INT / Reproduktionsmedizin: Wenn das bestellte Kind plötzlich kein Wunschkind mehr ist
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IEF, 02.03.2020 – Epigenetik könnte weitreichende Folgen für die Entwicklung der Kinder haben.
Befürworter der Leihmutterschaft betonen stets, wie sehr von Leihmüttern ausgetragene Kinder von den Bestelleltern gewünscht und geschätzt würden und dass solche Vereinbarungen daher für alle Parteien ein Gewinn seien, solange die Leihmutter nicht ausgebeutet werde und die auftraggebenden Eltern geeignete Eltern seien. Dass es jedoch sehr wohl dazu kommt, dass das „bestellte“ Kind plötzlich kein „Wunschkind“ mehr ist, zeigt der erschreckende Fall der chinesischen Schauspielerin und Bestellmutter Zheng Shuang.
Kinder sollten abgetrieben werden
Der Chinesin wird vorgeworfen, ihre zwei durch Leihmutterschaft gezeugten Babys in den USA im Stich gelassen zu haben. Als sich ihr Partner von ihr trennte, hatte Shuang versucht, Druck auf die Leihmütter auszuüben, um diese zu einer Abtreibung zu bewegen. Eine Abtreibung war jedoch nicht mehr möglich, da sich die Leihmütter im dritten Trimester der Schwangerschaft befanden. Die im Dezember 2019 und Jänner 2020 geborenen Kinder wurden schließlich von ihrer Bestellmutter verlassen, die Obsorge übernahm der eigentlich in China lebende Vater, der ohne die Einwilligung der Mutter nicht in sein Heimatland reisen durfte.
Wohl des Kindes?
Während bei Adoptions- und Sorgerechtsentscheidungen das Wohl des Kindes im Vordergrund stehe, sei überraschend dass dieses in den Debatten über die Ethik der Leihmutterschaft so vernachlässigt würde, zeigt sich Dr. Seow Hon Tan, außerordentliche Professorin für Rechtswissenschaften an der Singapore Management University in ihrem Artikel im Public Discourse der Online Zeitung des Witherspoon Instituts in Princeton, New Jersey (US), besorgt. Der Sinneswandel von Shuang veranschauliche, wie die Wünsche der Bestelleltern die Leihmutterschaftsvereinbarungen bestimmen, wobei der „Wert der Kinder“ schwanke, wenn sich diese Wünsche ändern.
Auch Epigenetik spricht gegen Leihmutterschaft
Wie das IEF bereits berichtet hat, weisen Wissenschaftler immer öfter auf die Bedeutung der Epigenetik hin – und zwar bereits für das ungeborene Kind im Mutterleib. Im Zentrum der Epigenetik steht die Frage, wie Dinge die wir erleben und erfahren, sich in unseren Genen manifestieren und so abseits der genetischen Disposition unsere Entwicklung beeinflussen. Trotz des zunehmenden Interesses an diesem Gebiet und dem Wissen um seine Aussagekraft, bleiben damit in Zusammenhang stehende Bedenken im Bereich der Leihmutterschaft unbeachtet. „Leihmutterschafts-Schwangerschaften stellen besondere Herausforderungen dar, die wegen ihrer negativen Auswirkungen auf die Kinder Anlass zur Sorge geben sollten.“, ist sich Tan sicher.
Bedeutung der frühen Bindungen
Ein Teil der Herausforderungen ergebe sich aus der Antizipation der Trennung durch die Leihmutter: es sei seit Jahrzehnten bekannt, dass eine frühe Bindung zwischen einem Säugling und einer Bezugsperson wichtig für die Entwicklung des Kindes sind. Forscher hätten den Zusammenhang zwischen einer fehlenden mütterlichen Bindung vor der Geburt und späteren Verhaltensproblemen der Kinder untersucht. Festgestellt wurde, so Tan, dass Leihmütter im Vergleich zu Nicht-Leihmüttern eine geringere Bindung zu den Kindern haben, die sie austragen. Dies könne Folge eines Bewältigungsmechanismus sein, um eine „affektive Isolation“ zu erreichen, die den Frauen helfe, das Neugeborene später loszulassen. Ebenso würden sich manche Leihmütter vielleicht aber auch bewusst dafür entscheiden, sich auf ihre Verpflichtungen zu konzentrieren und keine emotionale Bindung zu dem Kind aufzubauen. „Was auch immer der Grund sein mag, der Nachweis einer schlechteren Bindung bei Leihmutter-Schwangerschaften sollte uns beunruhigen, da dies später zu Problemen für die Kinder führen kann“, ist sich Ho Tan sicher.
Mütterlicher Stress
Auch der Stress, den Leihmütter in der Schwangerschaft durchmachen können, bietet für die Juristin Anlass zur Sorge. „Während einige Leihmütter positiv über ihre Erfahrungen sprechen, sehen sich andere mit sozialen Risiken konfrontiert, die sich aus der mangelnden Akzeptanz durch ihr Umfeld ergeben, sowie dem Stigma, aus finanzieller Not als Leihmutter gedient zu haben.“ Die Leihmutterschaftsindustrie sei auch dafür bekannt, das Gefühlsleben von Leihmüttern zu „manipulieren und zu trivialisieren“. Mütterlicher Stress im Allgemeinen und ungünstige pränatale Umgebungen hätten bekanntermaßen Auswirkungen auf die Entwicklung des Fötus, zusätzlicher Stress für die Mutter durch die besondere Belastung einer Leihmutterschaft wirke sich im Besonderen negativ auf die Entwicklung der Föten aus.
Erster Atemzug führt zur ersten Trennung
Auch die zumeist unmittelbar nach der Geburt vollzogene Trennung des Neugeborenen von der Leihmutter könnte – nach Einschätzung von Tan – epigenetische Folgen haben. Diese seien jedoch noch nicht ausreichend erforscht. Föten hätten ein gewisses Gedächtnis, die genaue Funktionsweise des fötalen Gedächtnisses sei jedoch nicht vollständig bekannt. Erwiesen sei jedoch, dass die Ablösung der primären Bezugspersonen in der frühen Phase nach der Geburt Konsequenzen für die frühe Bindungsbildung des Kindes habe und sich nachteilig auf das Wohlbefinden des Kindes auswirkt. „Ob ein ähnlicher Verlust bei der Trennung von primären Bezugspersonen in der pränatalen Phase erlebt wird, ist eine bedenkliche Frage, die weiter erforscht werden muss“, so Tan. „Natürlich treten ähnliche Verluste auch unter anderen Umständen auf, etwa wenn die Mutter eines Neugeborenen stirbt. Wir sehen diese Fälle als unglücklich, sogar tragisch an. Wie kann es dann fair sein, solche Verluste den Leihmüttern aufzubürden?“
Gravierender Unterschied zu Adoption
Während das potentielle Trauma der Trennung im Kontext der Leihmutterschaft nicht vollständig erforscht wurde, ist es das im Kontext der Adoption sehr wohl. Erfahrungen auf diesem Gebiet sollten nach Ansicht der Universitätsprofessorin Tan daher auch in die Debatte rund um die Zulässigkeit von Leihmutterschaft miteinfließen. Der Unterschied zwischen Adoption und Leihmutterschaft sei, dass die Handlung der Adoptiveltern heilsam ist. Adoptiveltern „springen ein“, um den Bedürfnissen des Kindes zu dienen, wenn die leiblichen Eltern nicht in der Lage oder nicht willens sind, dies zu tun. Moralisch gesehen sei dies ein großer Unterschied zur Leihmutterschaft. „Bei der Adoption wird ein Kind nicht absichtlich gezeugt und geboren, um es dann wegzugeben.“, so Hon Tan. Eine frühkindliche Trennung wird von den Adoptiveltern nicht angestrebt. Im Gegensatz dazu entscheiden sich die Bestelleltern bewusst dafür, ihren bestellten Kindern das Trauma der Trennung aufzuerlegen.
Emotionale Bindung nicht selbstverständlich
Nachdem sie von ihren Leihmüttern getrennt wurden, können Neugeborene Probleme haben, sich wieder an neue Eltern zu binden, wie in der Forschung über Kinder, die ihre biologische Mutter verlieren, festgestellt wurde. Da die Umstände des Verlustes die Wiederanbindung beeinflussen können, sollten die spezifischen Umstände der Leihmutterschaft untersucht werden, ist Tan überzeugt. Darüber hinaus können die Bestelleltern, selbst wenn sie sich unbedingt Kinder gewünscht haben, in einen Konflikt geraten und Zeit brauchen, um sich anzupassen. Dies könne zu einer Lücke in der Bindung des Kindes an seine Ersatz-Hauptbezugspersonen führen. Die Psychologin Olga van der Akker habe in ihren Forschungen beobachtet, dass ein „fehlendes genetisches Bindeglied“ bei Leihmutterschaftsvereinbarungen die eheliche Beziehung belasten kann, wenn die auftraggebende Mutter das Kind als von ihrem Mann mit der Leihmutter gezeugt sieht, erklärt Tan. „Wenn sie das Kind ablehnt oder aufgrund emotionaler Kämpfe nur schwer eine Bindung zu ihm aufbauen kann, kann das Kind in einer Weise geschädigt werden, die den Schaden einer Adoption übersteigt.“ In solchen Fällen erlebe das Leihmutterkind eine Form der „Ablehnung“ durch die Leihmutter, gefolgt von der Ablehnung durch die Bestellmutter.
Bindung lässt sich nicht regulieren
Tan ist sich sicher, dass die negativen Folgen der frühkindlichen Trennungserlebnisse, sich nicht durch Gesetze verhindern lassen. „Es wäre naiv zu glauben, dass neue Gesetze von den Bestelleltern verlangen könnten, zukünftig Kontakt zwischen den Kindern und den Leihmüttern, die sie ausgetragen haben, zuzulassen oder von den Leihmüttern zu verlangen, einem solchen Kontakt zuzustimmen. Viele Leihmutterschaftsvereinbarungen sind grenzüberschreitend. Außerdem möchten Leihmütter vielleicht nicht an die Kinder erinnert werden, die sie aufgegeben haben, und die Bestelleltern fürchten vielleicht eine Einmischung in ihre Elternschaft.“ Der Kampf um die Legalisierung der Leihmutterschaft existiere, um die Wünsche der Bestelleltern zu erfüllen, nicht um die Interessen der Kinder zu schützen. Schlechte pränatale Bindungen und andere epigenetische Effekte der Schwangerschaft könnten dabei jedoch nicht ignoriert werden, da sie die zukünftige Entwicklung der Kinder beeinflussen können. „Der Gesetzgeber sollte das Wohl der Kinder in den Vordergrund stellen – und nicht die Wünsche der Erwachsenen. Leihmutterschaft sollte nicht legalisiert werden, da sie nicht im besten Interesse des Kindes ist.“, ist Tan überzeugt. (KL)