GB / Reproduktionsmedizin: IVF-Spezialist kritisiert eigene Branche
IEF, 11.9.2018 – In einem Interview mit The Irish News kritisiert der britische In-Vitro-Fertilisations-Spezialist Prof. Robert Winston die Geschäftemacherei sowie das Schüren falscher Hoffnungen im Bereich der Reproduktionsmedizin.
In seinem Newsletter von August 2018 bezieht sich das Wiener Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) auf ein Interview, das der mittlerweile emeritierte IVF-Pionier Winston anlässlich des 40. Jahrestags der Geburt von Louise Brown gab, die am 25.7.1978 als erstes Baby nach künstlicher Befruchtung zur Welt kam. IMABE setzt sich laufend mit den Risiken und Folgen der Reproduktionsmedizin auseinander und bietet online eine ausführliche Analyse zu aktuellen ethischen, medizinischen und sozialen Fragen, die mit reproduktionsmedizinischen Verfahren verbunden sind.
Geschäft mit der Verzweiflung kinderloser Paare
Nach Ansicht Winstons würden Paare „in die IVF hineingezogen werden“, ohne über die geringen Erfolgsraten aufgeklärt zu sein. IVF sei zu einem Geschäft geworden, das für private britische Kinderwunschkliniken wirtschaftlich durchaus lukrativ sei. Die „Verzweiflung“ von Paaren, die sich ein Kind wünschen, kombiniert mit der „Gier“ privater Praxen ergebe eine „gefährliche Mischung“, so Winston.
Geschönte Statistik
Winston erwarte sich von der Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) weitaus mehr Transparenz und Seriosität. Die HFEA berechne beispielsweise die Erfolgsrate pro Embryotransfer. Dadurch würden allerdings Fehlversuche nicht in die Statistik aufgenommen. Denn: viele Frauen würden zwar einen Zyklus beginnen, es komme dann aber nicht zum Embryotransfer, weil ihre Eierstöcke nicht reagierten oder weil sich die Eizellen nicht befruchten ließen. Genau das aber mache die Zahlen „irreführend“ und schüre falsche Hoffnungen. „Die Chance, in einem individuellen IVF-Zyklus in Großbritannien schwanger zu werden, liegt immer noch bei nur 21 Prozent“, stellt der Mediziner klar. Und das betreffe Frauen unter 35 Jahre. Je älter die Frauen seien, desto geringer fiele die Erfolgsrate aus.
Diagnosemangel bei Unfruchtbarkeit
Winston kritisiert einen weiteren interessanten fachlichen Punkt. So ist er der Meinung, dass Kollegen viel zu oft von „unerklärlicher Unfruchtbarkeit“ sprechen würden, ohne eine Diagnose zu stellen. Es gebe unzählige Ursachen für Unfruchtbarkeit, wobei seiner Meinung nach den meisten Kliniken die Kompetenz zur Diagnosestellung fehle. IVF sei nicht immer die beste Behandlungsmöglichkeit, allerdings die profitabelste, kritisiert Winston scharf.
Aktuelle Studie: IVF-Kinder weniger gesund?
Eine aktuelle Arbeit, die im Journal of the American College of Cardiology veröffentlicht wurde, schmälert die bisherige Vermutung, dass künstlich gezeugte Kinder genauso gesund seien wie Kinder, die natürlich gezeugt wurden. So hätten laut Erkenntnis der Wissenschaftler Jugendliche, die nach einer IVF-Behandlung zur Welt gekommen sind, schon früh Gefäßprobleme. Diese könnten später einmal lebensgefährlich werden. Wie Die Zeit berichtet, hatte sich in einer schweizerischen Studie aus 2012 bereits gezeigt, dass die Gefäße von künstlich gezeugten Kindern vorzeitig gealtert waren. Verschiedene Ultraschallmessungen hätten ergeben, dass ihre Blutgefäße steifer waren und größere Schwierigkeiten hatten, sich bei Sauerstoffbedarf und durch Medikamentengabe zu weiten, als bei natürlich entstandenen Kindern. Außerdem wären gewisse Schichten der Gefäßwand dicker gewesen als bei Kontrollprobanden, möglicherweise ein Zeichen für eine beginnende Gefäßverkalkung. Acht der 52 künstlich gezeugten Kinder litten bereits an Bluthochdruck, in der Kontrollgruppe sei es nur eines von 40 gewesen. Das sei bedenklich, denn Bluthochdruck schädigt Gefäße und gilt als ein Hauptrisikofaktor für Herzerkrankungen und Schlaganfälle. Für einen der Autoren der aktuellen Studie, Emrush Rexhaj, zeige dies, dass „auf den ersten Blick gesunde Kinder ernsthafte und besorgniserregende Anzeichen für ein frühes Herz-Kreislauf-Risiko haben.“ Und in einem Kommentar, der dem Artikel beiliegt, schreiben Ärzte aus Harvard: „Sollte das Risiko für einen jugendlichen Bluthochdruck (…) wirklich sechsmal so hoch liegen, wären die Konsequenzen für die Lebensdauer gewaltig (…).“
Weitere Studien ergaben außerdem, dass künstlich gezeugte Kinder häufiger an Fehlbildungen der Gliedmaßen und an Herzfehlern litten.