Religionsfreiheit
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INT / Menschenrechte: Interamerikanischer Gerichtshof untergräbt Rechte von Eltern und Kirche

IEF, 09.05.2022 – Eltern und Kirche können nicht bestimmen, wer die Schüler in Religion unterrichtet, urteilte der Menschenrechtsgerichtshof.

Erziehungsrecht der Eltern und Autonomie der Religionsgemeinschaften

Die Menschenrechtsorganisation Alliance Defending Freedom International (ADF International), die das Verfahren Pavez vs. Chile begleitet hatte, kommentierte das Urteil in ihrem Blog und stellte klar, in welche Rechte das Urteil eingreife:  Erstens verletze das Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte das Recht der Eltern, die Bildung und Erziehung ihrer Kinder zu gestalten. Zweitens untergrabe das Urteil die Autonomie der Kirche.

Sachverhalt: das Recht, die Religionslehrer auszuwählen

Im entsprechenden Fall klagte eine Religionslehrerin, Sandra Pavez, zunächst die Katholische Kirche in Chile. Pavez unterrichtete katholische Religion in der chilenischen Stadt San Bernardo. Nachdem bekannt wurde, dass Pavez eine gleichgeschlechtliche Beziehung führte, teilte ihr die zuständige Diözese mit, dass sie nicht länger katholische Religion unterrichten könne, da ihr Lebensstil grundlegend der Verkündigung des katholischen Glaubens widerspreche. Pavez wurde eine andere Stelle angeboten, die eine unterbrechungslose Beschäftigung ermöglichte. Sie wurde außerdem befördert, indem sie eine Position als Mitglied des Schulmanagements erhielt.

Chilenischer Gerichtshof bestätigt Autonomie der Religionsgemeinschaften

Pavez verklagte in Reaktion auf die Entscheidung der Diözese die Katholische Kirche in Chile wegen Diskriminierung. Der Oberste Gerichthof in Chile bestätigte allerdings das Recht der Religionsgemeinschaften, qualifizierte Lehrer auszuwählen sowie das Recht der Eltern, ihre Kinder von einem Lehrer unterrichten zu lassen, der in Einklang mit ihren religiösen Überzeugungen lebt.

Inter-Amerikanischer Gerichtshof untergräbt Religionsfreiheit

Daraufhin zog die Pädagogin vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und reichte Beschwerde gegen Chile ein. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat gemeinsam mit der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte die Aufgabe, die völkerrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte in den Ländern der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) durchzusetzen. Da die USA, Kanada und auch viele Karibikanrainerstaaten die Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK) nicht ratifiziert haben, wird das Interamerikanische System für Menschenrechte auch als lateinamerikanisches System bezeichnet.

In seinem Urteil gab das Gericht Pavez Recht. Zwar bestätigte das Gericht, dass Kinder und Eltern ein Recht auf Religionsunterricht hätten und dass dieser Teil der öffentlichen Schulbildung sein könne, um die Rechte der Eltern zu gewährleisten. Das Urteil brach jedoch mit dem internationalen Konsens, der die Auswahl von Lehrern als einen inhärenten Teil der Autonomie von Religionsgemeinschaften anerkennt. Denn der Staat habe die Pflicht das Recht auf Gleichheit und Nicht-Diskriminierung, die persönliche Freiheit, das Privatleben sowie das Arbeitsleben des Individuums zu schützen. Diese Rechte stellte das Gericht über die Autonomie der Religionsgemeinschaften und die Rechte der Eltern in Bezug auf die Auswahl des Lehrers.

ADF: Auswirkungen auf ganz Lateinamerika

Diese Entscheidung könnte die Mehrheit der Kinder Lateinamerikas betreffen, die ihre Schulbildung in öffentlich finanzierten Schulen erhielten, warnte ADF. Gemäß dem Urteil könnten Glaubensgemeinschaften künftig nicht mehr sicherstellen, dass Lehrer in Einklang mit den Werten leben, die sie ihren Schülern im Rahmen des Religionsunterrichts vermitteln sollten.

30.000 Unterschriften für Grundrechte

Im Laufe des Verfahrens hatte sich laut ADF eine breite Koalition von Organisationen und Religionsgemeinschaften zusammengeschlossen, um ihre Grundrechte zu verteidigen. Die Bewegung umfasste jüdische, muslimische, orthodoxe, anglikanische und protestantische Gemeinschaften aus Chile sowie den Vorsitzenden des Rates der katholischen Bischöfe Lateinamerikas, die gemeinsam einen Schriftsatz beim Gericht eingereicht hatten. Darüber hinaus wurde eine Petition mit über 30.000 Unterschriften an den Gerichtshof übermittelt, die die Wahrung des elterlichen Erziehungsrechts forderte.

ADF: Urteil ist ein Rückschritt

„Die Entscheidung steht nicht im Einklang mit dem Völkerrecht, das die Autonomie von Religionsgemeinschaften eindeutig schützt. Sie stellt einen Gegensatz zu ähnlich gelagerten Fällen dar, die von anderen Menschenrechtstribunalen (Anm.d.R.: beispielsweise des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte) entschieden wurden“, kritisiert Robert Clarke, stellvertretender Direktor von ADF International, das Urteil. Religionsgemeinschaften spielten eine wesentliche Rolle in der Gesellschaft, wobei deren Unabhängigkeit ein besonders relevantes Kriterium sei. Wenn der Staat beginne über die Qualifikation der Religionslehrer zu bestimmen, warum sollte der Staat dann nicht über die Qualifikation von Priestern oder Geistlichen entscheiden können, verdeutlicht Clarke die Auswirkungen des Urteils. Obgleich das Urteil ein Rückschlag für jene sei, die sich für Religionsfreiheit und Elternrechte einsetzten, werde ADF weiterhin dafür kämpfen, dass diese Grundrechte in Lateinamerika eingehalten werden, stellt Clarke klar. (TSG)

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