AT_ INT / Lebensende: Kritik an Medien im Umgang mit Sterbehilfe – Tod von David Goodall
IEF, 22.5.2018 – Der Australier David Goodall reiste Anfang Mai in die Schweiz und starb am 10.5.2018 durch Sterbehilfe. Weltweit berichteten Medien über die Drama-Inszenierung des Falles. Und ernteten dafür Kritik.
Der 104-jährige Wissenschaftler Goodall, der bis vor zwei Jahren noch an der Universität arbeitete, hatte einen gescheiterten Selbstmordversuch hinter sich. Der Botaniker klagte über Altersschwäche. Da Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen in Australien verboten ist, reiste er in die Schweiz und nahm sich dort mithilfe des Vereins lifecircle und der Partnerorganisation Exit International das Leben.
Öffentlichkeitswirksam hatte Goodall, bekleidet mit einem T-Shirt, auf das der Schriftzug „ageing disgracefully“ gedruckt war, sein Recht erklärt, seinem langen Leben aktiv und bewusst ein Ende zu setzen. Dieses „Menschenrecht“ sollte seiner Meinung nach jedem im Alter von über 50 oder 60 Jahren eingeräumt werden, erklärte der 104-Jährige bei seiner letzten Pressekonferenz in Basel.
Der unreflektierte mediale Bericht über den inszenierten Suizid des Wissenschaftlers erntete jedoch durchwegs Kritik. Mit deutlichen Worten appellierte etwa die Bioethikerin Susanne Kummer vom Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE)an ihre ehemaligen Kollegen aus den Medien, ihre Berichterstattung im Zusammenhang mit Suiziden kritisch zu reflektieren. So hätten etwa im aktuellen Fall nur sehr wenige Medien im Zusammenhang mit der Berichterstattung auf Hilfsangebote für Menschen mit Suizidgedanken hingewiesen, so Kummer. Und das, obwohl die WHO 2008 eigene Richtlinien zur Darstellung von Suizid in Medien erlassen hätte. (Einen Beitrag, der die Richtlinien weitgehend umsetzt fand sich z.B. im Standard.) „Medienschaffende werden darin aufgefordert, sowohl eine ‚Sensationssprache‘ als auch eine ‚normalisierende Darstellung von Selbstmord als Lösung für Probleme‘ zu vermeiden, ebenso eine ‚prominente Platzierung von Geschichten über Selbstmord‘ sowie eine ‚explizite Beschreibung der verwendeten Methode‘. Leider wurden diese [Empfehlungen] im Fall Goodall von vielen ignoriert“, kritisiert Kummer. Sie schreibt den Medien im Bereich Suizidprävention eine große Verantwortung zu: „Die Hochstilisierung der Selbstbestimmung hat inzwischen zu einer Abwertung des Lebens geführt: Wenn Optionen wie der ‚Seniorenfreitod’ positiv besetzt werden, ist das ein besorgniserregendes Signal.“
Dass bereits durch Diskurs Realität geschaffen wird, beobachtet auch der Soziologe Dr. Bernhard Weicht vom Institut für Soziologie der Universität Innsbruck. Gemeinsam mit britischen Forschern hat er sich intensiv mit dem Zusammenhang von öffentlicher Diskussion und dem Bild von Alter und Krankheit auseinandergesetzt. Zusammengefasst untermauern die Ergebnisse, was auch Kummer alarmiert: Bilder schaffen Realität. Abhängigkeit sei Teil des Menschseins, so Weicht. Werden alte Menschen aber als abhängig und verletzlich diskutiert, erzeuge das in den Köpfen ein entsprechendes Bild. Das präge wiederum politische Entscheidungen oder die Gestaltung von Pflege bis hin zum Umgang miteinander, wodurch sich die Realität für die betroffene Gruppe verändere, so der Soziologe gegenüber der Presse in einem Beitrag vom 23.2.2018.
Eine Berichterstattung, die sich mit dieser Prägkraft bewusst oder unbewusst nicht auseinandersetzten möchte, trage daher Mitverantwortung, wenn sich Menschen in Alter und Krankheit als Last empfänden, so auch Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF). Umgekehrt könnten aber gerade auch die Medien mitwirken, eine positive Grundeinstellung zur Abhängigkeit des Menschen zu vermitteln. Weicht verweist auf ein Beispiel aus den Niederlanden. Dort gebe es ein „Demenzdorf“, in dem Demenz samt Folgen akzeptiert werde, ohne darin ein Problem zu sehen oder zu verheimlichen. Die positive Grundeinstellung gegenüber Abhängigkeit schaffe für die Menschen eine neue Realität. Der jeweilige Lebensstil, Wünsche und Beziehungen der Bewohner stünden im Mittelpunkt, womit ein gutes Leben für die Menschen möglich werde.