INT / Menschenrechte: Neuer Internationaler Medizinethikkodex
IEF, 10.10.2022 – Der neue Kodex wurde am 8. Oktober während der Generalversammlung des Weltärztebundes in Berlin einstimmig angenommen.
2017 rief der Weltärztebund (World Medicial Associaton, WMA), eine Arbeitsgruppe ins Leben, die den Internationalen Kodex für ärztliche Ethik revidieren sollte. Die Erstversion des Kodex wurde bereits im Jahr 1949 beschlossen, erfuhr seither aber einige Überarbeitungen, zuletzt im Jahr 2006. Im April 2021 wurde der von der Arbeitsgruppe erarbeitete Entwurf Medizinethikkodex vom Weltärztebund approbiert und zur öffentlichen Konsultation freigegeben. Das Institut für Ehe und Familie (IEF) hat darüber ausführlich berichtet und den Entwurf kommentiert.
Zahlreiche neue Bestimmungen und Themen
Die überarbeitete Version des Internationalen Kodex für ärztliche Ethik wurde am 8. Oktober 2022 von Vertretern von fast 60 nationalen Ärzteverbänden einstimmig angenommen. Der Kodex enthält 41 Bestimmungen, die in sechs Abschnitte – Präambel, allgemeine Grundsätze, Verpflichtungen gegenüber Patienten, Verpflichtungen gegenüber anderen Ärzten und Gesundheitsfachkräften, Studenten und sonstigem Personal, Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft und Verpflichtungen als Angehöriger der Ärzteschaft – unterteilt sind. Damit fällt der neue Kodex um einiges umfangreicher aus, als sein Vorgänger und enthält erstmals auch Bestimmungen zur Patientenautonomie (Ziffer 2 und 14), dem Wohlbefinden der Ärzte (Ziffer 29), Fernbehandlungen (Ziffer 27) und der umweltbezogenen Nachhaltigkeit (Ziffer 13).
Kontroverse um geplante Aufweichung der Gewissensfreiheit
Eine im Vorfeld kontrovers diskutierte wesentliche Änderung des Medizinethikkodex betraf die Gewissensfreiheit. Punkt 27 des Entwurfs enthielt die ethische Verpflichtung des Arztes, Betreuungsunterbrechungen zu vermeiden. Eine Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen sollte laut dem Entwurf daher nur dann gestattet sein, wenn der Patient durch diese nicht diskriminiert oder benachteiligt werde, die Gesundheit des Patienten nicht in Gefahr sei und die Kontinuität der Behandlung durch effektives und rechtzeitiges Verweisen an einen anderen qualifizierten Arzt gewährleistet werde.
Offener Brief von über 250 Ärzten und Bioethikern
Hinsichtlich dieser Aufweichung, der durch zahlreiche Menschenrechtsverträge garantierten Gewissensfreiheit, die im medizinischen Bereich häufig in Zusammenhang mit „Sterbehilfe“ und Abtreibung zur Anwendung kommt, regte sich bedeutender Widerstand in der Ärzteschaft. In einem offenen Brief forderten über 250 Ärzte und Bioethiker die WMA auf, den Ärzten keine Verpflichtung aufzuerlegen, Patienten an andere, willige Ärzte zu verweisen, wenn sie die vom Patienten gewünschte Behandlung „ehrlicher- und vernünftigerweise als unethisch bewerteten“.
Kompromiss führt zu Verzicht auf Überweisungspflicht
Während eines Treffens im August dieses Jahres in Washington DC wurde laut der WMA schließlich ein Kompromiss in der Frage der Gewissensfreiheit erzielt, dem nun in Berlin einstimmig zugestimmt wurde. Die neue, in Punkt 30 enthaltene Bestimmung hält fest, dass ein Arzt dann eine rechtmäßige medizinische Maßnahme aus Gewissensgründen verweigern darf, wenn der Patient dadurch weder geschädigt noch diskriminiert und die Gesundheit des Patienten nicht gefährdet wird. Der Arzt muss den Patienten unverzüglich und respektvoll über seine Ablehnung und sein Recht informieren, einen anderen qualifizierten Arzt zu konsultieren und ihm ausreichende Informationen zur Verfügung stellen, damit der Patient eine solche Konsultation rechtzeitig einleiten kann. Er muss den Patienten jedoch nicht an einen bestimmten qualifizierten Arzt verweisen.
IEF-Kommentar
Es ist erfreulich, dass das anerkannte Menschenrecht auf Gewissensfreiheit von der WMA weiterhin respektiert wird und die endgültige Fassung des neuen Medizinethikkodex keine Überweisungspflicht an andere Ärzte enthält. Allerdings ist fraglich, wie die in Punkt 30 enthaltene Diskriminierungsklausel im Zusammenhang mit der Gewissensfreiheit in Zukunft ausgelegt wird. Die Weigerung, an einer Abtreibung mitzuwirken, die nur eine bestimmte Personengruppe – nämlich Frauen – betrifft, könnte nämlich als Diskriminierung gewertet werden. Dies war beispielswiese beim Obama-Dekret aus dem Jahr 2016 der Fall, das die Weigerung, Abtreibungen durchzuführen, als grundsätzlich geschlechtsbezogene Diskriminierung eingestuft hatte (das IEF hat berichtet). (AH)