INT / Abtreibung: Laut UN umfasst „reproduktive Gesundheit“ auch Zugang zu „sicheren und legalen Abtreibungen“
IEF, 09.06.2020 – Eine UN-Expertengruppe behauptet in einer Stellungnahme, Abtreibungsbeschränkungen würden gegen Menschenrechte verstoßen.
Spezialverfahren der UN-Menschenrechtskommission
Die aus Experten bestehende UN-Arbeitsgruppe ist Teil der von der UN-Menschenrechtskommission entwickelten Spezialverfahren oder „Special Procedures“. Im Rahmen dieser Verfahren befassen sich Einzelpersonen (Sonderberichterstatter) oder Arbeitsgruppen mit länderspezifischen oder thematischen Menschenrechtsverstößen. Alle Mandatsträger werden vom Menschenrechtsrat ernannt, dem sie jährlich über ihre Arbeit berichten müssen. Auf Anfrage der UNO-Generalversammlung müssen dieser die Untersuchungsergebnisse vorgelegt werden.
Die gegenständliche Stellungnahme stammt von der Arbeitsgruppe betreffend die Diskriminierung von Frauen und Mädchen (Working Group on discrimination against women and girls).
Zugang zur Abtreibung als Teil sexueller und reproduktiver Gesundheitsleistungen
In einer Stellungnahme vom 27. Mai 2020 kritisiert die UN-Arbeitsgruppe jene US-Bundesstaaten, die die Abtreibung während der Corona-Restriktionen nicht als essentielle Gesundheitsleistung deklariert hatten (das IEF hat berichtet).
Namentlich werden Texas, Oklahoma, Alabama, Iowa, Arkansas, Louisiana und Tennessee genannt – allesamt Bundesstaaten mit einer Geschichte von sich graduell verschärfenden Abtreibungsgesetzen, heißt es in der Stellungnahme. Diese Bundesstaaten würden nun die Corona-Pandemie dazu missbrauchen, um den Zugang zur Abtreibung und die „reproduktiven Rechte von Frauen“ noch weiter zu beschränken. Die UN-Expertengruppe „befürchtet“, dass die Bundesstaten den bereits eingeschlagenen Weg weiterverfolgen werden, sollte nicht der klare politische Wille an den Tag gelegt werden, um solche „einschränkenden und rückschrittlichen Tendenzen“ zu unterbinden.
Der Zugang zu Abtreibungsdienstleistungen sei gerade in Krisenzeiten wesentlich, liest man weiter in der Stellungnahme. Wird der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch verweigert, würden Frauen einem erhöhten Risiko ausgesetzt werden und ihnen würde die Möglichkeit genommen werden, über ihren eigenen Körper und ihr Leben selbst zu bestimmen. Zudem würde dies die „systemische Ungleichheit“ verschärfen.
Kritisiert wird auch der offene Brief von USAID (US Agency for International Development) an UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, in dem dieser ersucht wird, Bezüge zur „sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechten“ (SRGR) aus dem humanitären Hilfsplan der UNO zur koordinierten globalen Bekämpfung der COVID-19 Pandemie zu entfernen. (Das IEF hat berichtet).
Nach Ansicht der UN Arbeitsgruppe seien Beschränkungen der „umfassenden reproduktiven Gesundheit“, einschließlich der Abtreibung, eine Verletzung der Menschenrechte und würden irreversiblen Schaden anrichten. „Sexuelle und reproduktive Gesundheitsleistungen, einschließlich Abtreibungsleistungen, sind essentiell und ein Schlüsselelement der von der UNO gesetzten Prioritäten im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Die Entfernung von Bezügen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit aus dem humanitären Hilfsplan würde weltweit verheerende Folgen für Frauen nach sich ziehen“, so ein wörtliches Zitat aus der Stellungnahme der UN-Expertengruppe.
Scharfe Kritik: „Unabhängige“ Experten mit zum Teil enormem Einfluss
Stellungnahmen wie diese stoßen seit jeher auf scharfe Kritik. Sowohl inhaltlich, als auch prozessual. So berichtet etwa C-Fam im Zusammenhang mit der Stellungnahme, dass obwohl die Aussagen und Berichte der in die UN-Spezialverfahren involvierten Experten nicht den gleichen Prozess wie andere offizielle UN-Dokumente durchlaufen müssen, diese häufig von UN-Teilorganisationen und -Agenturen sowie Aktivisten zitiert und von manchen Mitgliedstaaten gar wie ausverhandelte und im Konsens beschlossene internationale Dokumente behandelt werden.
Die WHO führt beispielsweise eine Datenbank mit weltweiten Abtreibungsregelungen. Darin werden auch alle von UN-Vertragsorganen und Mandatsträgern im Rahmen der UN-Spezialverfahren abgegebenen Empfehlungen aufgelistet.
C-Fam erläutert weiter, dass der Begriff der „sexuellen und reproduktiven Gesundheit“ seit dem Jahr 1994 (UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo) Eingang in UN-Resolutionen gefunden hat. Damals wurde beschlossen, dass sich der Begriff nur insofern auch auf Abtreibungsdienstleistungen bezieht, als diese innerstaatlich erlaubt sind. Der Begriff „sexuelle und reproduktive Gesundheit“ wurde im Zuge der Verhandlungen noch mit weiteren Vorbehalten besetzt. Beispielsweise wurde in Kairo ausdrücklich festgehalten, dass die Abtreibung nie als Methode der Familienplanung gefördert werden darf.
In den letzten 25 Jahren hätten Regierungen, die die Abtreibung befürworten, bei Verhandlungen versucht den 1994 erarbeiteten Konsens betreffend der „sexuellen und reproduktiven Gesundheit“ zu untergraben, die Vorbehalte zu beseitigen und ein Recht auf Abtreibung hineinzuinterpretieren, so C-Fam. Ein derartiges Recht auf Abtreibung sei in internationalen Vereinbarungen jedoch nicht existent. Unter Präsident Trump habe sich die USA vermehrt gegen die Verwendung des Begriffs ausgesprochen (das IEF hat berichtet). „Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ würden zwar per se kein Recht auf Abtreibung begründen, könnten andererseits von der Abtreibung aber auch nicht völlig getrennt betrachtet werden, fasst C-Fam zusammen. (AH)