Eugenische Indikation
Lesezeit: 4 Minuten

PL / Pro-Life: Leben ist wertvoller als Gesundheit

IEF, 02.11.2020 – Neues Urteil des polnischen Höchstgerichts:  die eugenische Indikation ist künftig kein legaler Grund für eine Abtreibung.

Verfassungsgericht: Eugenische Indikation verfassungswidrig

Das polnische Verfassungsgericht hat die Abtreibung unheilbar kranker Föten für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht gab damit dem Antrag von Parlamentsabgeordneten der  nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der oppositionellen Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit statt, die argumentiert hatten, die Bestimmung sei ein Verstoß gegen den in der Verfassung verankerten Schutz des Lebens. Seit 1993 waren Schwangerschaftsabbrüche in Polen legal, wenn die Gesundheit der Mutter gefährdet, die Schwangerschaft das Ergebnis einer Straftat wie etwa einer Vergewaltigung war, oder wenn das Ungeborene schwere Fehlbildungen aufwies.

Bisheriger Hauptgrund für Abtreibung: Trisomie 21

Nach der offiziellen Statistik wurde als Grund für einen Schwangerschaftsabbruch bisher in den meisten Fällen eine irreversible schwere Missbildung oder Krankheit des Fötus angegeben. 2018 traf dies bei 1.050 der 1.076 registrierten Eingriffe zu. Wie die Zeit berichtet, hatte es während des von 1956 bis 1993 geltenden liberalen Abtreibungsgesetzes, das Frauen in „schwierigen Lebensbedingungen“ einen Abbruch der Schwangerschaft erlaubte, jährlich bis zu 140.000 Abbrüche gegeben. Nach Inkrafttreten des heutigen Gesetzes für „Familienplanung, Schutz des menschlichen Fötus und Bedingungen für erlaubte Abtreibung“ habe es nach Angaben der Zeit zunächst nur noch sehr wenige registrierte Schwangerschaftsabbrüche gegeben. 2009 waren es 538. 2015 seien mit 1.040 Schwangerschaftsabbrüchen erstmals mehr als 1.000 gemeldet worden. Seither änderte sich die Zahl nur wenig. Die meisten Abtreibungen betrafen Kinder mit Trisomie 21. Vermutet wird aber auch, dass viele polnische Frauen in Nachbarländern Abtreibungen vornehmen lassen, in denen diese legal sind.

Leben selbst ist höheres Gut als Gesundheit

Auch Justizminister Zbigniew Ziobro hatte den Antrag der 119 Abgeordneten des polnischen Unterhauses (Sejm) unterstützt. Die betreffende Regelung im Gesetz widerspreche der Verfassung, schrieb er dem Gericht als Generalstaatsanwalt. In seiner Entscheidung stellte das Verfassungsgericht schließlich fest, dass das menschliche Leben in allen Phasen seiner Entwicklung, von der Empfängnis an, geschützt ist und als wertvoller einzuschätzen sei als Gesundheit. Daher dürfe das Leben nicht der Gesundheit geopfert werden. In der Urteilsbegründung stützten sich die Richter auf das Völkerrecht, insbesondere auf die UN-Konvention über die Rechte des Kindes, die anerkennt, dass „das Kind aufgrund seiner körperlichen und geistigen Unreife vor und nach der Geburt eines besonderen Schutzes und besonderer Fürsorge, einschließlich eines angemessenen Rechtsschutzes, bedarf“, sowie auf die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die Diskriminierung aufgrund von Behinderung verbietet. Damit steht das Urteil in Einklang mit dem europäischen Recht, das kein Recht auf Abtreibung enthält.

Landesweite Proteste

Unmittelbar nach dem Urteil des Verfassungsgerichts kam es in ganz Polen zu Demonstrationen und Protesten. Die oppositionelle politische Linke mobilisierte mit dem Vorwurf, das Verfassungsgericht stehe unter dem Einfluss konservativer Kreise und der katholischen Kirche. Als Reaktion versucht nun Präsident Andrzej Duda den Streit mit dem Vorschlag eines neuen Gesetzentwurfs zu entschärfen. Dieser soll die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs vorsehen, wenn es laut medizinischer Diagnose wahrscheinlich sei, dass das Kind tot zur Welt komme oder wegen seiner Fehlbildungen kurz nach der Geburt sterben werde, teilte die Präsidialverwaltung mit. Duda hoffe auf „einen politischen Konsens in dieser Angelegenheit“.

Auftrag an Politik: Unterstützung für Familien mit behinderten Kindern

In seinem Urteil entschied das Gericht jedoch nicht nur über die fehlende Verfassungsmäßigkeit der Abtreibung aufgrund eugenischer Indikation, sondern trug der polnischen Regierung auch auf,  sich in verstärktem Maße den kranken oder behinderten Kindern und ihren Familien anzunehmen. Familienministerin Marlena Maląg legte dem Sejm umgehend einen Bericht über die Unterstützung behinderter Kinder als Teil des Regierungsprogramms „Fürs Leben“ vor. Während die Regierung 2015 rund 15 Mrd. PLN (3,28 Mrd. EUR) für die Unterstützung von Behinderten ausgegeben habe, seien die Ausgaben im Jahr 2020 auf 27 Mrd. PLN (5,90 Mrd. EUR) gestiegen.

UK: Menschen mit Behinderung gleich viel „wert“

Auch in Großbritannien hat sich der High Court in London mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Abtreibungsmöglichkeit aufgrund eugenischer Indikation und somit mit der Zulässigkeit der Bestimmung zu befassen, die es ermöglicht, behinderte Kinder bis zum Beginn der Geburt abzutreiben. Zu Fall bringen wollen diese Bestimmung Heidi Carter, eine 25-jährige Frau mit Trisomie 21, und Máire Lea-Wilson, Mutter des sechzehn Monate alten Aidan, der ebenfalls mit dieser genetischen Disposition geboren wurde. Für Carter ist die Gesetzeslage diskriminierend: „Was es mir sagt, ist, dass mein Leben einfach nicht so wertvoll ist wie das anderer, und ich glaube nicht, dass das richtig ist.“ Lea-Wilson ergänzt: „Ich habe zwei Söhne, und ich liebe und schätze sie gleich; das Gesetz schätzt sie jedoch nicht gleich. Das kommt mir so falsch vor, und deshalb wollen wir versuchen, das zu ändern.“ (KL)

Das könnte Sie auch interessieren

Diesen Artikel teilen

Das könnte Sie auch interessieren

Nach oben