebrauch ihrer eigenen Gebärmutter anbietet“.
Kostenübernahme für Behandlungen auch bei nicht-kommerzieller Leihmutterschaft
Im Zusammenhang mit kommerziellen Leihmutterschaftsvereinbarungen außerhalb des Vereinigten Königreichs stellte das Gericht fest, dass viele der Kosten unabhängig davon anfielen, ob die Vereinbarung kommerziell sei oder nicht. Es gebe zwar „erhöhte“ Risiken der Ausbeutung und Kommerzialisierung bei der entgeltlichen Leihmutterschaft, diese seien jedoch keine „unüberwindbare ethische Barriere für ordnungsgemäß geregelte Vereinbarungen“. Es verstoße daher „nicht mehr“ gegen die öffentliche Ordnung, Schadenersatz für die Kosten einer ausländischen kommerziellen Leihmutterschaft zu gewähren, vorbehaltlich dreier einschränkender Faktoren: das vorgeschlagene Behandlungsprogramm müsse angemessen sein; es müsse „vernünftig“ sein, Leihmutterschaftsvereinbarungen im Ausland und nicht im Vereinigten Königreich anzustreben und die damit verbundenen Kosten müssten angemessen sein.
ADF: Kritik und Sorge
Wie ADF International in einem Kommentar zum Urteil betont, wird die Entscheidung ausschließlich aus der Perspektive der Empfängereltern begründet und die Praxis der Leihmutterschaft aus der Perspektive des Kindes nicht angemessen berücksichtigt. Auch der Aspekt, dass die Leihmütter oftmals ausgebeutet würden, sei vom Gericht nicht ausreichend beachtet worden. Nun bestehe die Befürchtung, dass das richtungsweisende Urteil Anlass für eine Gesetzesänderung sein könnte, die kommerzielle Leihmutterschaft in Großbritannien gesetzlich ermöglicht. (KL)